Es ist eine Crux: Die Ansprüche der Kund*innen steigen und entsprechend müssen sich Services und Lösungen weiterentwickeln. Damit wachsen die Anforderungen an die Kompetenz der eigenen Mitarbeiter*innen. Doch die Lücke zwischen Anspruch und tatsächlichen Fähigkeiten droht immer größer zu werden. Der Arbeitsmarkt für Fachkräfte ist weitgehend leergefegt und die wenigen, die noch erreichbar sind, haben die Qual der Wahl. Das trifft auch die Werbebranche.
Laut der ZAW-Jahresbilanz 2022 ist der Fachkräftemangel noch vor der konjunkturellen Lage das größte Wachstumshemmnis der Branche. Die größte Nachfrage besteht traditionell bei den Agenturen, die im Jahr 2022 rund 60 Prozent der Angebote stellten, vor den Werbetreibenden mit 30 Prozent und den Medien mit 11 Prozent. Die werbenden Unternehmen benötigen Personal im Bereich Marketing und Werbung – gefragt waren vor allem Marketing-Leiter*innen. Bei den Medien wurden in erster Linie Media-Experten gesucht, insbesondere Medialeiter*innen waren sehr begehrt.
Fachkräfte sparen wertvolle Zeit und Ressourcen
Für ungeahnte Hilfe in dieser Misere – die nicht nur bestimmte Branchen, sondern die komplette Arbeitswelt hierzulande betrifft – könnte nun Künstliche Intelligenz sorgen. Sie kann wiederholende und zeitaufwändige Aufgaben automatisieren, mit denen Fachkräfte heutzutage noch allzu oft belastet sind. Oder sie kann als Assistenzsystem für komplexe Aufgaben eingesetzt werden, beispielsweise um neue Marketingstrategien zu entwerfen. Insbesondere die enorme Fähigkeit von KI große Datenmengen zu analysieren, dürfte wertvolle Arbeitszeit sparen und Entscheidungen beschleunigen – beispielsweise, wenn es darum geht, Märkte, Stimmungen oder die Wettbewerbssituation zu analysieren. Die freiwerdenden Ressourcen können dann besser verteilt werden.
„Was die industrielle Revolution für die körperliche Arbeit war, wird die KI-Revolution für die geistige, intellektuelle und auch kreative Arbeit sein“, sagt Carsten Rasner, Geschäftsführer des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW). KI sorge für Verschiebungen der Tätigkeiten, werde jedoch nicht der alleinige Heilsbringer für den Fachkräftemangel sein können. „Die große Disruption des Arbeitsmarktes wird nur dann positiv verlaufen, wenn sinnvolle und vor allem entlastende KI eingesetzt wird. Dies betrifft nicht nur die digitale Wirtschaft, sondern auch das Handwerk, den Dienstleistungsbereich oder auch die Pflege“, so Rasner.
Produktive Recruiting-Workflows dank KI
Insbesondere Software- und Technologiefirmen kennen das Problem des Fachkräftemangels aus eigener Erfahrung bestens. Einige von ihnen wollen mithilfe von KI nun dagegen vorgehen und ihren Kunden bessere Recruiting-Möglichkeiten an die Hand geben. Aus diesem Grund kooperieren die Softwareriesen Microsoft und SAP seit wenigen Wochen miteinander. Sie wollen bei ihren Kunden den Fachkräftemangel reduzieren, indem Microsoft 365 Copilot – eine Assistentenfunktion mit künstlicher Intelligenz für Microsoft 365-Anwendungen – mit der SAP HR-Software Success-Factors kombiniert wird. Personalverantwortliche in Unternehmen sollen dadurch das Potenzial von KI besser nutzen können, um Fachkräfte zu gewinnen und Teams weiterzubilden.
Noch ist in den Personalabteilungen vieles Handarbeit: Stellenausschreibungen müssen oft angepasst werden, da sich die geforderten Qualifikationen ändern. Ebenso müssen wettbewerbsfähige Konditionen recherchiert und festgelegt sowie clevere Fragen für Bewerbungsgespräche formuliert werden. Für eine KI sind solche Jobs keine große Herausforderung. Durch die Zusammenarbeit der beiden Software-Giganten können beispielsweise die Stellenausschreibungen in Microsoft Word erstellt und ohne Medienbruch mit der SAP-Recruiting-Lösung veröffentlicht werden.
Besseres Onboarding, gezieltere Weiterbildung
Mit KI-Unterstützung können sich HR-Verantwortliche dann nicht nur Stellenausschreibungen generieren lassen. Im Rahmen von digitalen Bewerbungsgesprächen kann die KI innerhalb von Microsoft Teams den Interviewer*innen auch Fragen vorschlagen, die auf dem Lebenslauf eines Bewerbers, der Stellenbeschreibung oder ähnlichen Aspekten basieren, um passende neue Mitarbeiter*innen zu gewinnen.
Generell werden Unternehmen mit Hilfe von KI aber nicht nur die Produktivität der Personalbeschaffung verbessern: Fachkräftemangel und zunehmende Arbeitsbelastung sind ein unangenehmer Doppelpack, dem sich auch mit Bildung und Ausbildung begegnen lässt. Im Schulungsbereich können KI-Systeme beispielsweise personalisierte Schulungsempfehlungen geben, die zu den Karriere- und Entwicklungszielen der einzelnen Mitarbeitenden passen oder sie helfen als Lernwerkzeug dabei, neue Mitarbeiter*innen einzuarbeiten.
Agenturen investieren in Mitarbeiter*innen
„KI wird nicht allein durch ihre Existenz einen Fachkräftemangel eindämmen – es ist weiterhin entscheidend, in Bildung und Ausbildung zu investieren, um sicherzustellen, dass genügend qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen“, sagt Nina Haller, Vorständin im Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA. Bei 80 Prozent der Agenturen bremste der Fachkräftemangel laut GWA-Frühjahrsmonitor 2023 die Geschäfte aus. Daher investierten die Dienstleister mehr denn je in ihre Mitarbeitenden: Bei fast 80 Prozent der Befragten haben sich die Kosten für Personal 2022 erhöht, was sich laut GWA-Prognose 2023 fortsetzen wird.
„Im Bereich HR und Operations sehen wir in Agenturen erste Use Cases, die speziell an der Verbesserung der Aus- und Weiterbildung arbeiten“, sagt Haller. Zum einen handle es sich um KI-basierte Lern- und Trainingssysteme, um die Aus- und Weiterbildung sowie das Onboarding von Fachkräften effizienter und effektiver zu gestalten. „Menschen können so schneller und gezielter ausgebildet werden und so auch Quereinsteigern einen besseren Einstieg ermöglichen.“ Zum anderen sieht man KI-gestützte Use Cases in Agenturen, um den zukünftigen Bedarf an Fachkräften in verschiedenen Bereichen vorherzusagen. „Dies kann Agenturen ermöglichen, proaktiv auf zukünftige Engpässe zu reagieren“, sagt Haller.
KI ist kein Heil-, aber ein Hilfsmittel
Generell erachtet man es beim GWA als sinnvoll, KI vor allem im Bereich der (Teil-)Automatisierung von Routineaufgaben einzusetzen, um Fachkräfte zu entlasten, die sich dann auf komplexere, spezialisierte Aufgaben konzentrieren können. Dazu gehören Haller zufolge alle Bereiche der Wertschöpfungskette: Research, Ideation, Kreation, Produktion, Aktivierung, Distribution, Reporting, Optimierung und weitere.
„KI ist kein Heilmittel für den Fachkräftemangel in unserer Branche, aber ein Mittel, um darunter leidenden Mediaagenturen zu helfen“, bestätigt auch Sara Sihelnik, Country Director DACH des Technologieunternehmens Quantcast. Sie sagt: „Alles, was automatisiert werden kann, sollte automatisiert werden.“ Das betreffe die Zielgruppen-Planung, Kampagnen-Aktivierung und -Optimierung und die Analyse der Kampagnen-Ergebnisse. Stattdessen sollten sich Sihelnik zufolge die Mitarbeitenden auf strategische und kreative Aufgaben konzentrieren, die eine KI nicht umsetzen kann. „Damit werden Job-Aufgaben auch vielseitiger und interessanter, weil die sich wiederholenden Aufgaben automatisiert werden. Die Mitarbeiter sind gefordert und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Mitarbeiter länger bleiben.“