Von Nils Jacobsen
‘Facebook ist so was von out!’ ‘Die Teenager flüchten!’ ‘Mark Zuckerberg ist der gefährlichste Mensch der Welt‘. Wie oft wurde in den vergangenen Jahren ein Abgesang auf das weltgrößte soziale Netzwerk und seinen Gründer und Konzernchef geschrieben, das wegen seiner undurchsichtigen Privatsphäreeinstellungen und der schrulligen Auftritte von Mark Zuckerberg nie ein Medienliebling war.
Der Tenor war: Wenn es mal wieder Zoff gibt, zieht ‘Zuck’ sein Büßerhemd an, spult ein paar vorgefertigte PR-Floskeln herunter – und zieht sein Ding, Facebooks Wachstum bis zur Vernetzung des letzten Erdenbürgers, gnadenlos durch.
Bis Mitte März kam Zuckerberg mit der Taktik trotz all der Medienschelte und der lästigen Kritik aus der Politik, vor allem aus Europa, bestens durch, weil er der Wall Street immer wieder die eine Währung präsentieren konnte, die wirklich zählt: nicht nur zweistelliges, sondern hyperbolisches Wachstum.
Historischer Kurssturz
Umsatz- und Gewinnsprünge von 50 Prozent und mehr waren bis vor einem Quartal noch der Alltag, wenn sich Mark Zuckerberg und Finanzchef David Wehner alle drei Monate der lästigen Telefonkonferenz mit Analysten stellten – und danach fast regelmäßig mit weiteren Kurszuwächsen und einem zweistellig steigenden Börsenwert belohnt wurden.
Das business as usual endete am Mittwochabend jäh. Mark Zuckerberg erlebte bei Vorlage der Geschäftsergebnisse für das abgelaufene zweite Quartal sein persönliches Armageddon: In der Spitze um 24 Prozent stürzte die Facebook-Aktie nach Bilanzvorlage und der anschließenden Telefonkonferenz ab und vernichtete dabei zwischenzeitlich fast 150 Milliarden Dollar an Börsenwert, ehe Schnäppchenjäger den Einbruch auf 20 Prozent bzw. eine Erosion von 130 Milliarden Dollar beim Börsenwert begrenzten.
Facebooks goldene Wachstums-Ära ist vorbei
Es sind historische Dimensionen: So brutal ist Facebook seit dem verpatzten Börsengang 2012 an einem Tag noch nie abgestürzt. Obwohl der Internet-Gigant weiter zweistellig wächst, stellt der 25. Juli 2018 tatsächlich eine Zäsur dar. David Wehner machte in der Telefonkonferenz mit Analysten Bemerkungen, die man noch nie aus dem Mund des Facebook-Finanzchefs gehört hatte – nämlich, dass sich die Umsatzverlangsamung in den nächsten beiden Quartalen fortsetzen dürfte – und zwar im verschärften Maße (im hohen einstelligen Prozentbereich, wie Marketwatch herausarbeitet).
In anderen Worten: Facebooks goldene Wachstums-Ära ist vorbei. Und zwar nicht nur beim Umsatzwachstum, sondern auch im Nutzerwachstum. Lediglich 22 Millionen neue täglich aktive Nutzer konnte Facebook in den 91 Tagen zwischen Anfang April und Ende Juni noch anlocken. Das ist der schwächste Wert, den Facebook seit Veröffentlichung der Metrik 2011 je kommuniziert hat, wie re/code herausarbeitet.
In Europa flüchten die Nutzer
Wie schnell das Pendel am Ende tatsächlich umschlagen kann, beweist eine andere Statistik, die das Facebook-Management alarmieren dürfte: Nicht nur, dass das Wachstum der täglich aktiven Nutzer im mit Abstand wichtigsten Werbemarkt, den USA, erneut bei 185 Millionen Mitgliedern stagniert (und das tatsächlich bereits seit einem Jahr) – in Europa geht es erstmals zurück!
Und das in beachtlichen Dimensionen: Nach 282 Millionen Nutzern im Vorquartal konnte das weltgrößte soziale Netzwerk in Europa 91 Tage später nun nur noch 279 Millionen täglich aktive Facebook vermelden – gleich drei Millionen weniger also!
Vier Monate nach den Enthüllungen um Cambridge Analytica steht fest: Der Datenskandal hat Facebook gerade auf dem alten Kontinent enorm Kredit gekostet. Die mediale Krise schien Konzernchef Zuckerberg halbwegs souverän gemanagt zu haben, das Krisenmanagement an der Wall Street geht indes in die nächste Runde – seit heute notiert die Facebook-Aktie für 2018 wieder im negativen Terrain.