Herr Professor Hannig, wie weit sind deutsche Unternehmen in Sachen Lead Management?
UWE HANNIG: In Deutschland gehört man beim Lead Management und insbesondere beim eng damit verbundenen Thema Marketing Automation, das für uns als Institut für Sales und Marketing Automation im Mittelpunkt unserer Forschungsaktivitäten steht, mit Sicherheit nicht zu den Innovatoren. Die Beharrungskräfte sind nicht nur bei mittelständischen B2B-Unternehmen trotz der ständig nachlassenden Erfolge des klassischen Vertriebs über Außendienstmitarbeiter immer noch ausgesprochen groß.
Diese Situation ist geradezu paradox. Denn man weiß in den meisten deutschen Unternehmen mittlerweile durchaus, dass in über 80 Prozent der Unternehmen der Kaufentscheidungsprozess bei Google beginnt und als Folge 60 Prozent der B2B-Kaufentscheidungen schon getroffen sind, bevor überhaupt ein Kontakt mit dem Vertrieb stattfindet, der dann auch noch von den qualifizierten Detailfragen der potenziellen Kunden völlig überrascht wird. Doch aus Angst vor den Konsequenzen dieser Entwicklung redet man sich ein, dass sie für das eigene Unternehmen keine Relevanz hat, weil die eigenen Kunden ja ganz anders agieren würden. Das ist natürlich ein Trugschluss, da in allen Branchen zunehmend Digital Natives Verantwortung übernehmen und sich beim Einkauf an ihrem Arbeitsplatz genauso verhalten wie im Privatleben. Und dieses ist der Generation Z besonders wichtig. Doch wer nur 9 to 5 arbeitet und von klein auf vorwiegend textbasiert kommuniziert, freut sich eben nicht über den spontanen Besuch eines Außendienstmitarbeiters seines Lieferanten. Ganz im Gegenteil will er die ihn interessierenden Fakten genau zu dem Zeitpunkt online erhalten, an dem er sie braucht – ohne dass er vorher selbst wusste, dass es so sein würde. Des Weiteren verringern automatisierte Einkaufsprozesse und Compliancesysteme immer mehr den Einfluss des persönlichen Vertriebs auf den Verkaufserfolg.
Als Konsequenz wird auch bei B2B-Unternehmen der Fokus vom Vertrieb hin zum oftmals nur rudimentär vorhandenen Marketing wandern. Selbst B2B-Unternehmen, in denen man Marketing nicht nur als Anhängsel des Produktmanagement betrachtet hat, stellt die sich abzeichnende neue Welt, in der Marketing, Vertrieb und Service miteinander verschmelzen und endlich gemeinsam die Customer Journey begleiten, vor große Herausforderungen. Denn die hierfür benötigten Marketingspezialisten sind rar und werden an den Hochschulen nach wie vor nicht ausgebildet. Wie Softwareunternehmen, die sich mit dem Cloud Computing einem völlig anderen Geschäftsmodell gegenübersahen, müssen nun auch klassische B2B-Unternehmen einen Paradigmenwechsel vollziehen. Nach dem wenig erfolgreichen Versuch der evolutionären Transformation hat man sich bei den großen Softwareanbietern mittlerweile dazu entschieden, sich von den älteren Mitarbeitern zu trennen. Im Marketingbereich wird dies ebenso notwendig sein.
Obwohl die deutschen Unternehmen im Augenblick noch deutliche Defizite gegenüber amerikanischen Firmen im Lead Management aufweisen, muss man sich aber noch keine Sorgen machen. Denn wie beim Cloud Computing braucht man in Deutschland zwar etwas länger, um sich mit einem neuen Thema zu beschäftigen, ist dann aber eine Entscheidung gefallen, setzt man sie effizient und in kurzer Zeit um. Für innovative Dienstleister ergibt sich vor diesem Hintergrund und angesichts des gerade beschriebenen Mangels an Spezialisten für Sales und Marketing Automation heute schon ein sehr attraktives Betätigungsfeld.
Was kann Lead Management faktisch für Unternehmen leisten?
Die zentrale Aufgabe des Lead Management ist es, potenzielle in tatsächliche Käufer umzuwandeln. Dazu gilt es, die Interessenten auf ihrer Reise hin zum Kaufabschluss zum richtigen Zeitpunkt mit individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Informationen, Beratungsleistungen, Proben, Lösungen, Angebote etc. zu versorgen.
Lead Management umfasst somit im Einzelnen die Identifikation von Interessenten durch die Analyse von deren Onlineverhalten, die Generierung von aussichtsreichen Kontakten, das Sammeln und Anreichern von Daten zu diesen, die Zurverfügungstellung des für die Interessenten relevanten Contents an den von ihnen gewünschten Touchpoints, die Bewertung und Analyse der gezielt begleiteten Leads und die Festlegung des für die Auslösung der Kaufhandlung am besten geeigneten Vertriebskanals. Bei Tausenden von für eine positive Unternehmensentwicklung üblicherweise notwendigen Leads ist eine Automatisierung dieses Prozesses unabdingbar, wenn unverzüglich auf die Anforderungen des einzelnen Interessenten in seiner jeweiligen Such- oder Kaufphase eingegangen werden soll. Durch den Einsatz von Softwarelösungen zur Prozessautomation wird weiterhin sichergestellt, dass Marketing und Sales zukünftig besser zusammenarbeiten.
Sie führen aktuell eine Studie zum Status Quo von Sales und Marketing Automation durch. Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Zentrale Ziele der Studie „Automatisch besser? Die Zukunft von Marketing & Sales Automation in Deutschland“ sind die Erhebung des aktuellen Stands der Digitalisierung von Marketing und Vertrieb in deutschen Unternehmen im Allgemeinen sowie der Planungen bezüglich des Einsatzes von Systemen zur Marketingautomation im Speziellen. In diesem Zusammenhang wird beispielsweise auch die Frage beantwortet werden, ob die Anbieter der bereits implementierten CRM-Systeme im Rahmen der Auswahl von Marketingautomationslösungen einen Vorteil haben.
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