Die Münchner Rodenstock Gruppe verbreitete vor kurzem eine frohe Kunde: Sie hat ein neues Darlehen über 395 Millionen Euro mit einer Laufzeit von sieben Jahren abgeschlossen und damit ihre langfristigen Verbindlichkeiten refinanziert. Darüber hinaus hat sich das Unternehmen eine neue revolvierende Kreditlinie in Höhe von 20 Millionen Euro gesichert.
„Die Refinanzierung ist ein weiterer Meilenstein für Rodenstock. Sie unterstreicht die erfolgreiche Transformation des Unternehmens und bekräftigt unsere aktuelle Strategie und Zukunftsaussichten. Nach unserer Rekordleistung im Jahr 2018 und dem guten Start in das laufende Jahr bleibt der Ausblick für unser Geschäft sehr positiv“, sagt Anders Hedegaard, der erst seit Februar 2019 CEO der Rodenstock Gruppe ist.
Rodenstock 2018: Rekordumsatz und -EBITDA
Hedegaards Optimismus lässt sich durchaus auch mit Zahlen belegen: Im Geschäftsjahr 2018 erwirtschaftete Rodenstock einen Umsatz von 425 Millionen Euro. Zum Vergleich:2017 lag der Umsatz noch bei 416 Millionen Euro. Das operative Ergebnis (EBITDA) erreichte mit 91 Millionen Euro einen neuen Rekordwert, der um zehn Prozent über dem Vorjahr lag (82 Millionen Euro). Die positive Entwicklung wurde vor allem durch Effizienzsteigerungen in Produktion und Logistik sowie durch einen weiteren Umsatzanstieg im Bereich Glas aufgrund der Marktposition bei Gleitsichtgläsern getragen. Ganz grob erwirtschaftet Rodenstock rund 80 Prozent seines Umsatzes mit der Herstellung von Gläsern.
Nach einer derartigen positiven Entwicklung hatte es vor einigen Jahren noch nicht unbedingt ausgesehen. Erst im Jahr 2016 musste der damalige CEO Oliver Kastalio einen Umsatzrückgang von 417 Millionen Euro auf 409 Millionen Euro verkünden (-1,8 Prozent gegenüber 2015). Das EBITDA der Rodenstock Gruppe sank im gleichen Zeitraum von 80,1 auf 75,6 Millionen Euro. 2010 hatte sogar eine Insolvenz im Raum gestanden.
Verantwortlich für den Rückgang sei in erster Linie eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens gewesen, hieß es 2016. So wurde eine eigene Eyewear-Organisation geschaffen. Zudem hat sich das Unternehmen auf die zwei Kernmarken Rodenstock und Porsche Design konzentriert und gleichzeitig einige andere Lizenzmarken wie Mercedes-Benz und Jil Sander aus dem Sortiment genommen. In Folge dessen war der Umsatz mit Brillenfassungen 2016 um sechs Prozent gesunken.
Marketingchefin Arnhold: „Erreichen unsere Ziele nur mit den Optikern“
Rodenstock konzentriert sich seit dem Umbruch auf seine Kernkompetenzen in der augenoptischen Industrie, insbesondere im Bereich Gleitsichtbrillen. Das hat auch Auswirkungen auf das Marketing des Unternehmens, wie Global Marketing Director Ulrike Arnhold im Gespräch mit absatzwirtschaft erklärt.
„Wir haben zwei Geschäftsbereiche: Glas und Fassungen. Im Bereich Glas sind wir absoluter High-Tech-Produzent, bei den Fassungen konkurrieren wir quasi mit Modemarken wie Boss“, sagt Arnhold. Den Finanzzahlen von Rodenstock entsprechend, fließen 80 Prozent des Marketingbudgets des Unternehmens in den Bereich Glas.
Um das Marketing von Rodenstock zu verstehen, hilft ein tieferer Einblick in das Geschäft mit den Gläsern: Rodenstock hat keine eigenen Läden, sondern setzt stattdessen auf einen partnerschaftlichen Marketing- und Vertriebsansatz mit dem Fachhandel, insbesondere den unabhängigen Optikern. Marketingchefin Arnhold sagt: „Wir haben immer einen Endverbraucher-Fokus, bei dem der Brillenträger im Zentrum steht. Aber wir erreichen unsere Ziele nur gemeinsam mit dem Optiker.“ Rodenstock setze verstärkt auf Co-Branding-Maßnahmen, „denn der Optiker ist ja auch eine eigene Marke“. Sowohl bei Mailings als auch bei Online-Werbung kann der Optiker stets auch der Absender sein. Arnhold sagt: „Wenn einer im Kino werben will, machen wir einen Kinospot. Und wenn einer ein Auto mit unseren Visuals bekleben will, dann machen wir auch das möglich.“
Im lokalen Bereich sind für Rodenstock und seine Optiker laut Arnhold zudem immer noch „klassische Maßnahmen die stärksten Treiber in der Sales-Aktivierung“. Als Beispiele dafür nennt sie Mailings und Kundenzeitungen für Optiker, bei denen Rodenstock das Template vorgibt und die Optiker dann in der Ausgestaltung Schwerpunkte setzen können. „Das sind sehr effektive Werbemittel, auch wenn sie weniger mit digitalen Trends zu tun haben, über die wir uns beispielsweise in der Produktion definieren“, sagt die Marketing-Expertin.
Research online, purchase offline
Die Marketingmaßnahmen von Rodenstock sind auch deswegen eher klassisch geprägt, weil das Brillengeschäft grundsätzlich stationär ist – nur fünf Prozent des gesamten Markts finden online statt. Rodenstock hat daher im Sinne von E-Commerce keine eigenen Vertriebskanäle. „Es geht im augenoptischen Umfeld viel um Messungen und Know-how in der fachkundigen Beratung. Es entspricht somit nicht unserem Qualitätsverständnis, unsere hochwertigen und auch hochpreisigen Produkte online zu vertreiben. Das Geschäft mit Brillengläsern ist sehr beratungsintensiv und individuell“, erklärt Marketingchefin Arnhold.
Trotz des stationären Geschäfts versucht Rodenstock, potenzielle Kunden im Vorfeld eines Optikerbesuchs so gut wie möglich zu informieren. Dafür will das Unternehmen noch in diesem Jahr einen neuen Online-Brillenberater ins Leben rufen, bei dem eine Brille vom Glastyp über die Beschichtung bis zur Fassung konfiguriert werden kann. „Die Kunden werden gemäß dem Trend ‚research online, purchase offline‘ von der Produktauswahl bis zur Optikersuche und finalen Online-Terminvereinbarung alle Schritte digital erledigen können. Das ist der Beitrag, den wir als Hersteller leisten können. Am Ende kauft der Kunde aber lokal im Shop“, fasst Marketingchefin Arnhold zusammen.
Für das Marketing von Rodenstock ist es die oberste Maxime, Maßnahmen durchzuführen, mit denen sich die Optiker differenzieren und Loyalität beim Konsumenten schaffen können. Immer größer wird dabei unter anderem der Bereich Gesundheitsvorsorge. Bereits seit 2012 bietet Rodenstock Medizintechnikgeräte an, sogenannte „DNEye Scanner“, mit denen Optiker so etwas wie einen „digitalen Fingerabdruck des Auges“ erstellen können, wie es Arnhold beschreibt (siehe Video unten). Dadurch können nicht nur hochindividualisierte Brillengläser für das schärfste Sehen produziert werden, sondern auch Gesundheitsrisiken erkannt werden. Sie sagt: „Optiker sind natürlich keine Ärzte. Aber wir glauben daran, dass sie mit Themen wie Screening und Vorsorge in Zeiten von Ärztemangel in eine Lücke stoßen und somit einen zusätzlichen Service für den Kunden bieten können.“ Der Optiker sei dementsprechend nicht mehr „allein Handwerker, der Gläser einschleift, sondern er kann auch eine fachkundige Rundum-Betreuung im Bereich Augengesundheit übernehmen und sich damit vom Wettbewerb abheben“.
„Ingenieure aus dem guten deutschen Mittelstand“
Zusammenfassend spielt die Digitalisierung für Rodenstock nicht unbedingt eine entscheidende Rolle im Online-Handel. Vielmehr bietet sie große Chancen in den Bereichen Produktentwicklung, Produktion, Kundeninformation und -service. In der Gesamtbetrachtung achtet das 1877 gegründete Traditionsunternehmen daher stets auf die richtige Mischung aus Tradition und Moderne. Marketingchefin Arnhold beschreibt es mit dem Claim „Inspired by the past, made for the future“. Sie sagt: „Wir haben uns schon immer über das Thema Innovationen definiert – von der ersten patentierten Brille über Pionierarbeit bei Kunststoffgläsern bis zur digitalen Augen-Screening-Technik. Wir sehen uns aber genauso auch als bodenständige Forscher und Ingenieure aus dem guten deutschen Mittelstand.“
Unternehmensinfos Rodenstock
- Gründungsjahr: 1877
- Hauptsitz: München
- CEO: Anders Hedegaard
- Global Marketing Director: Ulrike Arnhold
- Mitarbeiter weltweit: 4900
- Produktionsstätten: 14 Standorte in 13 Ländern
- Umsatz (2018): 425 Millionen Euro
- EBITDA (2018): 91 Millionen Euro