Sie haben mit der Bitfury Surround eine Blockchain-Technologie für neue Interaktionsmodelle zwischen Künstlern, Konsumenten und Plattenfirmen geschaffen. Warum ist es überhaupt an der Zeit für ein neues Interaktionsmodell?
Stefan Schulz: Die Musikindustrie agiert seit langem weit unter ihren betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Möglichkeiten. Auf der Umsatzseite für ‚Recorded Music‘ liegen wir noch immer deutlich unter den Zahlen von 1999, und das obwohl Musik so viel konsumiert wird wie nie zuvor. Insgesamt muss man sagen, dass es wohl kaum eine Industrie gibt, die derart schlecht aufgestellt ist, wenn es um Effizienzgewinne durch Technologie oder wertmäßige Übersetzung der datengetriebenen Wirtschaft in das eigene Business-Modell geht. Somit ist sie für die Datenwirtschaft, die mittlerweile die Weltwirtschaft dominiert, von allerhöchster Bedeutung, wenn auch noch immer in weiten Teilen unverständlich. Die administrativen Prozesse (Rechteklärung, Verwaltung, Verträge, Royalty-Auszahlung und Verteilung, etc.) der Industrie sind nicht mehr zeitgemäß, weil langsam, unflexibel, ineffizient, intransparent und kräftezehrend für alle Beteiligten. Hinzu kommt, dass das gesamte wirtschaftliche Wachstum der Industrie sich auf wenige Plattformen verteilt, die ihrerseits nicht alle Künstler gleichermaßen abbilden können. Zeitgemäße, datenbasierte, intelligente (A.I) und sichere Interaktionsmodelle werden dringend benötigt. In jedem Fall spielen Vertrauen und eine verständliche, standardisierte Datenbasis für das Wachstum der Branche eine zentrale Rolle. Dies erfordert die schnellstmögliche Schaffung von Transparenz und ein in jeder Hinsicht offenes, auf Kollaborationen ausgelegtes Ökosystem; beides Qualifikationen, die wir mitbringen.
Wie funktioniert die Blockchain-Technologie in Musikbereich – grob erklärt und nicht in der Sprache eines „Tech-Nerds“?
Blockchain ist einfacher zu verstehen, als die meisten Leute denken. Es ist eine Technologie, die es ermöglicht, Informationen sicher, unveränderlich und öffentlich sichtbar aufzuzeichnen. Die Blockchain-Technologie wurde vor zehn Jahren mit der Erfindung von Bitcoin eingeführt. Die Blockchain ist ein dezentralisiertes, also nicht durch eine einzelne Person oder Firma veränderbares Register zum Aufzeichnen von Informationen. Register sind die Grundlage für die Buchhaltung sowie wirtschaftliches Handeln und lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen. Ägypter verwendeten Papyrus für ihre Buchhaltung, moderne Gesellschaften verwenden Computer, bei denen Informationen auf Servern oder in der Cloud gespeichert werden.
Ein Block in einer Blockchain ist ein Computercode, der Informationen enthält. Blockchain eignet sich für alle Anwendungen, die Peer-to-Peer-Sharing von Werten oder Informationen verwenden. Einen Song zu streamen ist im Wesentlichen das Teilen von Werten, da ein Song intellektuelles Eigentum darstellt. Das Gleiche gilt für das Streamen von Videos oder jegliche Art des Konsums von geistigem Eigentum. Die Blockchain wird nicht zentral auf einem Server gespeichert, sondern dezentral auf vielen Servern, die überall auf der Welt betrieben werden (Mining). Dies macht die Blockchain extrem sicher, denn es ist unmöglich jeden „Server”, der involviert ist, lahm zu legen. Das Internet, wie wir es kennen, das primär die Funktion zum Austausch von Information hatte, verändert sich drastisch. Die Blockchain-Technologie ermöglicht es, eine Infrastruktur für den direkten, dynamischen Austausch von Vermögenswerten zu schaffen. Copyrights sind wichtige kulturelle Vermögenswerte, die bis dato aber ohne Konsens auf Augenhöhe mit ihren Urhebern gehandelt wurden. Genau an dieser Stelle möchten wir den Künstlern und der Industrie eine offene, auf Vertrauen basierte, kollaborative Lösung anbieten.
Musikindustrie mit und ohne Blockchain
Stichwort „Value Gap:“ Was kann Bitfury Surround zur Minderung des Missverhältnisses zwischen der Kreativindustrie und der Plattformökonomie beitragen? Insbesondere die Macht von Youtube ist in diesem Zusammenhang doch von immenser Bedeutung.
Zum Hintergrund: Eine Herausforderung, die die Musikbranche umtreibt, ist die Value Gap. Sie beschreibt eine Lücke für den Wert von Musik, die aus einem wachsenden Missverhältnis entsteht: Einerseits verdienen digitale Plattformen wie Youtube viel Geld damit, dass ihre User selbst Inhalte wie Musikvideos hochladen. Das Geld ziehen sie insbesondere aus Werbeeinnahmen. Andererseits kümmern sich die Portale aber kaum um die faire Bezahlung der Rechteinhaber. Die Refinanzierbarkeit von Inhalten in den digitalen Sphären ist somit nicht gesichert, weil große Streaming-Dienste wie Youtube die Lizenzen nicht zahlen. Die Labels verlieren bei solchen Plattformen, auf denen User selbstständig Musik hochladen können, jegliche Kontrolle über die Verbreitung ihrer Musik. Sie sind ohnmächtig. Das liegt in erster Linie an der inkonsistenten Anwendung des Online-Haftungsgesetzes, das viele digitale Plattformen dazu veranlasst, zu behaupten, sie seien nicht haftbar für die Musik, die sie der Öffentlichkeit zugänglich machen. Auch Youtube nutzt diese Begründung als ein Schutzschild, indem es behauptet, es sei rechtlich nicht verantwortlich für die Musik, die die User auf seiner Plattform verbreiten. Damit hält sich Youtube nicht an dieselben Regeln wie Spotify, Amazon Music oder Apple Music, die Lizenzgebühren an die Labels zahlen. Das Resultat ist unfairer Wettbewerb und ein spürbarer Einnahmeverlust für die Künstler und alle Musikschaffenden.
Vor allem ist es wichtig, die wirtschaftlichen Zusammenhänge zwischen Kreativ- und Datenwirtschaft zu verstehen, um sie neutral einordnen zu können. Ohne Vertrauen gibt es keine Künstler, keinen Content, keine Kunden, keine Daten, keine Wertschöpfung und sicher keine Artificial Intelligence oder gar Quantum Computing. Durch die Blockchain-Technologie wird Vertrauen wieder nachvollziehbar gemacht auf allen Ebenen. Unsere Surround-Plattform schafft die Grundvoraussetzungen für ein vertrauensvolles Miteinander. Sie liefert eine echte, sichere, unveränderliche und für alle Beteiligten zugängliche Datenbasis, macht also weltweit Fakten in Realzeit transparent. Ein wesentliches Instrument bei der Schließung des Value Gap durch eine blockchain-basierte Infrastruktur wird sein, dass (Musik-) Daten wieder von ihren Urhebern, also Künstlern und ihren direkten Partnern kontrolliert werden können, von der Bereitstellung bis zur Nutzung. Das nivelliert einen wesentlichen Teil der de-facto-Enteignung der Rechteinhaber im jetzigen von wenigen Digital-Service-Providern bestimmten Markt. Die Surround–Plattform ist offen und kooperativ, das heißt sämtliche Gewinne durch den Einsatz der Technologie, werden unter allen Marktplatz-Teilnehmern nach gemeinschaftlich festgelegten Schlüsseln aufgeteilt (Smart Contracts). Transparenz, Sicherheit und eine leistungsgerechte Teilung des Market-Cap schaffen Vertrauen und somit die Grundlage für gute Geschäfte, hohe Akzeptanz in der Öffentlichkeit und die langfristige Wertsteigerung auf allen Seiten.
Auf dieser Basis, in Verbindung mit Artificial Intelligence und offener Innovation, können dann die eigentlichen Themen zur Schließung der Value Gap von Entwicklern aus aller Welt bearbeitet werden. Ich denke da zum Beispiel an Advanced Analytics oder die Dynamisierung von Lizenzverträgen, die eine Abgrenzung von Promotion und Erlösmodellen vereinfachen. Ebenfalls interessant kann sein, die ungeklärte Nutzung von Rechten (zum Beispiel durch user generated content) entweder zu unterbinden, oder in Realtime gegen Vergütung freizuschalten. Außerdem ermöglicht Surround durch seine hohe Sicherheit, Smart Contracts, Finanzinstrumente, Audit-Fähigkeit und offene Schnittstellen einen vereinfachten Zugang neuer Anbieter und Entwickler zum Musik Entertainment Markt. Ein erhöhter Wettbewerb stärkt das Ökosystem und wird sich in jedem Fall positiv auf die Entertainment-Industrie auswirken.
Sie werben zudem damit, Betrug wie unbefugte Nutzung oder Datenverfälschung eindämmen zu wollen. Wie soll das funktionieren, müssten dann nicht sämtliche Künstler, Labels, Verleger, Verwertungsgesellschaften, Service Provider, Konsumenten und Entwickler Ihre Technologie nutzen – und das weltweit?
Nein, nicht unbedingt. Wer sich mit unserem offenen Ökosystem verbindet, der profitiert sofort von seiner Transparenz, Sicherheit und seinen Effizienzgewinnen. Sie haben allerdings recht, dass sich dieser Effekt durch die Anzahl der angeschlossenen Künstler, Firmen, Gesellschaften und Entwickler exponentiell erhöht.
Es steht uns in der Tat ein langer Prozess der Vertrauensbildung, durch Aufklärung und Motivation sehr unterschiedlicher Marktteilnehmer bevor, auf den wir uns aber im Hinblick auf die zu erwartenden Ergebnisse sehr freuen.
Blockchain ist für viele ein kompliziert klingendes Dickicht – insbesondere Akteure der Kreativbranche sind vermutlich nicht Feuer und Flamme, sich in die Welt der Daten-„Blöcke“ hineinzuarbeiten. Warum glauben Sie trotzdem an den Erfolg in der Entertainment-Branche?
Wir glauben fest an den Erfolg in der Entertainment-Branche, weil die Vorteile eines Blockchain basierten Ökosystems einfach auf der Hand liegen. Künstler möchten für ihre Arbeit angemessen entlohnt werden und brauchen Transparenz im Hinblick die Wertentwicklung ihrer Assets und Marken, weltweit und am besten in Echtzeit. Sie erwarten dynamische Verträge, möglichst hohe Vorauszahlungen, einen schnellen Cashflow, vollkommene Offenheit gegenüber Kooperationen und Innovationen sowie die ständige Kontrolle über ihr Produkt im Markt.
Jeder Künstler wird in Zukunft all diese Dinge papierlos bekommen und in Echtzeit auf seinem Handy abrufen können. Zusätzlich zur vollen Transparenz wird sie/er durch AI ständig in seiner Karriere unterstützt. Ich glaube, dass diese Erfahrung und die deutlich verbesserte Einkommenssituation, die meisten Künstler Feuer und Flamme werden lässt. Bitfury ist die größte full-service Blockchain-Firma weltweit, hat die Stärke und Größe diese innovative Technologie auch für die Masse zugänglich und kompatibel zu gestalten und neue Märkte zu erschließen.
Die Entertainmentbranche und die Musikindustrie sind nur einer davon, mit einer sehr hohen volkswirtschaftlichen Bedeutung, auch wenn wertmäßig häufig unterschätzt. Surround ist eine offene Plattform (Open Source), auf der jeder Anwendungen programmieren kann. Diese Anwendung werden wie „Apps” dem Content Creator das tägliche Leben in der Musikindustrie leichter, verständlicher und sicherer machen. Das im Hintergrund die Blockchain-Technologie abläuft bekommt der User gar nicht mit. Ich ziehe gerne den Vergleich zum Internet und großen Plattformen. Jeder von uns nutzt sie alltäglich, deshalb kann noch lange nicht jeder eine Suchmaschine programmieren oder technologisch erklären wie ein Streaming-Dienst funktioniert. Muss man als Nutzer auch nicht. Blockchain-Technologie und die daraus resultierenden Vorteile, sind viel leichter zu erklären als man zu meinen glaubt. Außerdem sind die Akteure der Musikindustrie sehr kluge Köpfe, sie werden verstehen wie Blockchain funktioniert, wie sie durch Surround ihr Geschäft optimieren, besser monetarisieren und sich selber größere Freiheit schenken. Unsere Plattform wird die Effektivität der Branche maximal steigern.
Gibt es bereits Akteure der Musikbranche, die Sie überzeugen konnten?
Ja, wir konnten bereits namhafte Künstler, Industriegrößen und Regierungen von dem Potential einer offenen, globalen Blockchain-Lösung für den Kreativmarkt überzeugen. Wir werden diese noch im ersten Quartal 2019 gemeinsam mit weiteren Nachrichten bekannt geben. Wir freuen uns auf, diesen großartigen und interessanten Weg, sind uns aber natürlich darüber bewusst, dass es kein kurzer wird.
Die Bitfury Group ist ein weltweit agierendes Unternehmen für Full-Stack-Blockchain-Technologie und wurde 2011 gegründet.
Die Fragen wurden von Herrn Schulz schriftlich beantwortet.