Von Nils Jacobsen
Es war wie immer: Tim Cook sprintet in Jeans und Turnschuhen auf die Bühne, wiederholt zweimal „Guten Morgen“ und hebt die gefalteten Hände wie ein Mönch – wenig später enthüllt er das neue iPhone.
Seit fünf Jahren geht das nun so. Fünf Jahre, in denen sich nicht nur viele Apple-Fans gewünscht haben, der Mann, der die nächste Apple-Keynote eröffnet, wäre sein Vorgänger Steve Jobs, der Apple zum Kultkonzern ge- macht hatte, der er bis heute ist. Ein halbes Jahrzehnt führt Jobs’ frühere rechte Hand Tim Cook Apple nun schon – die Bilanz kann sich zahlenmäßig sehen lassen. Der iPhone-Hersteller verdient 70 Prozent mehr und setzt 90 Prozent mehr um als zum Tod des ikonisch verehrten Gründers und wird an der Wall Street doppelt so hoch bewertet.
Apple anno 2016: Angekommen in der Normalität
Und doch strahlt Apples Stern in diesen Tagen nicht mehr so hell wie in den letzten Jahren der Ära Steve Jobs’, als ein bahnbrechendes Hitprodukt nach dem anderen die Fans verzückte: erst der innovative MP3-Player iPod, dann das epochemachende iPhone und schließlich nur zweieinhalb Jahre später das Tablet iPad. Die Kassenschlager sind in die Jahre gekommen: Der Aufwärtstrend des iPhones, mit dem Apple immer noch über 60 Prozent seiner Umsätze bestreitet, entwickelt sich seit Jahresbeginn rückläufig, während die iPad-Absätze bereits seit drei Jahren schrumpfen.
Als der Techpionier aus Cupertino vor zwei Monaten mit dem iPhone 7 bereits die neunte Generation seines Kultsmartphones auf den Markt brachte, hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Die legendären Schlangen vor den Apple Stores waren kürzer als sonst – in manchen Ländern wurden nur wenige Besucher gezählt. Staranalyst Ming-Chi Kuo von KGI Securities sagte erstmals fallende Absätze für ein neues iPhone voraus, während der deutsche Marktforscher GfK bereits zum Verkaufsstart in Europa und Asien eine Käuferzurückhaltung ausgemacht hatte. Auch die überschwänglichen Lobeshymnen in der Techpresse blieben aus: „Apple ist längst nicht mehr der Innovator, der er unter Steve Jobs war. Das iPhone 7 ist nicht mehr ein überlegenes Smartphone, das Apple aber zu einem Premiumpreis im Vergleich zur Konkurrenz verkauft“, erklärt Fondsmanager Douglas Kass von Seabreeze Partners. Auch der wichtigste Kritiker der Techpresse war offenkundig nicht begeistert: „Apple, der König des Geschmacks und Wagemuts, nimmt sich eine Auszeit“, urteilte der Gadget-Guru und frühere Jobs-Freund Walt Mossberg in seinem iPhone-7-Testbericht.
Damit fasste Mossberg in einem Satz die beiden Erfolgsgeheimnisse des Techpioniers zusammen, die Apple bis heute zum 600 Milliarden Dollar schweren Gorilla an der Wall Street gemacht haben: die Kraft der Innovationen und die Macht des Marketings. Was Apple seit der Erfindung des ersten Macintosh 1984 gelungen ist, ist zahlreich in die Annalen der Techhistorie eingegangen: der erste Personal Computer mit einer grafischen Benutzeroberfläche, die erste Mouse, der erste Computer, der den Desktop in den Monitor Integrierte – vom Siegeszug der iÄra ganz zu schweigen.
Zur anderen Hälfte basiert Apples unglaublicher Erfolg aber auch auf den besten und effektivsten Marketingmaßnahmen, die die Wirtschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten gesehen hat.
Ikonische Kampagnen: Von „1984“ über „Think Different“ bis „Get a Mac“
Für Steve Jobs war Apples Vermarktung immer Chefsache. „Beim Marketing geht es um Werte. Es ist eine komplizierte, laute Welt, und wir bekommen wenig Möglichkeiten, in Erinnerung zu bleiben. Deshalb sollten wir genau überlegen, welche Botschaft wir vermitteln“, erklärte Jobs bereits in frühen Jahren. „Einfachheit ist die ultimative Perfektion“, lautete bereits 1977, im Jahr zwei des Firmenbestehens, das Motto von Apple, das die erste Werbekampagne zierte, die den Apple II als „den Personal Computer“ positionierte.
Als die Produkte in den dunkelsten Tagen Mitte der 90er-Jahre nicht mehr taugten und Apple bei Steve Jobs’ Rückkehr 90 Tage vor der Pleite stand, wurde ein Lebensgefühl aus den Gründertagen bemüht – das des rebellischen Außenseiters. „An alle, die anders denken: die Rebellen, die Idealisten, die Visionäre, die Querdenker, die, die sich in kein Schema pressen lassen, die, die Dinge anders sehen. Sie beugen sich keinen Regeln, und sie haben keinen Respekt vor dem Status quo. Wir können sie zitieren, ihnen widersprechen, sie bewundern oder ablehnen. Das Einzige, was wir nicht können, ist sie zu ignorieren, weil sie Dinge verändern, weil sie die Menschheit weiterbringen. Und während einige sie für verrückt halten, sehen wir in ihnen Genies. Denn die, die verrückt genug sind zu denken, sie könnten die Welt verändern, sind die, die es tun“, lauten die ikonischen 99 Wörter der „Think different“-Kampagne, die Jobs mit der Werbeagentur TBWA, die bis heute für Apple aktiv ist, 1997 realisierte. Die Kampagne war ein Gegenentwurf zum Lieblingsfeindbild IBM (Werbeslogan für seine PCs: „Think!“), an dem sich Apple seit den Tagen der ikonischen Enthüllung des Macintosh abarbeitete („Am 24. Januar wird Apple Computer ‚Macintosh‘ vorstellen. Und Du wirst sehen, warum 1984 nicht wie ‚1984‘ sein wird.“) Nach Steve Jobs’ Rückkehr 1997 wurde Microsoft als der neue, alte Lieblingsfeind erkoren, der in der legendären „Get a Mac“-Kampagne („I’m a Mac, I’m a PC“) in den Nullerjahren vorgeführt wurde. Wieder repräsentierte Apple die coolere Gegenkultur. Im laufenden Jahrzehnt gelang Apple schließlich in den letzten Monaten von Steve Jobs der Aufstieg zum wertvollsten Konzern, der er bis heute mit wenigen kleinen Unterbrechungen geblieben ist. Apple ist die Nummer eins der Welt – und damit das Gegenteil des rebellischen Außenseiters, als der sich der Techpionier so gerne inszeniert hatte.
Wenn schöne Bilder zur Parodie werden
Entsprechend vorsichtig verharren die Kampagnen heute beim totalen Konsens. Nach einer Konfrontation mit einem neuen Rivalen wie Google oder Samsung sucht man in der Apples Werbung vergebens: Der iKonzern konzentriert sich ganz auf sich selbst, und das weiterhin mit der Kraft der schönen Bilder. Mal fliegen bunte Ballons durch mystische Landschaften, mal zischen Blitze, mal lockt die nächtliche Skyline von Los Angeles – alles natürlich eingefangen vom neuen iPhone 7. Es sind kleine farbenfrohe Kunstwerke, die Apple 30 bis 60 Sekunden lang auf die Welt loslässt – ästhetischer hat Verbraucherelektronik nie den Weg in die Popkultur gefunden. Und wenn Apple wie für den Start seines Streaming-Dienstes Apple Music doch einmal direkt Pop-Prominenz für sich werben lässt, wird dafür Taylor Swift verpflichtet – als klinisch reines „All American Girl“ eine so sichere Nummer wie ein Disney-Film. Die tragende Rolle im Apple-Narrativ nimmt indes Designchef Jony Ive ein, der seit dem Tod von Steve Jobs um einiges sichtbarer geworden ist und in Apples Imageclips die Rolle des Produkterklärers eingenommen hat. Mit sonorer Stimme preist der 49-jährige Brite Jahr für Jahr die Vorzüge der Apple-Neuheiten im selben Sound und Vokabular an. „Wirklich bemerkenswert“, „wirklich außergewöhnlich“ und „wirklich nützlich“ seien die neuen iPhone-/ iPad-/Apple-Watch-Generationen, die stets mit der „am meisten fortgeschrittenen Technik“ das „Nutzererlebnis bereichern“ würden, erklärt Ive wieder und wieder. Selbst die skeptisch beäugten Drahtlos-Kopfhörer Air Pods und der digitale iPad-Stift Pencil wurden von Ive in Apple-üblichen Superlativen angepriesen; Spötter behaupten, der Designchef könnte im bekannten Muster auch eine Briefmarkensammlung verkaufen.