Nachhaltigkeit ist kein Selbstläufer. Ein mächtiger Satz, den Carolina Schweig sehr betont. Vielmehr gehe es um eine individuelle Definition und darum, diese immer wieder zu hinterfragen. Schweig ist Leiterin des Ingenieurbüros C. E. Schweig und kümmert sich gemeinsam mit anderen Ingenieur*innen um Nachhaltigkeit und Verpackungen in Hinblick auf Prozesse sowie Materialentwicklung.
Obwohl Verpackungen erst mal grundlegend verteufelt und als nicht sehr nachhaltig gesehen werden – zu viel Plastik, zu große Pakete –, ist es wichtig, die positiven Aspekte zu berücksichtigen. „Mit jeder Verpackung haben wir die Möglichkeit, Lebenszyklen und -dauer einzelner Produkte zu verlängern. So werden Lebensmittel beispielsweise haltbar gemacht, manche Produkte sind vor der Belastung und Beschädigung durch den Transport geschützt“, erklärt sie. Bevor es also um Nachhaltigkeit gehen kann, liegt der Fokus zunächst auf Funktionalität. Entsprechend werden im nächsten Schritt die Anforderungen und somit Materialien definiert.
Plastik versus Papier
In puncto Material gibt es gravierende Unterschiede und vor allem Vorurteile. Nicht jede Plastikverpackung ist schlecht. Zunächst einmal muss auch sie bestimmte Aufgaben in Hinblick auf das Konsumverhalten erfüllen. „Bei Kleidungsstücken reichen beispielsweise einfache Beutel aus Kunststoff. Hier braucht es keine große Verpackung, da Plastik im Gegensatz zu Papier viel flexibler ist, dadurch kleiner sein kann und dennoch mehr Volumen fasst – das spart am Ende Ressourcen“, sagt Schweig. „Ist das Plastik dann noch zu 80 Prozent aus Rezyklat, ist der Impact hier sehr viel geringer als bei Papier, das neu gewonnen wird.“ Von vornherein davon auszugehen, dass Papier automatisch nachhaltiger und somit besser sei, sei Augenwischerei, so die Ingenieurin. Erst durch Aufklärung und das Widerlegen falscher Annahmen könne ein Umdenken stattfinden. Das ist vor allem nötig, um die schwindenden Rohstoffe zu schützen und herauszufinden, was Nachhaltigkeit in Hinblick auf Verpackungen wirklich ausmacht. Erst dann kann auch nachhaltig gewirtschaftet werden.
Das Gewicht eines Kartons in Gramm ist äquivalent der CO2-Emissionen, die bei der Herstellung produziert werden.
Michelle Reed, Co Gründerin SendMePack
Viele Versandriesen und auch kleine Händlerinnen setzen nach wie vor auf Kartonagen, die teilweise deutlich zu groß für den Inhalt sind. So wird beispielsweise ein Nagellack in einem Paket geliefert, in dem Hunderte Platz hätten. Der Grund dafür liegt vor allem in den vielen Schritten, die die Verpackung der Produkte vor dem Versand durchlebt. Schweig: „Die Unternehmen bekommen ein Produkt geliefert, das bereits in einem kleinen Karton und in Luftpolster verpackt ist. Dennoch müssen sie es wieder in einen Transportkarton packen, da sie nicht wissen, wie empfindlich das Produkt ist und damit eventuell schützend verpackt werden muss.“ Und weiter: „Gleichzeitig gilt es zu verstecken, welche Produkte welcher Herstellerinnen verschickt werden. Durch die überdimensionierten Verpackungen wird das ausgeglichen.“
Die wiederverwendbare Alternative
Diese Verpackungen – ganz egal, ob zu groß oder passend –haben allerdings nur eine kurze Lebensdauer. Vom Versand aus dem Lager hin zum Auspacken und der abschließenden Entsorgung vergehen mittlerweile nur noch wenige Tage. Um einzelne Kartonagen mehrmals in diese Versandzyklen einzubinden und eine Alternative zu Einwegverpackungen zu schaffen, haben Philip Bondulich und Michelle Reed das Start-up SendMePack gegründet und setzen dabei auf Kreislaufwirtschaft. Dafür arbeiten sie mit Logistikunternehmen zusammen. Ihre Homepage ging im Oktober online und markiert den Startschuss einer weitreichenden Veränderung. Innerhalb weniger Monate haben sie Kundinnen aus aller Welt und verschiedenen Branchen wie Automobil oder Elektronik für sich gewinnen können. Auch der Fußballverein 1. FC Nürnberg versendet seine Trikots in Kartons von SendMePack.
Die beiden Gründerinnen möchten dafür sorgen, dass den Konsumentinnen bewusst wird, dass alle Verantwortung für die Kartonagen tragen. Michelle Reed sagt: „Pappe darf nicht immer als bessere Alternative zu Plastik gesehen werden. Beide Verpackungen benötigen wahnsinnig viele Ressourcen, auch recycelte Verpackungen. Natürlich ist dieser Schritt total wichtig, und dennoch verbraucht auch die Herstellung eines recycelten Kartons immens viel Wasser und es müssen immer wieder frische Holzfasern hinzugefügt werden, um ihn weiter nutzen zu können.“
Nachhaltigkeit ist also nicht gleich Nachhaltigkeit. Jeder Schritt ist wichtig, und dennoch gilt es, das Bewusstsein zu schärfen und dafür zu sensibilisieren, dass die mehrfache Verwendung eines Kartons einen noch größeren Impact hat als Recycling. Hier setzt SendMePack an.
Plastik ist im Gegensatz zu Papier viel flexibler, dadurch kann es kleiner sein und dennoch mehr Volumen fassen – das spart am Ende Ressourcen.
Carolina Schweig, Leiterin des Ingenieurbüros C. E. Schweig
Zunächst erfährt jedes Unternehmen, das Kartons bei SendMePack kauft, wie viel CO2 es damit einspart. „Das Gewicht eines Kartons in Gramm ist äquivalent der CO2-Emissionen, die bei der Herstellung produziert werden. Ein 360 Gramm schwerer Karton verursacht also 360 Gramm CO2“, erklärt Michelle Reed. Umgekehrt lässt sich sagen, dass jeder 360 Gramm schwere Karton, der über SendMePack wiederverwendet wird, dieselbe Menge an CO2 einspart und somit einen positiveren Impact hat als ein recycelter Karton.
Immer mehr Verpackung
Laut der sogenannten Kurier-Express-Paketdienste-Studie des Bundesverbands Paket und Expresslogistik stieg die Anzahl der Paket-, Express- und Kuriersendungen im Jahr 2020 auf mehr als vier Milliarden an. Für 2025 wurden mehr als fünf Milliarden Sendungen prognostiziert – diese Zahl wird voraussichtlich dieses Jahr bereits erreicht. Ohne Unternehmen wie SendMePack wären das mehrere Milliarden Pakete, die nur einmal verwendet werden und anschließend im Müll landen.
Der Einfluss wird mittels monetärer Entlastung wirtschaftlich messbar sein. Reed erklärt: „Durch uns werden ganze Ökosysteme entlastet. Es gibt deutlich weniger Müll, der entsorgt und verarbeitet werden muss. Das kann irgendwann ganze Tonnen an Müll ausmachen und spart am Ende für alle Parteien Geld.“
Nachhaltigkeit ist nicht nur eine wirtschaftliche Mission, sondern spielt im Bereich Marketing eine große Rolle. Dabei geht der Trend dahin, dass manche Unternehmen Greenwashing betreiben und sich Nachhaltigkeit auf die Fahne schreiben, ohne es zu belegen.
Um hier transparent zu sein, empfiehlt Caroline Schweig, den Impact anhand von Zahlen und Fakten zu dokumentieren. Dadurch entsteht Transparenz für beide Seiten: Die Unternehmen können zeigen, wie viel CO2 sie beispielsweise durch die Zusammenarbeit mit SendMePack einsparen, und Konsument*innen, die einen Karton erhalten, können mittels QR-Code und der angezeigten Parameter sehen, wie oft er schon verwendet wurde, in welcher Stadt er bereits unterwegs war und welchen positiven Einfluss er hat, wenn er nicht einfach entsorgt und stattdessen wiederverwendet wird.
Viele Unternehmen versuchen, ihr Handeln und ihren vermeintlich positiven Einfluss beispielsweise durch das Pflanzen von Bäumen zu kompensieren. Michelle Reed denkt dabei viel nachhaltiger: „Wenn man nichts Neues herstellt, muss man auch nichts kompensieren.“
58 Prozen der Konsument*innen prüfen Nachhaltigkeit von Marken anhand der Verpackung.1
Am Ende ist die nachhaltigste Verpackung die, die wir gar nicht erst herstellen und benötigen. Im Lebensmittelbereich ist das Beispiel von Caroline Schweig besonders anschaulich: „Die Verpackungsthematik bei Obst und Gemüse fängt bereits bei den Anbaumethoden an. Eine Gurke aus dem Garten, die man selbst anbaut, benötigt keine Plastikhülle. Sie hat eine bittere und dicke Schale, an der Schimmel nicht so schnell anschlägt. Was wir hingegen kaufen und essen, sind juvenile Früchte, die kaum noch Kerne und eine dünne Schale haben. Das heißt, diese Lebensmittel können sich schlechter gegen Mikroorganismen wehren, werden leichter beschädigt und haben keinen wirksamen Schutz und sind dem Verderb viel leichter ausgeliefert.“
Die Frage nach der nachhaltigsten Verpackung beginnt also nicht bei der Entscheidung zwischen Papier und Plastik, sondern weit vorher bei den Produkten, die es zu verpacken gilt.
Quelle (1): Studie – Nachhaltigkeit und Marken – ESCH. The Brand Consultants