Die Luft wird dünner am deutschen Supermarkthimmel – zumindest online. Denn im Netz haben wir Deutschen seit dem Sommer nicht mehr nur die Wahl zwischen Edeka, Rewe & Co., sondern können unsere frischen Lebensmittel in Hamburg, Berlin und Potsdam nun auch bei Amazon Fresh erstehen. Dessen Angebot umfasst über 300.000 Artikel. Neben frischen Lebensmitteln und Produkten des täglichen Bedarfs bietet Amazon Fresh eine noch breitere Auswahl aus den Bereichen Küche, Sport sowie Spiel- und Schreibwaren. „Rewe und Kaufland kommen hingegen auf nur 10.000 – was weniger ist als in ihren Läden. Allein dadurch schafft Amazon für den Kunden eine ganz andere Qualität. Auch das Bestellen und die Auslieferung geht schneller und wird von Amazon Prime garantiert“, sagt Stephan Rüschen, Professor an der Hochschule DHBW Heilbronn im Studiengang BWL-Handel mit Spezialisierung auf den Bereich Food/ Lebensmittelhandel.
„Technologisch werden wir nie besser sein als Amazon“
Dass Rewe den neuen „Eindringling“ auf dem Radar hat, zeigt ein Interview, das der Kölner Stadt-Anzeiger kürzlich mit dem Rewe-Chef Lionel Souque führte. Der verwies nämlich bei der Frage danach, ob denn alle Weichen im Konzern gestellt seien, auf die großen Herausforderungen, denen sich die Handelskette ausgesetzt sehe: Neben dem Verdrängungswettbewerb durch Aldi und Lidl, der Kostensteigerung auf allen Ebenen, dem demografischen Wandel und der Digitalisierung, nennt Souque auch Amazon als künftige Herausforderung und gibt zu: „Technologisch werden wir nie besser sein als Amazon“. Dennoch könne Rewe bei der Lieferung frischer Lebensmittel auf deutlich mehr Erfahrung zurückgreifen und merkt gegenüber der Zeitung an, dass sich der Erfolg von Amazon Fresh in den USA und Großbritannien noch in Grenzen hielte (wie erfolgreich Amazon Fresh bereits in Deutschland ist, können Sie übrigens der u.s. Grafik entnehmen). Als weitere Konkurrenten im Onlinehandel listet Souque weiter Lebensmittel-Lieferdienste wie Foodora und Lieferando. „Wenn jemand dort eine Pizza bestellt, kauft er sie nicht mehr bei Rewe ein.“
Rewe will zwei Milliarden Euro investieren
Auf diese Entwicklungen reagieren wolle der Konzern mit einer Erhöhung seiner Investitionen auf zwei Milliarden Euro im kommenden Jahr. Fließen werde das Geld in die Modernisierung der stationären Filialen, aber auch in die Logistik, die Digitalisierung und in die Qualifikation der Mitarbeiter.
Digitalisierung bereits angeschoben
Eine erste Offensive in Sachen Digitalisierung startet Rewe bereits im Sommer mit einem neuem Onlinemarktplatz. Über den können Kunden nicht nur aus dem Sortiment von Rewe wählen können, sondern auch Produkte anderer Hersteller bestellen wie Deko-Artikel, Spielzeug oder Geschirr. Oberstes Ziel sei es, „dass Kunden eine zentrale Anlaufstelle für ihren gesamten Einkauf des täglichen Bedarfs haben“, sagt Jean-Jacques van Oosten, Chief Digital Officer Rewe Group. Die erste Testphase startete mit Partnern wie Dallmayr, Mytoys oder Idee Creativmarkt. Doch nicht nur der Marktplatz war eine neue Entwicklung in der Rewe Group, auch die Discounter-Tochter Penny ist seit dem Sommer mit einem eigenen Onlineshop digital gegangen. Damit hatte wohl niemand gerechnet, fehlte von der Billigkette trotz der Präsenz von Mitbewerbern wie Lidl und Netto doch bisher jede Spur im Netz.
Eine Reaktion auf Amazon?
Sind diese Schritte von Rewe vielleicht eine Reaktion auf den Markteintritt von Amazon Fresh in Deutschland? Steigt der Druck, online breiter aufgestellt zu sein, um den US-Giganten nicht ungehindert auf die Überholspur rasen zu lassen? Laut Jörg Walbaum, Senior Rating Analyst der europäischen Ratingagentur Euler Hermes Rating, ist Rewes Kurs nur eine konsequente Fortsetzung seiner bisherigen Strategie. So geht Rewe bereits seit Längerem mit neuen On- und Offlineformaten in die Offensive. Im Vergleich zu unmittelbaren Wettbewerbern werde Rewe dadurch aktuell als viel innovativer bei den Konsumenten und im Markt wahrgenommen. „Zudem verfolgt Rewe im Onlinebereich ambitionierte Ziele. Im Jahr 2016 konnte Rewe im Onlinehandel bereits einen Umsatz von mehr als 100 US Dollar erwirtschaften. Bis 2020 will Rewe die Onlineumsätze auf 800 US Dollar steigern. Zur Umsetzung der Multichannel-Strategie gehört dabei auch die Eröffnung des Penny-Onlineshops, um die Zielgruppenbasis zu erweitern und sich gegenüber den Onlinestrategien der anderen Discounter zu positionieren, die bislang eher zögerlich agieren“, so Walbaum. Mit dem virtuellen Marktplatz-Konzept testet Rewe einen Online-One-Stop-Shopping-Ansatz, wie ihn auch Amazon und Co. verfolgen. Rewe will mit dem Ansatz auf den Konsumtrend reagieren, dass Kunden immer weniger Zeit für den Einkauf von Waren des täglichen Bedarfs aufwenden wollen“, weiß Walbaum. Auf den ersten Blick ähnelt es dem Amazon-Ansatz, „jedoch soll es im Gegensatz zu Amazon keine offene Plattform werden, sondern eine geschlossene Themenplattform mit Bezug zum Food-Geschäft. Vom Ansatz her ist es der richtige Weg, denn Plattformkonzepten und der sinnhaften Vernetzung verschiedener Teilnehmer gehört die Zukunft. Der Erfolg wird jedoch sehr stark von der Attraktivität der Partner, dem Servicelevel und der Differenzierung zu Amazon abhängen“, ist sich der Experte sicher.