Mix aus Offline und Online machen Internetumfragen verlässlicher

Entscheidungsträger in Unternehmen brauchen Instrumente, die möglichst schnell, kostengünstig, flexibel und interaktiv die Meinung von Kunden und Nutzern erfassen. Eine ideale Plattform hierfür bietet das Internet. In aller Regel sind Online-Umfragen bisher jedoch nicht repräsentativ und daher nur sehr eingeschränkt aussagekräftig. Um die Vorteile von internetbasierten Befragungen nutzbar zu machen, hat die Unternehmensberatung McKinsey & Company daher eine Methode - abgekürzt ROW (Representative Online Weighting) - entwickelt, mit der sich die typischen Verzerrungsprobleme des neuen Mediums bereinigen lassen sollen.

Im Rahmen von Perspektive-Deutschland (www.perspektive-deutschland.de), Europas größter Internetumfrage, wurde die ROW-Methode erstmals in die Praxis eingeführt und mit großem Erfolg angewandt.
Auf Basis der neuen Methode ist es jetzt möglich, Kunden und Nutzer verstärkt in die Wertschöpfungskette von Unternehmen einzubinden – von der Marktforschung über die Produktentwicklung bis zur Steuerung des Vertriebs.

Das Internet als Kommunikationsmittel wird immer wichtiger
Auch wenn die New Economy in der Krise steckt, der Verbreitung und Anwendungsgebiete des Internets weiten sich ständig aus. So ist das Internet gerade dabei, sich weltweit als maßgebliches Kommunikationsmedium zu etablieren. Bereits heute sind über 40 Prozent der deutschen Bevölkerung über das Internet zu erreichen. Unter den 14- bis 29-Jährigen sind es sogar über 60 Prozent.
Inzwischen haben nicht nur die Dotcoms, sondern auch viele traditionelle Unternehmen das Internet als Medium für die Kundenkommunikation entdeckt. Schwarzkopf beispielsweise nutzt sein Women’s Net für Produkttests; 36.000 registrierte Teilnehmerinnen können hier systematisch zum Erfolg von Produkten und Marketing-/Vertriebskampagnen befragt werden. Content-Provider wie Spiegel Online laden ihre Leser ein, im Internet über zentrale Themen zu einzelnen Beiträgen abzustimmen. Bei Langnese kann man interaktiv die Darstellerin für den nächsten Fernsehspot auswählen.

Online-Marktforschung – ein Trend der Zukunft
Quer durch die Branchen bieten sich der Online-Marktforschung vielfältige Anwendungsmöglichkeiten mit enormem Wachstumspotenzial, wie eine aktuelle McKinsey-Befragung von ausgewählten Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen bestätigt. Für das Jahr 2005 erwarten die befragten Unternehmen einen Anteil der internetbasierten Marktforschung am Gesamtetat für Marktforschung von nahezu 40 Prozent. Fast ein Drittel der Unternehmen gibt an, bis dahin ganz sicher beispielsweise internetbasierte Kundenbarometer einzuführen; weitere 60 Prozent halten dies zumindest für wahrscheinlich.
Klare Stärken des Internets liegen aus Sicht der befragten Unternehmen vor allem in der Schnelligkeit, der Interaktion sowie der Möglichkeit, mit interessanten Zielgruppen selektiv in Kontakt zu treten (Schaubild 1). Von gut einem Drittel der Unternehmen werden auch die Kosteneinsparungen gegenüber traditionellen Marktforschungs-instrumenten als Stärke genannt.

Hauptmanko der Online-Marktforschung sind nach dem Urteil von gut zwei Drittel der Unternehmen die bisher ungelösten Repräsentativitätsprobleme. Hier wirken sich vor allem zwei Verzerrungseffekte aus (Schaubild 2): Zum einen verfügt eine deutliche, wenn auch rapide schrumpfende Bevölkerungsmehrheit immer noch über keinen Internetzugang. Zum anderen nimmt an Online-Umfragen in der Regel teil, wer teilnehmen will – ein kontrolliertes Auswahlverfahren gibt es nicht.
Beides sind keine neuen Probleme der Demoskopie. Auch traditionelle Umfragemethoden haben mit ähnlichen Repräsentativitätsproblemen zu kämpfen. Typischerweise erreichen sie nur Ausschöpfungsquoten zwischen 40 und 60 Prozent der zu befragenden Ausgangsstichprobe. Bei schriftlichen Umfragen sind es sogar nur etwa 30 Prozent. Gerade Opinion Leader, d.h. Leistungsträger und gesellschaftlich Engagierte, werden durch interviewergestützte Umfragen oder Telefoninterviews zu Hause nur schwer erreicht.

Neue Methodik macht Internetverzerrungsfrei
In Zusammenarbeit mit Prof. Daniel McFadden, dem bekannten Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, ist es McKinsey jetzt gelungen, die bislang hinderlichen internettypischen Verzerrungen erfolgreich zu beheben und die ROW-Methode (Representative Online Weighting) zu entwickeln.
Ausgangspunkt hierfür ist eine repräsentative Offline-Erhebung, die neben soziodemo-grafischen Daten auch grundlegende Einstellungen der Befragten erfasst. Mit Hilfe dieser repräsentativen Daten können beide Verzerrungseffekte, Internetzugang wie auch Teilnahmeselektion, gezielt adressiert und bereinigt werden.

  • Internetzugang: Nicht jeder verfügt derzeit über einen Internetanschluss. Und: Bestimmte Gruppen wie junge Akademiker sind unter den Nutzern in der Mehrzahl. Um diese Verzerrung zu bereinigen, ermittelt man auf Grundlage der Daten der Offline-Umfrage die Wahr-scheinlichkeit eines Internetzugangs für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Auf Basis dieser Wahrscheinlichkeiten können die Daten der Teilnehmer dann entsprechend gewichtet werden.
  • Teilnahmeselektion: Das Interesse an Internetumfragen teilzunehmen, ist unter den Nutzern unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Auswahl vollzieht sich also nicht gesteuert, sondern hängt allein von der Entscheidung des Einzelnen ab. Um dieses Problem zu lösen, wird die in der Online-Umfrage vorgefundene Verteilung von demografischen Merkmalen, vor allem aber auch von Persönlichkeitscharakteristika und Einstellungen, an die repräsentative Offline-Erhebung angepasst. Auch dies geschieht durch Gewichtung.

Beide Schritte werden jeweils iterativ durchlaufen, um das Antwortverhalten der Online-Umfrage an das der Offline-Umfrage in wesentlichen Merkmalen stetig anzunähern. Auf diese Weise wird die Online-Erhebung durch eine repräsentative Offline-Befragung mit üblicher Fallzahl gewichtet und kann dann direkt für tiefer gehende Analysen – etwa für bestimmte Zielgruppen oder Regionen – genutzt werden.
Bei Perspektive-Deutschland hat die neue ROW-Methode erfolgreich den Praxistest bestanden. Die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage mit 2.700 Teilnehmern wurden hier genutzt, um die Aussagen der 170.000 Teilnehmer der Internetumfrage zu gewichten. Dadurch war es möglich, repräsentative Aussagen bis auf Regierungsbezirke und Landkreise der Bundesrepublik herunterzubrechen.

Potenziale der Online-Marktforschung werden realisierbar
Die neue ROW-Methode zur Repräsentativgewichtung von internetbasierten Umfragen ermöglicht zum ersten Mal, die spezifischen Stärken des Internets voll zu nutzen: Schnelligkeit, Interaktivität, multimediale Darstellung, Selbstselektion und geringere Kosten. Es können jetzt Befragungen durchgeführt werden, die bisher nicht möglich oder zu teuer waren.

  • Produktentwicklung: Interaktivität und multimediale Darstellung machen es möglich, die Kunden via Internet systematisch zu den Erfolgschancen von Produktinnovationen zu befragen und besonders Erfolg versprechende Gestaltungsvarianten systematisch zu identifizieren. Die sich immer weiter verkürzenden Modezyklen machen es erforderlich, Kunden und Nutzer in immer kürzeren Intervallen zu befragen. Durch Kalibrierung mittels einer repräsentativen Offline-Umfrage ermöglicht die ROW-Methode repräsentative Aussagen.
  • Marketingeffizienz: Interaktivität und multimediale Darstellung machen es auch möglich, Zielgruppen systematisch nach der Attraktivität von Werbespots oder Slogans zu befragen, und das sowohl einmalig für Nischenmarken als auch kontinuierlich. Erfahrungsgemäß lassen sich für solche Themenstellungen Konsumenten leicht beispielsweise für ein Panel rekrutieren und die Ergebnisse, wie oben beschrieben, dann mittels der ROW-Methode kalibrieren.
  • Filialsteuerung: Unabhängigkeit von geografischen und zeitlichen Beschränkungen und insbesondere niedrige Kosten lassen das Internet als besonders geeignet erscheinen, eine Vielzahl von Kunden regelmäßig zu ihrer Meinung über die Qualität von vielen Filialstandorten zu befragen. In Verbindung mit einem Kundenpanel pro Filiale, das sich beispielsweise über einen existierenden Kundenclub rekrutieren lässt, ermöglicht die ROW-Methode auch hier repräsentative Aussagen.
  • Nischensegmente: Hohe Verbreitung, leichter Zugang unabhängig von geografischen Grenzen und Selbstselektion – die Teilnehmer entscheiden jeweils selbst, worüber sie Aussagen machen wollen – ermöglichen es, auch sehr spezielle und kleine Zielgruppen zu erreichen, die für klassische Erhebungsmethoden unerreichbar oder nur zu sehr hohen Kosten erreichbar wären. Auch bei diesen Gruppen lassen sich durch die ROW-Methode repräsentative Aussagen ableiten.

Online-Marktforschung als Ergänzung traditioneller Methoden
Online-Marktforschung wird im Regelfall die klassische Marktforschung nicht ersetzen können, jedoch dürfte sie sich schon bald als unverzichtbare Ergänzung traditioneller Methoden erweisen. Es ergeben sich viel versprechende, heute noch kaum absehbare Möglichkeiten der Verzahnung der Marktforschung mit den fundamentalen Geschäftsprozessen, insbesondere in Vertrieb, Produktion und F&E (Schaubild 3). Auf diese Weise kann die Meinung von Kunden und Nutzern kontinuierlich in die Unternehmenssteuerung einfließen.

Für viele Unternehmen lohnt es sich schon heute, die Kompetenz und Infra-struktur für die Nutzung bzw. auch Durchführung solcher internetbasierter Umfragen selbst aufzubauen (Schaubild 4). Dies gilt ganz allgemein für Unternehmen, die eine Vielzahl von Umfragen in kurzer Frist durchführen müssen bzw. sehr eng definierte Zielgruppen oder Fragestellungen intensiver untersuchen wollen; ganz besonders aber für Unternehmen, die es ohnehin gewohnt sind, im Rahmen ihrer Marketingstrategie eng mit Kunden zu interagieren, z.B. via Kundenclubs, Online-Communities oder auch Bonusprogrammen. Für sie kann und sollte Online-Marktforschung ein integraler Bestandteil des Tagesgeschäfts werden. Zwei Grundkonfigurationen für die Durchführung von Online-Umfragen durch Unternehmen selbst oder Dienstleister sind denkbar:
  • Online-Panel: Häufige Befragungen können flexibel mit einem Online-Panel durchgeführt werden; die Teilnehmer lassen sich dafür aus den Besuchern der firmeneigenen Website oder über bereits existierende E-Mail-Adresslisten rekrutieren. Bereits bei der ersten Befragung sollten Stammdaten und grundlegende Einstellungen erhoben werden. Nach einer einmaligen Grundberei-nigung im Panel können diese Selektionseffekte dann für jede weitere Befragung automatisch herausgerechnet werden, da der Teilnehmer-stamm bekannt ist.
  • Online-Sample: Gelegentliche, breit angelegte Befragungen können mit einem Online-Sample durchgeführt werden. Hierfür werden die Teilneh-mer direkt und einmalig befragt, ohne in ein festes Panel aufgenommen zu werden. Die Selektion ist daher für jede Befragung neu zu bereinigen.

In beiden Fällen ist eine repräsentative Offline-Umfrage zumindest einmalig und über einen längeren Zeitraum wiederholt erforderlich, um die Repräsentativitätsgewichtung wie oben beschrieben zu kalibrieren.


Autor: Michael Kliger, Partner bei McKinsey & Company
eingestellt am 8. Juli 2002

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