Vor einigen Wochen habe ich mich an dieser Stelle zum Thema „Diversity als Managementaufgabe“ geäußert und erläutert, wie wichtig das Thema ist und was Führungskräfte tun müssen, wenn ihr Unternehmen hier wirklich weiterkommen möchte. Damit habe ich ein Schlaglicht auf einen Teil der sehr komplexen Herausforderungen geworfen, mit denen es Agenturmanager – aber nicht nur diese – in den kommenden Jahren mit Blick auf ihr Personal zu tun haben werden. Denn, so meine tiefe Überzeugung, wir sind bereits mitten in einem radikalen Wandel dessen, was wir früher unter „Führung“ verstanden haben. Dafür gibt es viele Ursachen, daraus ergeben sich erheblich Herausforderungen.
Eine der zentralen Herausforderungen besteht darin, dass der Bedarf an gut ausgebildeten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen vom Angebot aktuell und auch künftig nicht annähernd gedeckt wird. Dafür gibt es viele Belege, nur einer sei kurz erwähnt: Laut Hochschulrektorenkonferenz stagniert oder sinkt die Zahl der Hochschulabsolventen und Absolventinnen bis 2030. Die schon jetzt erheblichen Nachwuchsprobleme nicht nur der Agenturen werden also Bestand haben. Das bedeutet: mehr als je zuvor müssen Agenturen angesichts dieser Knappheit auf die Bedürfnisse und Anforderungen ihrer Mitarbeitenden eingehen, sonst kommen sie erst gar nicht oder gehen schlicht woanders hin.
Klassische Top-Down-Führung hat ausgedient
Darauf muss eine Organisation und deren Leitungsinstanzen eingestellt werden. Das vergleichsweise simple Modell bestehend aus Acht-Stunden-Tagen und festen Arbeitsplätzen im Büro plus Top-Down-Führung hat schlicht ausgedient. Mitarbeitende fordern deutlich mehr Flexibilität, was Arbeitszeiten und -orte angeht. Es ist zudem heute unumgänglich, sich als Führungskraft mit Themen wie Diversity, Inklusion und Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Diese wurden lange sträflich ignoriert, heute handelt es sich hierbei um Hygienefaktoren – wer die Themen auf dem Schirm hat, punktet dabei nicht als Arbeitgeber, sondern wird lediglich nicht von vorneherein von potentiellen und aktuellen Mitarbeitenden abgestraft.
Auf diese neue Arbeitswelt müssen Führungskräfte reagieren. „Management by Direction and Control“ ist hier ganz sicher nicht die richtige Antwort (war sie das jemals?). Es sind vielmehr neue Management-Skills und ein neues „dialektisches“ Verständnis von Führung notwendig. Konkret heißt das erstens: Es ist durch die Pandemie deutlich geworden, dass Mitarbeitende durchaus auch ohne direkten persönlichen Kontakt zur Führungskraft in der Lage sind, sehr gute Arbeit zu leisten. Die vorhandenen Fähigkeiten zu selbst-organisiertem Handeln plus Fachkenntnisse gilt es zu stärken. Zugleich aber muss ein Gemeinschaftsgefühl und eine Kultur geschaffen werden, damit die Agentur oder das Unternehmen nicht zu einem losen Netzwerk autonomer Mitarbeitender ohne echte Bindung gerät.
Zweitens: Auf der einen Seite braucht es ein Management der oben genannten unterschiedlichen Ansprüche der Mitarbeitenden und anderer Stakeholder. Dazu braucht es viel Empathie, Geduld und Offenheit. Es gilt Lösungen zu finden, möglichst vielen Lebensentwürfen von Mitarbeitenden entgegenzukommen. Auf der anderen Seite braucht es aber auch Durchsetzungsfähigkeit und Kreativität, schließlich muss die Agentur trotz aller Ansprüche weiterhin funktionieren. Teams müssen unter der Nebenbedingung flexibler Arbeitszeitmodelle der Teammitglieder arbeitsfähig bleiben – beziehungsweise den added value eines echten Teams bieten, gerade in der Kreation. Am Ende ist die Agentur schließlich auch dazu da, Kunden zufrieden zu stellen.
Das erfordert ein neues Führungsverständnis. Das „C“ in „C-Level“ steht heute eher für „Coach“ als für „Chief“. Und die Kernkompetenz ist vielleicht eher das Hinterfragen als das Anordnen. Führungskräfte müssen hier aber nicht nur anders agieren als zuvor, sie müssen diesen Themen auch mehr Gewicht geben. Das Gewinnen und Führen von Mitarbeitenden muss zum Nummer-Eins-Thema auf der Agenda des Top-Managements von Agenturen werden, sofern es das nicht schon ist. Ansonsten droht im schlimmsten Falle die paradoxe Situation, dass ihre Existenz trotz voller Auftragsbücher in Gefahr ist.