Ob Christian Greiner die Ehefrau seines Vaters überzeugen könnte? Dagmar Wöhrl, mit dem Nürnberger Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl verheiratet, ist Investorin bei der Fernsehshow „Höhle der Löwen“ und bewertet in dieser Eigenschaft findige Jungunternehmer. Greiner ist seit 2017 Eigner und Aufsichtsratschef der Wöhrl-Modehäuser, damals übernahm er das von seinem Großvater gegründete Unternehmen aus einem Schutzschirmverfahren. 29 Standorte gibt es bundesweit, vor allem in Bayern, vereinzelt auch in Baden-Württemberg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Ausgerechnet mit einer Kette des totgesagten stationären Mode-Einzelhandels will Greiner jetzt durchstarten.
Am Wöhrl-Stammsitz in Nürnberg versucht Greiner jetzt den Befreiungsschlag in einer Branche, die wirtschaftlich seit Jahren nur den Abwärtstrend zu kennen scheint. Die Umsätze im stationären Mode-Einzelhandel gehen nach unten, der Online-Handel gräbt an etablierten Geschäftsmodellen, Warenhäuser müssen schließen. Die Corona-Pandemie mit quälend langen Lockdown-Phasen ließ die Umsätze weiter absacken. Nun kommt der Kaufkraftverlust wegen hoher Energie- und Lebensmittelkosten hinzu, eine Rezession steht bevor.
Fast alle Kaufhäuser aus den Innenstädten verschwunden
Auch ohne Corona und Ukraine-Krise war die Situation für stationäre Einzelhändler wie Wöhrl nicht rosig. Prägten noch vor ein paar Jahrzehnten die Leuchtreklamen von Ketten wie Hertie, Horten oder Karstadt die Innenstädte in Deutschland – bis auf Galeria Karstadt Kaufhof sind sie alle verschwunden. Und dem letzten Warenhausdino, der dank einer Fusion und üppig geflossener Staatshilfe geblieben ist, geht es Berichten zufolge höchstens mittelgut. Unter anderem musste die vor zwei Jahren gerade noch gerettete Filiale am Münchner Stachus nun ihren Kunden Servus sagen. Der Wöhrl-Konkurrent C&A verlor etwa zwischen 2011 und dem Vor-Corona-Jahr 2019 fast eine Milliarde Euro Jahresumsatz. Andere müssen ebenfalls kämpfen.
Mit einem neuen Konzept, einem Strauß an Ideen und jugendlichem Ehrgeiz will Greiner – gleichzeitig Vorstandschef des Münchner Innenstadt-Warenhauses Ludwig Beck – nun für Wöhrl den Standort Nürnberg wieder neu beleben und damit auch ein Beispiel schaffen für andere. „Wir würden das nicht machen, wenn wir nicht wirklich daran glauben würden“, sagt Greiner. „Wir sind überzeugt, dass Innenstädte dann funktionieren, wenn man echte Einkaufserlebnisse schafft. Wenn man den Leuten etwas Außergewöhnliches bieten kann, über das Einkaufen hinaus, dann hat das Zukunft.“ Eine persönliche und qualitativ gute Beratung müsse dazu kommen – bei der Mode funktioniere das besser als etwa bei der Elektronik.
Jens Nußbaum, Abteilungsleiter beim Dortmunder Städteplaner-Büro Stadt und Handel, gibt Greiner und seiner Strategie recht. „Gerade jetzt muss man investieren, wenn man es kann“, sagt er. Der stationäre Handel werde zukünftig noch viel weniger das reine Produkt verkaufen können – die Konkurrenz des Online-Handels sei da viel zu dominant. „Was der stationäre Handel verkaufen muss, ist ein Lebensgefühl“, sagt Nußbaum.
Kunstausstellungen und Musikevents
Wöhrl nutzt nach dem Umbau des Komplexes rund um den Stammsitz nur noch 20.000 der 30.000 Quadratmeter Verkaufsfläche selbst. Den Rest vermietet die familieneigene Immobiliengruppe Tetris an Partner – darunter Serviceunternehmen wie die Deutsche Post, Gastronomen, Beauty-Experten und auch eine Aldi-Filiale. Kunstausstellungen und Musikevents sollen Menschen ins Kaufhaus holen und zum Bleiben verleiten, zeitgeistige Angebote wie DJ-Auftritte und Pop-up-Bars für Belebung und Ambiente gleichermaßen sorgen.
Einer der optischen Anreize soll eine drei Meter breite und 27 Meter hohe LED-Wand sein, die sich auf ganzer Höhe durch das neue Kaufhaus zieht. 40 Millionen Euro haben Wöhrl, Tetris und die Handelspartner in den Standort investiert. „Damit ist es derzeit eines der größten Projekte im deutschen Einzelhandel“, sagte Greiner.
Experte zweifelt an Erfolg des Konzepts
Einige Experten bleiben skeptisch. „Letztlich ist das ein Shopping-Center“, sagt Wirtschaftsprofessor Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Und dafür sei es wiederum zu klein. Heinemann ist Autor mehrerer Bücher zur Zukunft des Einzelhandels in Deutschland. Solchen Projekten wie in Nürnberg werde eine Chance gegeben, wenn die Verkaufsfläche 50.000 bis 100.000 Quadratmeter betrage – bei Wöhrl sind es insgesamt 30.000. Wöhrl widerspricht: Das Projekt sei keine Kopie eines Shopping-Centers. Immerhin seien zwei Drittel der Fläche vom Kerngeschäft eingenommen, es gebe keinen Anspruch auf ein Vollsortiment.
„Die Untervermietung von Fläche heißt im Endeffekt Rückzug“, sagt Heinemann. Der Handel sei insgesamt in einer dramatischen Situation. „Der Trend zurückgehender Umsätze und Flächen bei den Warenhäusern wird sich sicherlich auch in Zukunft fortsetzen“, sagt der Handelsexperte. Mono-Label-Läden wie etwa die Flagship-Stores der Sportartikel-Marken gehörten hier zu den Ausnahmen.
Von Michael Donhauser, dpa