Nachbeben von Cambridge Analytica: 75 Prozent rechnen mit einer Ablöse Facebooks durch einen neuen Player

Das Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica konnte bis zu 87 Millionen Datensätze bei Facebook abzapfen. Das ist der größte Datenskandal in der Geschichte Facebooks. Doch wie wirkt sich das auf Unternehmen und Nutzer aus? Die Mehrheit der Befragten rechnet mit einer Ablöse Facebooks durch einen neuen Player.

Bislang hatte der Datenskandal rund um Cambridge Analytica und Facebook kaum Folgen für das weltweit größte Social Network. Genauso wenig wie die Kongress-Anhörung. Den Politikern gelang es in der zweitägigen Befragung nicht, Zuckerberg ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Der 33-jährige schaffte es mit einer Mischung aus Demut und dem Ausweichen unbequemer Fragen zwar die Börse, nicht aber die Senatoren zu beruhigen. Diese verloren zunehmend die Geduld mit den Floskeln, hinter denen sich Zuckerberg versteckte. Ob Facebook im Interesse der User ihre individuelle Privatsphäre schützen würde, wollte ein Senator beispielsweise wissen. Zuckerberg antwortet wie so oft: „Ich bin mir nicht sicher, was das heißt.“ Zwar führte seine Aussage, dass Facebook keine Monopolstellung innerhalb Branche einnehme, zu Gelächter im Saal, doch das störte Zuckerberg wenig. Denn immer wieder nutzte er die Unkenntnis einzelner Senatoren zu seinem Vorteil. So musste er einem Senator erklären, dass Facebook eben keine Daten vermarkte, sondern als Filter auf der eigenen Plattform einsetze. Für die Werbung, die man stattdessen vermarkte.

Cambridge Analytica trifft die gesamte Branche

Der Fall Cambridge Analytica ist ein guter Anlass, darüber zu diskutieren, wie das  Machtgefüge in der Adtech-Branche aufgebrochen werden kann und wie künftig  mit Nutzerdaten umzugehen ist. Wie hoch ist der Bedarf nach Regulierung? Wie hoch ist die Nutzertoleranz?

Eine aktuelle Adhoc-Umfrage* unter Branchenexperten von der PR-Agentur Frau Wenk ergab, dass sich 75 Prozent der Befragten in einem Punkt sicher sind: Das Ende von Facebook wurde mit dem Datenleck eingeläutet, und ein neuer Player wird das soziale Netzwerk ablösen. Fast 67 Prozent glauben, dass es zwar eine Strafzahlung geben wird, Langzeitauswirkungen jedoch illusorisch sind. Die Hälfte aller Befragten nimmt an, dass die USA regulativ eingreifen und den Datenschutz enger definieren werden. Dass die User ab sofort deutlicher hinsehen werden, wenn es um die Freigabe ihrer Daten geht, denken 54 Prozent der Experten. Immerhin knapp 46 Prozent bewerten den Skandal als die Chance auf Gleichheit europäischer Unternehmen in der nächsten Phase des Webs.

Werbungtreibende können und wollen nicht auf Facebook verzichten

Zumindest Werbungtreibende bleiben Facebook treu, so lange man dort User trifft. So meinen 63 Prozent der Experten, dass Unternehmen ihre Investitionen zwar abziehen werden, allerdings nur solange bis der Skandal vom Tisch ist. Ähnliche Ergebnisse liefert eine Umfrage von Business Insider. Dort gaben zwölf von 18 Dax-Unternehmen an, dass sie an ihren Facebook-Kanälen festhalten wollen. Zu den befragten Firmen gehören unter anderem die Deutsche Bank, BASF, BMW, Adidas, Henkel, Bayer, Lufthansa, ThyssenKrupp und die Commerzbank. Die Commerzbank setzt derzeit jedoch vorerst alle Kampagnen auf Facebook aus. Einige Verlage haben indes bereits Konsequenzen gezogen: So hat das US-Magazin Playboy seinen Account deaktiviert. Unter dem Hashtag #deletefacebook hatte außerdem der WhatsApp-Mitgründer Brian Acton seine Follower dazu aufgerufen, ihre Facebook-Accounts zu löschen. Auch Tesla-Chef Elon Musk, ein steter Kritiker Zuckerbergs, entfernte die Seiten von Tesla und Space X von Facebook. Eine Analyse der Marketing-Suite Semrush ergab zudem, dass die Suchanfragen bei Google nach „how to delete facebook“ von Februar auf März 2018 weltweit um 397 Prozent gestiegen ist.

Die Meinungen bleiben indes geteilt und viele Werbungstreibende, Marken und Unternehmen warten die Entwicklung der kommenden Woche ab. Für Befürworter einer engeren Auslegung der am 25. Mai verabschiedeten Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) kommt Facebooks Debakel gerade recht. Denn gemeinsam mit der eventuell noch folgenden E-Privacy-Verordnung soll die DSGVO die Spielwiese der Adtech-Branche nun gezielt aufräumen. Laut eigenen Angaben unterstütze Mark Zuckerberg eine stärkere gesetzliche Regulierung seiner Branche und lobte sogar die Einführung der DSGVO. In einem Interview sagte er, er sei „im Geist“ für die in der DSGVO definierten Rechte. EU-Justizkommissarin Vera Jourova freut sich über Zuckerbergs Lob. Sie habe „wirklich verzweifelt“ über die „bestmögliche Werbekampagne“ für die am 25. Mai in Kraft tretende DSGVO nachgedacht, sagte Jourova. Nach den Äußerungen Zuckerbergs sei dies nun „gut erledigt. So, danke, Herr Zuckerberg“. Die Frage, die zu klären bleibt, ist also nicht ob, sondern wie der Facebook-Datenskandal und die angedrohte Regulierung durch den US-Senat die Spielregeln für das Web ändern werden.

* Infos zur Adhoc-Umfrage: Die PR-Agentur Frau Wenk befragte im Rahmen einer Adhoc-Umfrage per Mail vom 11. bis 12. April 2018 insgesamt 30 Experten aus der Adtech-Branche zu Facebooks Datenskandal und dessen Auswirkungen auf Unternehmen, Nutzer und das Internet.


Zu den Hintergründen des Datenskandals

2013 meldete sich der Neurowissenschaftler Aleksandr Kogan mit einer Idee bei Facebook: Er wollte Daten über Nutzer für wissenschaftliche Zwecke sammeln, und das mit Hilfe einer App innerhalb Facebooks. Die Psychotest-App mit dem Namen „Thisisyourdigitallife“ sollte diese Daten einsammeln. Facebook willigte ein. Rund 270.000 Leute haben diesen Psychotest genutzt und dafür wissentlich ihr Einverständnis gegeben, ihre Daten bei Facebook auszulesen. Das Problem: Die App hat nicht nur die Daten ihrer 270.000 Nutzer ausgewertet, sondern auch die von deren Freunden. Damit wurden aus Tausenden von Datensätzen mal eben 87 Millionen. Allein in Deutschland sind 310.000 Nutzerprofile betroffen. Die unerlaubten Informationen erhielt Cambridge Analytica von einem App-Entwickler Facebooks, der die Umfrage programmierte. Die gesammelten Daten wurden – ohne dass die betroffenen Nutzer sich dessen bewusst waren – dazu verwendet, politische Botschaften an bestimmte Zielgruppen auszuspielen und so den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl zu beeinflussen. Vor wenigen Wochen kam das Datenleck dann an die Öffentlichkeit. Behörden in den USA wie in Großbritannien haben Ermittlungen eingeleitet, und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg musste vor dem US-Kongress Stellung zu dem Skandal beziehen.