Von
Natürlich war das „TV Duell“ zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem SPD-Herausforderer Martin Schulz von Anfang an ein total verkorkstes Format. So wie im vergangenen Wahlkampf und in dem davor. Die Kanzlerin mag die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner nicht, das war ihr in der Sendung mehrfach deutlich anzusehen. Darum reduziert sie diese für sie unangenehme Erfahrung auf ein Minimum. Weil sie es kann. Sie hat die beteiligten Sender ARD, ZDF, RTL und Sat.1 praktisch erpresst: Entweder so langweilig und starr wie in den Vorjahren oder ohne mich.
Kaum aufschlussreiche Momente
Die Sender knickten ein und sie und die Zuschauer bekamen, was erwartet werden durfte: 97 hektische Minuten ohne Erkenntnisgewinn. Die interessanten Mini-Momente musste man mit der Lupe suchen. Unter dem Brennglas konnten wir dann zum Beispiel sehen, welchen Einfluss die neu eingestellten Medienberater (Ex-Schröder-Sprecher und Ex-Bild-Mann Béla Anda sowie der – achtung Ironie – „erfolgsverwöhnte“ Markus Peichl) auf Martin Schulz hatten. Schulz redete nun nicht mehr davon, dass er bald Kanzler sein wird, sondern er bemühte den Konjunktiv und betonte mehrfach, dieses und jenes würde er tun, wenn ihm denn die Bürger das Mandat geben würden.
„Fehlender Siegeswillen“
Die zur Schau getragene Siegesgewissheit des alten Schulz wirkte in der Tat ein bisschen lächerlich angesichts der schlechten Umfragewerte. Der neue Konjunktiv-Schulz kam dafür ein bisschen jammerig rüber. Ob das wirklich besser ist? Prompt attestierte ihm der Ex-CSU-Verteidigungsminister und Ex-Doktor Karl-Theodor zu Guttenberg bei der Nachbesprechung bei „Anne Will“ fehlenden Siegeswillen. Schulz, der arme Tropf. Man kann es dem Medien-Apparat einfach nicht recht machen. Ob die arg aufgesetzte Schlussansprache von Schulz, in der er sinnierte, was alles in 60 Sekunden passieren kann (Donald Trump kann schlimme Tweets abschicken etc.), auch eine Idee seines Berater-Stabes war? Das klang womöglich auf dem Papier ganz gut, in der Hektik der Sendung wirkte dieses auswendig gelernte, gedrechselte Statement aber seltsam deplatziert. Schulz ist eben kein Obama. Nun, die Herren Anda und Peichl, werden ihr Berater-Honorar gewiss nicht an den Erfolg von Schulz bei der Wahl geknüpft haben. Peichl hat Erfahrung mit Flops. Er hat als Medienberater schon die gescheiterte Kanzler-Kandidatur des Frank-Walter Steinmeier und den Niedergang der TV Sendung „Gottschalk live“ begleitet.
Musterfeststellungsklage– welch‘ Überraschung
Ansonsten wirkte Schulz teilweise fahrig, seine Angriffslust angestrengt. Sehr oft bedankte er sich für Fragen und war für Publikum und Kanzlerin in praktisch allem ganz und gar erwartbar. „Jetzt kommt bestimmt gleich die Musterfeststellungsklage“, ächzte Merkel, als es um die Rechte deutscher Autofahrer beim Diesel-Skandal ging und prompt bog Schulz damit um die Ecke. „Sie haben recht, jetzt kommt die Musterfeststellungsklage …“ Sein Witzchen, die Kanzlerin habe ihn wohl abgehört, lief ins Leere. Man konnte den SPD-Kandidaten lesen, wie ein offenes Buch. Auch, dass er die olle Kamelle von der Pkw-Maut auspackte und die Kanzlerin mit ihrer Zusage aus dem vorigen Duell, mit ihr werde es keine Maut geben (es gab sie dann doch), zu piesacken versuchte, kam für Merkel und Beobachter nicht überraschend.
Das Mienenspiel der Merkel
Und die Kanzlerin? Interessanter als ihre ebenfalls erwartbaren Aussagen, war das Mienenspiel der Merkel. Wenn Schulz mal wieder eine seiner Schein-Attacken ritt, guckte sie irgendwo zwischen genervt und angewidert. Manchmal zwang sie sich auch dazu, eine Art Lächeln aufzusetzen. Mit jeder Faser spürte man, wie sehr ihr diese Veranstaltung gegen den Strich geht. Mehrfach rief sie Schulz zur Ordnung, er möge ihr doch bitte keine Äußerungen einzelner CDU-Flügel vorhalten, es zähle allein der Parteibeschluss. Und Schulz? Er nickte und fügte sich. Die Chefin hatte ihn gerüffelt.
Viele Themen für zu enges Korsett
Die Moderatoren Sandra Maischberger (ARD), Maybrit Illner (ZDF), Peter Kloeppel (RTL) und Claus Strunz (Sat.1) waren wegen der Kurzatmigkeit des Formats auf die Rolle der Stichtwortgeber reduziert. Diese füllten sie aus. Nicht weniger und vor allem nicht mehr. Die einzige Überraschung war vielleicht, dass sich der sonst gerne als Populisten-Provo gebende Sat.1-Krachmacher Strunz weitgehend zurückhielt. Auch er entkam nicht dem eng geschnürten Korsett dieses so genanten Duells.
Kein Duell, kein Krawall
Umfragen sagen jetzt, Merkel sei irgendwie kompetenter gewesen. Die SPD leckt mal wieder ihre Wunden und redet sich Kleinigkeiten schön („Martin Schulz war angriffslustiger.“). Der allgemeine Tenor lautet, man habe kein „Duell“ gesehen sondern die Vorbereitungen auf eine neuerliche GroKo.
Abwarten.
Das „TV Duell“ passt nicht zum politischen System Deutschlands. In den USA oder Großbritannien mit ihren Mehrheitswahlsystemen ergibt eine solche Zuspitzung auf zwei Kandidaten Sinn, nicht aber im deutschen Wahlsystem, das auf Koalitionen mehrerer Parteien angelegt ist. Sinnvoller wäre ein Format mit Vertretern aller Parteien, die mutmaßlich in den Bundestag einziehen werden und dann bitte auch über mehrere Folgen. Das aber würde Merkel erst recht nicht wollen: Noch unkontrollierbarer, noch krawalliger. So ein bisschen Krawall gehört aber nun mal zur Demokratie dazu. Früher, in der Vor-Merkel-Ära, nannte man das bisweilen Debatte.
„Friss oder stirb!“-Programm
Womit wir beim Grundübel wären: Die Bundeskanzlerin hat die großen TV-Sender einmal mehr vorgeführt, geradezu erpresst, wie es der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender formulierte. Merkel und ihr Regierungssprecher/Medienberater Steffen Seibert haben den vier Sendern ein „Friss oder stirb!“-Programm vorgesetzt. Entweder ein Duell nach den Regeln der Kanzlerin oder kein Duell. Die Sender murrten ein bisschen und fügten sich.
Was wäre passiert, wenn die Sender auf stur geschaltet hätten? Motto: „Schade, dass Frau Merkel nicht an der Sendung teilnimmt, dann gibt es eben 90 Minuten mit Martin Schulz und Vertretern der kleineren Parteien.“ Hätte es sich Merkel wirklich leisten können, dass ihre Gegner die Bühne für sich haben? Wir werden es nie erfahren, denn weder die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF, die sich so gerne „staatsfern“ nennen ohne es zu sein, noch die privaten Sender RTL und Sat.1 hatten genug Mumm, einmal nicht nach den Regeln der Kanzlerin zu spielen. Was bei so viel Mutlosigkeit herauskommt, konnten wir dann alle am Sonntagabend auf vier gleichgeschalteten Kanälen besichtigen.