Für Aleksander Ruzicka hat zunächst das Warten auf die schriftliche Urteilsbegründung begonnen. Mit dieser ist kaum vor September zu rechnen. Danach muss die Revision begründet und etwaige Rechtsfehler benannt werden. Nachdem sich dazu die Generalbundesanwaltschaft geäußert hat, wird sich der Bundesgerichtshof mit dem Fall beschäftigen. Dieser kann das Urteil bestätigen, ganz oder teilweise aufheben, oder abändern. Da Ruzicka seit dem 25.Oktober 2006 in U-Haft sitzt, könnte diese Entscheidung noch in diesem Jahr fallen. Die Revision klärt Rechtsfehler, wie beispielsweise die Verwendung der abgeflossenen Gelder, was erhebliche Auswirkungen auf das Strafmaß haben könnte.
Nach dem Urteil gegen Aleksander Ruzicka ermittelt die „SOKO Media“ der Staatsanwaltschaft Wiesbaden in weiteren 15 Fällen wegen Beihilfe zur Untreue und Untreue. In zusätzlichen 9 Verfahren steht der Vorwurf der Bestechung im geschäftlichen Verkehr im Raum. Betroffen davon sind Personen aus Agentur, von Werbekunden und Medien. Darunter auch der ehemalige Media-Direktor eines Genußmittelkonzerns. Ein jüngst genannter Vorstand eines Außenwerbeunternehmens soll Aleksander Ruzicka im geschäftlichen Verkehr bestochen haben. Beide bestreiten die Vorwürfe. Es gilt die Unschuldsvermutung. Lediglich die Urteile gegen Manuela Rasmussen und David Linn sind rechtskräftig. Beide Urteile waren nötig um Ruzicka verurteilen zu können. Ob und wann die laufenden Ermittlungen in Anklagen münden, ist zurzeit noch immer nicht absehbar. Sämtliche Ermittlungen gegen den damaligen CFO und heutigen CEO von Aegis Media Zentraleuropa und Afrika, Andreas Bölte, sind eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden könne bei Bölte keinen hinreichenden Tatverdacht feststellen. Gegen den langjährigen Finanzchef von Aegis Media, Hans-Henning Ihlefeld, gibt es keine Ermittlungen.
Der Prozess gegen den ehemaligen Geschäftsführer der Aegis Media Tochter Carat, Heinrich Kernebeck, kann frühestens Ende 2009 terminiert werden. Kernebeck war in der als anonymen Anzeige von Aegis Media nicht genannt. Seine Anklage war zunächst nicht zugelassen worden. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte dem widersprochen, weshalb auch Kernebeck der Prozess gemacht werden muss. Zunächst sind andere Verfahren der 6.Strafkammer unter Leitung von Richter Jürgen Bonk aus den letzten eineinhalb Jahren aufzuarbeiten. Zudem übersiedelt das Landgericht Wiesbaden in ein neues Justizzentrum. Die Verhandlung über die Klage wegen Schadenersatz von Aegis Media gegen die Werbeagentur ZHP, heute Wunschkind, ist ab September angesetzt. Über ZHP sollen 9 Millionen Euro aus dem Vermögen von Aegis Media abgeflossen sein. Da Aegis Media 7,5 Millionen Euro dabei als widerrechtlich betrachtet, fordert die Mediaagentur diesen Betrag zurück.
Mit einer zeitnahen Verhandlung der Zivilklage von Aegis Media auf Schadenersatz gegen Aleksander Ruzicka ist nicht zu rechnen. Gemäß Auskunft des Landgerichts Wiesbaden ist die Begründung der Klage dem Beklagten noch nicht zugestellt worden. Der eingeklagte Betrag, als auch die streitenden Parteien seien nicht identisch mit dem Inhalt der dringlichen Arreste, die Aegis Media Anfang 2007 auf das Vermögen von Ruzicka erwirkt hatte. Eine Verhandlung sei erst dann möglich wenn das Strafurteil gegen Ruzicka rechtskräftig ist. Bis dahin bleibt zunächst unklar ob und in welchem Umfang Agentur oder Kunden, oder beide von Ruzicka geschädigt worden sind.
An Bedeutung gewinnt auch dabei das Danone Urteil. Wie absatzwirtschaft berichtete, hatte das Landgericht München geurteilt, dass agenturbezogen und kundenbezogen gewährte Rabatte der Medien untrennbar seien, und vollständig den Kunden zustehen. Danone hatte die Aegis Media Tochter Carat zunächst für die Jahre 2003 und 2004 auf Schadenersatz verklagt. Dieser kann jedoch erst dann beziffert werden, wenn Carat Einblick in den tatsächlichen Umfang der von den Medien erhaltenen Rabatte gegeben hat. Carat verweigert diesen Einblick und hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Carat argumentiert, dass Danone alle zustehenden Rabatte erhalten und keinen Rechtsanspruch auf vollständigen Einblick in den tatsächlichen Umfang der Freispotkontingente habe. Danone war jahrelang Kunde von Carat. Zwei Wochen nach Ruzickas Trennung von Aegis Media und zwei Wochen vor seiner Verhaftung wechselte Danone im Oktober 2006 zur Düsseldorfer Mediacom.
Vor drei Wochen bezeichnete die Staatsanwaltschaft Wiesbaden das Danone Urteil im Prozess gegen Ruzicka als irrelevante richterliche Einzelmeinung ohne jede Bedeutung. Die Begründung des Danone Urteils war wesentlicher Bestandteil des Plädoyers von Ruzickas Verteidiger Marcus Traut. Zwei Wochen nach dem Urteil gegen Ruzicka ist vieles anders. Jetzt ist das Danone Urteil so bedeutend, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Verdacht des Betruges der Kunden gegen zunächst unbekannte Personen bei Aegis Media vorläufig eingestellt wurde. Zunächst müsste zivilrechtlich geklärt werden, wem die Freispots zustehen und wie die Verwendung der Erlöse aus kapitalisierten Freispots geregelt ist. Man werde ein rechtskräftiges Ergebnis der Danone Klage abwarten, so die Wiesbadener Ermittler heute.
Die Anklage gegen Ruzicka als auch das Urteil basieren auf der als erwiesen erachteten Annahme, dass die Mediaagentur über eigene Werbezeiten verfügt, diese verkauft, und die Erlöse daraus in der Agentur hätten verbleiben müssen. 36 Millionen Euro seien illegal aus dem Vermögen von Aegis Media abgeflossen. Zu großen Teilen über Emerson FF. Da Emerson FF jedoch auf Basis von Scheinrechnungen ohne ersichtlichen Rechtsgrund Gelder von Aegis Media erhalten hat, die vollständig in private Taschen geflossen sind – so Gericht und Ermittler – würde das für Ruzicka zunächst wenig ändern.
Die Kehrtwende der Staatsanwaltschaft Wiesbaden bei der Einordnung des Danone Urteils drängt den begründeten Verdacht auf, dass die Ermittler um jeden Preis eine Verurteilung erwirken wollten, um die frühzeitige Verhaftung Ruzickas auf Basis unvollständig eingesehener Unterlagen zu rechtfertigen. Denn bei den Hausdurchsuchungen am 12.9.2006 spielten grundlegende Verträge, Freigaben und Zahlungen der Werbekunden für die Buchung von Werbezeiten und –flächen keine Rolle. Erst nach Prozessbeginn ab dem 15.1.2008, fast eineinhalb Jahre nach Ruzickas Verhaftung, ließ das Gericht diese Verträge beiziehen. Danone hatte seinen möglichen Anspruch auf Rabatte und Schadenersatz am 28.12.2007 nur wenige Tage vor Beginn des Ruzicka Prozesses eingeklagt. Bereits Ruzickas Abgang bei Aegis Media als auch seine Verhaftung stand in zeitlichem Zusammenhang mit der Kündigung von Danone bei Carat, woraus die Klage resultiert. Zu Beginn des Ruzicka Prozesses wollte Aegis Media ein Schreibverbot für den Zuschauerbereich erwirken. So saß wohl auch ein Prozessbeobachter von Danone im Saal A135 des Wiesbadener Landgerichts. Dieser musste nur noch mitschreiben was beispielsweise TV-Werbezeitenvermarkter unter Wahrheitspflicht über Share Deal Commitments oder Ruzicka über Honorare und Konditionen von Aegis Media aussagte.
Der Ruzicka-Prozess entpuppte sich als Wettlauf mit der Zeit. Dieser fand – wie heute deutlich wird – zeitlich parallel aber inhaltlich völlig konträr zur Danone Klage statt. Carat hat die Danone Klage wiederholt mit Gutachten, Einwänden an Zuständigkeit oder Verjährung versucht in die Länge zu ziehen. Offenbar um ein Urteil in München zu verhindern, welches einem Urteil in Wiesbaden zuvor kommen und den „anonym“ geäußerten Vorwurf des schadhaften Verhaltens Ruzickas zum Nachteil der Mediaagentur infrage stellen könnte. Gleichzeitig stieg der Druck auf die Justiz mit jedem Tag, um den Ruzickas U-Haft verlängert werden musste. Diese Umstände drängen den begründeten Verdacht auf, dass auch Aleksander Ruzicka in Kenntnis dessen seinen Prozess bewusst in die Länge gezogen hat. Ein Machtkampf zwischen Ruzicka und Bölte. Dieser gipfelte in den Zeugenbefragungen von Aegis Media CEO Andreas Bölte im August und Dezember 2008.
Die Staatsanwaltschaft München hat unterdessen ihre Ermittlungen erneut ausgeweitet. Hatte sie zunächst nur gegen die Geschäftsführer der TV-Werbezeitenvermarkter IP Deutschland und SevenOneMedia wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr ermittelt, gerieten auch deren Geschäftspartner, die Mediaagenturen ins Visier. Diese stehen nun zusätzlich unter dem Verdacht, Rabatte veruntreut zu haben, die möglicherweise den Werbekunden vorenthalten worden sind. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft München, Anton Winkler, bestätigte, dass zur Vermeidung von 20 Hausdurchsuchungen gleichlautenden Herausgabeersuchen durch die beschuldigten Mediaagenturen entsprochen wurde. Kern der Ermittlungen sind nicht nur die Share Deal Commitments der TV-Werbezeitenvermarkter mit den Mediaagenturen, sondern vielmehr die bis dato strikt vertraulichen Sideletter dazu.
Die Münchner Ermittler gleichen nun die vollständigen Summen der von den Medien gewährten Rabatte mit dem ab, was davon bei den Kunden tatsächlich angekommen ist. Für den Vorwurf der Bestechung muss geklärt werden, ob die Vermarkter mit Share Deals das Buchungsverhalten der Mediaagenturen zu ihren Gunsten beeinflusst haben, und dies als Bestechung gewertet wird. Share Deals orientierten sich bis zu ihrer kartellrechtlich bestimmten Abschaffung im Jahr 2007 am Share of Advertising – den zu Jahresbeginn garantierten Anteil am Buchungsvolumen, den die Mediaagenturen bei den Medienhäusern von RTL und ProsiebenSat.1 buchen. Für den Vorwurf der Veruntreuung von agenturbezogen verhandelten, aber auf Kundenbasis gewährten Rabatten muss geklärt werden, ob der Inhalt der Sideletter den Werbekunden in transparenter Weise mitgeteilt, sowie in bilateralen Verträgen und Partizipationsmodellen vollständig berücksichtigt worden ist – oder ob Werbekunden Werbezeit berechnet wurde, die ihnen eigentlich kostenfrei zustand.
Wie Anton Winkler auf Nachfrage gegenüber absatzwirtzschaft ausführte, gebe es dabei rechtliche und tatsächliche Parallen zu den Ermittlungen in Wiesbaden, was den Umgang mit Freispots bzw. Cash- und Naturalrabatten betrifft. Jedoch werde in München nicht wegen möglicher Bereicherung von Privatpersonen ermittelt. Auch die Münchner Ermittler beachten sehr genau was das Landgericht München über den in München ansässigen Werbekunden Danone geurteilt hat. Auch hier bekommt das Danone Urteil eine wesentliche Bedeutung. Hielt Wiesbaden die Werbewirtschaft seit dem Jahr 2006 wegen dem angeblichen Fehlverhalten Einzelner in Atem, verlagert sich das Interesse nun auf die Entscheidungen in München und Karlsruhe. Bis dahin gilt für die tägliche Praxis der Abläufe zwischen Mediaagenturen, Werbekunden und Medien: Rechtssicherheit, Fehlanzeige! mz