Es dürften tatsächlich nicht die cleveren Bezahlinnovationen sein, die den Kunden künftig davon überzeugen, sein Portemonnaie zu Hause zu lassen. Es sind die digitalen Varianten der Maestro-Card, der Girocard und der – in Deutschland als Zahlungsmittel so unbeliebten – Kreditkarte.
Die Kreditkartenanbieter sind zurzeit eifrig dabei, ihre Karten mit Chips für Near Field Communication (NFC) auszustatten, einem Funkstandard zur drahtlosen Datenübertragung. Im NFC-fähigen Smartphone gespeichert, lassen sie sich berührungsfrei auslesen: Einfach das Smartphone aus der Hosentasche ziehen, aktivieren, entsperren, App finden und öffnen, bezahlen. Oder man lässt die potenzielle Geldübertragung im Hintergrund einfach immer mitlaufen und hofft, dass die Daten nicht in falsche Hände geraten, ohne dass man es merkt.
NFC ist einer der wichtigsten Treiber für das kontaktlose Bezahlen, meint auch Payment-Berater Maik Klotz. Ob das verwendete Endgerät dabei ein Smartphone, ein Schlüsselanhänger oder ein Wearable wie eine Smartwatch ist, spielt im Grunde keine Rolle. Denn die Technik hängt inzwischen nur noch an einem NFC-Chip – diesen muss man nicht unbedingt auf sein Smartphone aufkleben, er funktioniert auch auf anderen Endgeräten oder ganz einfach innerhalb des Portemonnaies. Auf der Akzeptanzseite sieht es bereits recht gut aus. Ende 2016 akzeptierten nach einer Erhebung des EHI Retail Institutes 60 Prozent der großen Handelsunternehmen in Deutschland kontaktlose Zahlungen und damit auch NFC-basierte Zahlungen mit dem Mobiltelefon.
Wenig Vertrauen und Verständnis
Ob der Komfortgewinn für den Endkunden reicht, um Mobile Payment tatsächlich zu einem schnellen Durchbruch zu verhelfen, bleibt fraglich. Ein sehr großer Hebel könnte in der Bezahlung am Automaten und im ÖPNV liegen. Doch sieht es hier nicht danach aus, als könne sich ein gemeinsamer Standard durchsetzen. Jeder Verband, jede Stadt kocht ihr eigenes Süppchen oder setzt auf den Bezahlchip Girogo in der gut verbreiteten Girocard.
Aber den deutschen Verbrauchern fällt der Abschied vom Bargeld schwer. Zwar hat sich Mitte der 1990er Jahre das Volumen der Kartenzahlung mehr als verdreifacht, wie eine aktuelle Kartenstudie des EHI Retail Institutes ergibt. Doch auch im Jahr 2016 flossen in Deutschland noch mehr als die Hälfte aller Umsätze als Bargeld in die Kassen. Viele Verbraucher misstrauen neuen Bezahlsystemen oder finden die Technik zu schwer verständlich.
Tatsächlich wird das ganze Dilemma der Branche, die nunmehr seit zehn Jahren ihren baldigen Durchbruch im Mobile Payment predigt, offensichtlich, wenn man einer Umfrage des Shopping-Daten-Spezialisten Pospulse unter 1.100 Konsumenten Glauben schenkt. Zwar würden sehr viele (72 Prozent) gerne mit einer Selfscanner-Kasse auschecken. Immerhin 40 Prozent können sich vorstellen, mobil zu bezahlen. Nur 16 Prozent haben es schon einmal versucht – das ist für Deutschland vermutlich schon eine sehr hohe Zahl. Payment-Experte Michael Hülsiggensen zieht ein ernüchterndes Fazit: „Die Einführung von digitalen Bezahlsystemen via Smartphone, Tablet und anderen mobilen Endgeräten verläuft tatsächlich erschreckend langsam.“
Nur ein Feature unter vielen
Die etablierten Kartensysteme wie Maestro dürften auf dem Weg in die Mobile-Payment-Zukunft schon deshalb die Nase vorn haben, weil sie nicht nur beim Endkunden etabliert sind. Auch der Handel scheut Aufwand und Zusatzkosten für die Implementierung spezieller Lösungen. Beispiel Paypal: Das so gut verbreitete Online-Bezahlsystem mit deutschlandweit rund 20 Millionen Kunden schafft es nicht, am Point-of-Sale (PoS) erfolgreich zu werden. Manche Händler können sich nicht mit der Gebührenstruktur anfreunden, die eine Kombination aus Basispreis und Umsatzprovision darstellt. Andere wollen nicht in die Paypal-Anbindung ihrer Kassensysteme investieren. Aus Sicht des Handels bringen Paypal-Zahlungen zu wenig Mehrwert. Dennoch möchte Hülsiggensen Paypal noch nicht abschreiben: „Paypal wird auch den PoS-Markt weiter aktiv angehen und sollte somit nicht unbeachtet bleiben.“
Derzeit versucht Paypal, den Druck auf den Handel zu verstärken, in dem man mit einer in dieser Größe nie dagewesenen Kampagne in TV, Print und OOH den Kunden auf seine Seite ziehen will. Der soll „das neue Geld“ beim Handel einfordern. Ein großer Hebel dabei könnte Omnichannel sein, denn immer, wenn der stationäre Laden auf sein Zusatzsortiment im Netz verweist, kommt schlagartig Paypal-Zahlung ins Spiel.
Vollautomatisches Bezahlen
Anders sieht das bei Payback aus. Dort wittern die Händler Zusatzumsatz durch Punktesammler. Der starke Marketingansatz des Loyalty-Anbieters, der bis zur Personalisierung der postalischen Mailings reicht, ist schon Argument genug. Außerdem können sich die Münchner als Datenlieferant positionieren.
Das wirklich Spannende an der Payback-Lösung ist aber, dass die Bezahlfunktion fast verschwindet. Sie ist nur ein Feature in der Payback-App, nicht mehr und nicht weniger. Der Mehrwert besteht nicht in der Bezahlfunktion. Händler, die heute bereits starke Apps im Markt haben, könnten daher nicht nur die Bezahlfunktion in die App verschieben, sondern auch den kompletten Check-out. Führt der Kunde permanent seinen digitalen Warenkorb mit sich, kann er letztlich vollautomatisch bezahlen, sobald er den Laden verlässt. Er muss also nicht mehr an der Kasse anstehen. Ein echter Mehrwert.
Genau in diese Richtung weist zum Beispiel die digitale Einkaufstasche von Twyst. Das Konzept vereint die Einkaufstasche mit einer App. Alle Produkte, die in der Einkaufstasche liegen, werden im Warenkorb einer App mitgeführt. Dadurch kann die App entweder passende Empfehlungen ausspielen oder die Bezahlung und den Check-out ermöglichen. Auch das wäre eine Blaupause für eine Stärkung der Marktbedeutung von Paypal.
Raum für Innovationen
Auch die Mehrzahl der Fintech-Innovationen konzentriert sich heute verstärkt auf den Mehrwert der gesamten Transaktion und weniger auf das Bezahlen selbst. Easycredit etwa bietet aktuell Ratenzahlung am PoS an. Unternehmen wie Lendstar verknüpfen die Bezahlfunktion mit Gruppenchat oder Peer-to-Peer-Funktionen. So kann man sich beispielsweise die Restaurantrechnung teilen. Allerdings ist Lendstar bislang nur in einem einzigen Betrieb in München pilotiert.
Payment-Berater Maik Klotz sieht aber auch eine interessante technologische Innovation auf den Markt zurollen. Die nächste Ausbaustufe des kontaktlosen Bezahlens sind biometrische Verfahren, wie etwa das Bezahlen per Fingerabdruck. Diese sind in der Lage, das Bezahlen einfacher zu machen und gleichzeitig Sicherheitsbedenken aufseiten der Endkunden zu beseitigen. „Innerhalb der Edeka-Gruppe können Sie Ihre Lebensmittel derzeit bei knapp 100 Händlern bequem und sicher per Fingertip bezahlen“, bestätigt Ulrich Kipper, Geschäftsführer der Lahrer IT-Werke, von denen das zugehörige Authentifizierungsverfahren Digiproof stammt.
Geringes Risiko für Händler
Letztlich handelt es sich dabei aber nur um Authentifizierungssysteme, die ja prinzipiell für jede Bezahllösung eingesetzt werden könnten. Es gewinnt, wer das leichteste „Onboarding“ für Händler und Kunden gleichermaßen zur Verfügung stellen kann. Der Erfahrung der letzten Jahre nach sind das Maestro, Kreditkartenanbieter und womöglich Payback. Und es ist zu erwarten, dass Google und Apple mit ihren auf hinterlegten Kreditkarten-Informationen basierenden Systemen Apple Pay und Android Pay auf dem deutschen Markt Fuß fassen werden.
Das Zünglein an der Waage für schnellere Innovationsgeschwindigkeit könnten eigentlich auch die Nahverkehrsbetriebe, die Automatenindustrie und die Stadtverwaltungen mit den Parkautomaten sein. Doch alle drei agieren zu heterogen und zeichnen sich durch hohes politisches Konfliktpotenzial aus. Experte Hülsiggensen sieht viel mehr den Laden an der Ecke als Wachstumstreiber: „Weiterhelfen können kurzfristig eher der Bäcker, Metzger und Kioskbetreiber.“ Wenn man sonntags seine Brötchen charmant mit dem Handy bezahlen kann, werde der Verbraucher einen Aha-Effekt erleben. „Das neue Bezahlmedium kann ausprobiert werden, ohne ein großes Risiko einzugehen“, sagt Hülsiggensen, „und es wird sich positiv herumsprechen“.
Mobile Payment ist ein wichtiges Thema der EuroShop 2017 in Düsseldorf. Die Messe ist für Fachbesucher von Sonntag, 5. März, bis Donnerstag, 9. März, täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Die Tageskarte kostet 70 Euro (50 Euro im Online-Vorverkauf), die 2-Tageskarte 90 Euro (70 Euro im OVV) und die Dauerkarte 150 Euro (130 Euro im OVV). Die Eintrittskarten beinhalten die kostenlose Hin- und Rückfahrt zur EuroShop mit Verkehrsmitteln des Verkehrsverbund-Rhein-Ruhr (VRR). Erstmals veranstaltet wurde die EuroShop im Jahr 1966 von der Messe Düsseldorf, sie findet im Drei-Jahres-Turnus statt. Ideeller Träger ist das EHI Retail Institute.