Von Frank Puscher
Der Weg zu mehr Kreativität ist kürzer, als viele denken. Es geht nur selten um den „göttlichen Funken“. Viel häufiger geht es darum, lange etablierte Methoden und Werkzeuge richtig einzusetzen. Und es geht vor allem darum, Hemmschwellen abzubauen.
Kreativ-Trainer Florian Rustler macht nur wenige Vorbemerkungen, bevor er in die Ideenfindung mit seinen Gruppen einsteigt. Aber zwei davon sind wichtig:
- Die Bewertung von Ideen erfolgt erst in späten Prozessphasen. Das klassische deutsche „Ja, aber“ tötet Kreativprozesse und hemmt einen Teil der Teilnehmer. Das gilt es unbedingt zu vermeiden.
- Die angewandten Methoden sollten sauber getrennt werden. Jede Methode hat unterschiedliche Ziele und braucht ein verändertes Mindset. Für diese „Neuorientierung“ muss Raum gelassen werden.
Rustler unterscheidet in divergierende und konvergierende Methoden. Die divergierenden gehen nach außen, weg vom bisherigen Produkt oder Geschäftsmodell. Ziel dieser Methoden ist es, möglichst viele Ideen zu generieren, egal, wie absurd sie erscheinen mögen.
Konvergierende Methoden funktionieren zielgerichtet auf die Zielgruppen, Märkte oder Möglichkeiten des Unternehmens hin. Hier geht es darum, die vorher gefunden Ideen zu präzisieren, Prioritäten zu bilden und zu bewerten.
Fünf Werkzeuge
1. Querdenken
Querdenken ist keine Methode sondern eher ein Gattungsbegriff. Es geht darum, aus der verführerischen Linearität der kontinuierlichen Produktverbesserung auszubrechen und neue Impulse zu setzen.
Einen spannenden ersten Ansatz für divergierendes Querdenken bilden Assoziationsmethoden. Sie eignen sich auch gut als Icebreaker zu Beginn der Trainingseinheit. Es gibt unzählig viele Assoziationsübungen, hier drei zur Auswahl:
- Abstrakter Gegenstand: Zeigen Sie ein abstraktes grafisches Objekt, zum Beispiel ein gelbes Viereck. Fragen Sie das Publikum, was es hier sieht, zum Beispiel eine Telefonzelle von oben. Florian Rustler macht diese Übung zwei Mal. Nach der ersten Runde bittet er die Teilnehmer die Menge der gefunden Assoziationen zu zählen und diese Menge in der zweiten Runde zu verdoppeln. Es geht hier um die Quantität der Ideen und nicht um Qualität.
- Das sinnvolle Alphabet: Teilen Sie die Gruppe in Paare auf. Abwechselnd sagen beide Partner Begriffe, die drei Bedingungen erfüllen. Sie alle sollen zu einem Thema oder Gattungsbegriff passen, der vorher festgelegt wurde. Sie müssen mit dem jeweils nächsten Buchstaben des Alphabets beginnen und sie sollen einen Bezug zum davor gesagten Wort haben. Der Worterfinder darf eine Erklärung dazu abgeben.
- Erzwungene Verbindung: Die Methode hört sich sperrig an. Hier hilft ein abstruses Beispiel vom Trainer. Es geht um zwei Listen von Begriffen, die nebeneinander gelegt werden. Die Teilnehmer erklären der Reihe nach, wie die jeweils nebeneinander stehenden Begriffe miteinander verbunden sind oder verbunden werden könnten.
2. Die Fluchtmethode
Beschreiben Sie die zehn wichtigsten Eigenschaften eines Produktes oder Geschäftsmodells. Nun kehren Sie das ins Gegenteil um. Sie erzeugen also das potentiell schlechteste aller möglichen Produkte. Nun drehen Sie die Argumentationskette erneut und suchen nach einer Idee, wie die Abwesenheit einer wichtigen Produkteigenschaft für den Nutzer doch positiv sein kann.
Beispiel: Wenn Sie ein Hotelzimmer erdenken, das kein Bett hat, dann könnte daraus ein Hotelzimmer mit Hängematte werden oder mit einer gewärmten Sandkiste, in der man schlafen kann.
3. Four Actions Framework
Schon die „Rückkehr aus der Flucht“ ist eine konvergierende Methode, denn sie richtet sich auf Metaziele wie zum Beispiel die Kundenzufriedenheit. Das Four Actions Framework fokussiert konkreter auf Branchen oder Marktsegmente. Es ist Teil der Bue Ocean Strategie, bei der es darum geht, in „unberührte Gegenden“ vorzustoßen, also neue Kundengruppen zu erschließen.
Das Framework startet mit einer Arbeitshypothese. Über welches Marktsegment soll nachgedacht werden. Ist diese Ausgangsthese gefunden, werden vier Handlungen durchgeführt:
- Eliminieren: Was gehört endlich abgeschafft?
- Reduzieren: Was sollte in der betrachteten Branche eventuell verringert werden, um den Kundennutzen zu steigern oder die Kosten zu senken? (Manche ältere Branchenstandards passen nicht mehr zum modernen Nutzer)
- Erweitern: Was, aus dem bestehenden Segment, könnte man vergrößern und ausweiten, um den Nutzen der Kunden zu erhöhen.
- Erzeugen: Was fehlt im gesamten Segment, eventuell weil es (noch) nicht technisch machbar ist.
4. Die COCD-Box
Im nächsten Schritt geht es um die Bewertung der gefundenen Ideen. Auch hier taucht wieder das „Ja, aber“ Problem auf. Häufig gehen die kreativsten und auf den ersten Blick absurdesten Ideen verloren, weil es Bedenken hinsichtlich deren Umsetzung gibt. Manchmal ändern sich die Rahmenbedingungen aber über Zeit oder man recherchiert in ein Thema hinein und findet heraus, dass es sich doch lohnen kann, der Idee zu folgen. Die Idee aufzuheben lohnt sich also auf jeden Fall.
Die COCD-Box ist so simpel, wie man es sich nur vorstellen kann, aber sie hat eben einen separaten Raum für absurde Ideen oder solche, die ihrer Zeit eventuell voraus sind. Die Box besteht aus zwei Achsen und vier Feldern. Die horizontale Achse fragt nach dem Innovationsgrad der Ideen, die vertikale nach der Machbarkeit.
Links oben sind also die kaum machbaren und eher langweiligen Ideen. Die werden in den meisten Workshops einfach gestrichen. Links unten sind die „normalen“ Ideen, die auch einfach umzusetzen sind. Neudeutsch würde man von Low Hanging Fruits sprechen. Rechts unten sind die innovativen Ideen, die machbar erscheinen. Das ist in vielen Workshops der wichtigste Betrachtungsbereich.
Der rechte obere Quadrant gilt laut Erfinder Mark Raison als vernachlässigtes Segment. Weil diese „verrückten“ Ideen nur schwer umsetzbar scheinen, geraten sie aus dem Fokus. Aber schon allein der technische Fortschritt kann die Rahmenbedingungen in einem halben Jahr ändern.
Die Vorgehensweise: Malen Sie die COCD-Box auf das Flipchart, bestimmen Sie die maximale Anzahl an Stimmen pro Teilnehmer und lassen Sie diese dann im klassischen Metaplan-Verfahren die Ideen einordnen. Abschließend diskutiert man Unstimmigkeiten und erstellt innerhalb der Gruppen eine Prioritäten-Reihenfolge, die sich entweder an der Machbarkeit oder der Schöpfungshöhe orientiert.
5. Innovation Board
Von der Gruppe Dark Horse stammt dieser Ansatz. Hier geht es darum, Ideen prozessual zu verfolgen. Dabei stellten die Kreativ-Trainer von Dark Horse immer wieder fest, dass unterschiedliche Teilnehmer im Workshop gleiche Termini für verschiedene Dinge benutzen. Es gibt sozusagen Sprachbarrieren zwischen Projektleitern, Marketern, Codern oder Designern.
Das Innovation Board versucht, das zu vereinfachen und zu standardisieren, so dass die Ideen-Schmiede keinesfalls als Silo im luftleeren Raum hängen bleibt, sondern die Ideen strukturiert verfolgt, optimiert und im Idealfall umgesetzt werden.
Das Innovation Board unterteilt den Prozess in drei Phasen, Explore, Create, Evaluate. Davor steht noch die Inspirationsphase und danach folgt noch der Optimierungszyklus. In jeder Phase hat ein anderer Archetyp von Mitarbeiter „den Hut auf“. Dark Horse unterscheidet den Entdecker vom Gestalter. Und der Evaluierer ist oft der Manager oder Projektleiter.
Ganz wichtig: Zwischen den drei Projektphasen gibt es Übergabe-Workshops. Einen zum Start des Projekts, einen zur Übergabe an die Kreation („How might we?“), einen an die Evaluation („Verständnis-Prototyp-Übergabe“) und zum Schluss wird die Investitionsentscheidung diskutiert.
Das ganze Innovation Board kann wie ein formelles Framework benutzt werden. Dankenswerterweise stellt Dark Horse ein PDF des Schemas zum Download zur Verfügung.
Dies ist nur eine kleine Auswahl an Methoden und Übungen, die zeigen sollen, wie wenig „Hexenwerk“ hinter Kreativität steckt. Ganzheitliche Prozessmethoden wie Design Thinking, FourSight oder Creative Problem Solving enthalten oft einzelne dieser Elemente, stellen aber auch signifikant mehr Anforderungen an eine Unternehmensorganisation.