Herr Greiner, wie kamen Sie auf das Thema Migräne und wie entstand die Idee, eine Migräne- und Kopfschmerz-App zu entwickeln?
Die Idee kam durch meine Mitbewohnerin zustande. Sie leidet an Migräne und hatte die Vermutung, ihre Attacken könnten etwas mit Wetterumschwüngen zu tun haben. Wir haben dann zusammen recherchiert und gesehen, dass es sehr vielen anderen Betroffenen genauso geht. Viele solcher Fragen wurden in Foren diskutiert – und es gab nichts, womit man diese Zusammenhänge als Betroffener einfach mal untersuchen konnte. So kam ich auf die Idee, dafür eine Software zu entwickeln, die die Zusammenhänge zwischen Umweltfaktoren und Lebensstil auf Migräne untersucht. Mit M-sense haben wir als Startup nun genau solch eine Software in Form einer Medizin-App entwickelt.
Migräne ist oft von außen bestimmt, kann aber auch in vielen Fällen nur durch Medikamente behoben werden. Wann gelangt Ihre App an Grenzen?
Äußere Einflüsse spielen bei Migräne und Kopfschmerz eine zentrale Rolle: Ganz gleich, ob Wetter, Schlafverhalten oder die Ernährung, verschiedenste Faktoren können Auslöser für eine Schmerzattacke sein. Genau an dieser Stelle setzt M-sense an und verfolgt das Ziel, Menschen mit Migräne und Kopfschmerz zu Experten für ihre eigene Gesundheit zu machen. Über die Eingabe von Daten in das mobile Kopfschmerztagebuch können die individuellen Auslöser identifiziert werden. Auf dieser Grundlage bietet die App eine personalisierte, digitale Therapiebegleitung an.
Erklären Sie doch einmal, welche Bereiche es in der App gibt und wie so ein Tagebucheintrag aufgebaut ist.
M-sense besteht zum einen aus dem mobilen Tagebuch und zum anderen aus dem Active Modul, das nicht nur zu wirksamen Entspannungsübungen anleitet, sondern auch effektive Akut-Hilfe bietet und über einen Chatbot personalisierte Wissenslektionen vermittelt. Im mobilen Tagebuch werden die Tagesdaten dokumentiert und Kopfschmerzattacken gemeldet. Zur Pflege der Tagesdaten gehört auch die automatische Synchronisation von Wetterdaten wie Luftdruck, Luftfeuchtigkeit und Temperatur.
Zudem fragt die App Angaben zum Schlaf, dem allgemeinen Wohlbefinden, der Ernährung, dem Lebenswandel und der Gesundheit ab – darunter fällt zum Beispiel das Bewegungsverhalten, die Periode und die Medikamenteneinnahme. Zusätzlich dazu kann man weitere Auffälligkeiten als Notiz eintragen. Eine akute Migräne- oder Kopfschmerzattacke können Nutzer über die Funktion „Kopfschmerz melden“ festhalten.
Mit eurem Therapiemodul werden bei Ihnen Betroffene auch zu Migräne-Experten. Dafür wird unter anderem einen Chatbot eingesetzt. Welche Vorteile bietet das?
Unser Chatbot geht sehr stark auf die einzelnen Nutzer ein – mit anderen Worten: M-sense kommuniziert mit jedem Nutzer unterschiedlich. Wenn zum Beispiel dokumentiert wird, dass jemand besonders unregelmäßig schläft, klärt der Chatbot ihn über einen möglichen Zusammenhang zwischen Schlaf und Kopfschmerzen, beziehungsweise Migräne auf.
Nutzern im Tagebuch werden also direkt ausgewertet und von der Analyse-Software der App automatisch mit einbezogen, um neue Therapieansätze vorzuschlagen oder Nutzern Ratschläge zu geben. Dadurch können wir die Betroffenen ganz individuell unterstützen und die Lebensqualität effektiv verbessern.
Wie wichtig sind Daten für Ihre App und wie setzen Sie Big Data in der Migränetherapie ein?
Wir haben inzwischen über 70 Millionen Datenpunkte zu Migräne-Attacken, deren Symptomen und Einflussfaktoren gewonnen. Diese Daten können dazu beitragen, Wissen über die besten Therapieansätze für unterschiedliche Patientengruppen, bei denen ähnliche Symptome auftreten, zu entwickeln. Zusätzlich wollen wir diese Informationen auch mithilfe von künstlicher Intelligenz auswerten. Jetzt schon setzen wir unsere im Sinne der Betroffenen ein, um die besten Behandlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und die Ärzte bestmöglich zu unterstützen. Datenschutz ist dabei natürlich ein sehr wichtiges Thema für uns – schließlich haben wir es mit Gesundheitsdaten zu tun.
Datenschutz ist ein wichtiges Thema, gerade wenn es um Gesundheit geht. Wie gewährleisten Sie die Sicherheit der Nutzerdaten?
Wir halten uns nicht nur an die regulatorischen Vorgaben, sondern setzen darüber hinaus in allen Prozessen höchste Priorität in den verantwortungsvollen Umgang mit Nutzerdaten. So ist Datenschutz für uns nicht nur selbstverständlich, sondern eine ganz persönliche Herzensangelegenheit. Da wir uns bewusst sind, dass wir es bei Gesundheitsdaten mit besonders sensiblen Daten zu tun haben, sind wir in stetem Austausch mit anderen eHealth Startups darüber, wie man das Thema Datenschutz im Sinne der Nutzern gestalten kann. Zwei Bereiche spielen dabei für uns eine zentrale Rolle: Durch das sogenannte „privacy by default” haben wir interne Richtlinien, die festlegen dass die Voreinstellungen der App immer die höchste Form an Datenschutz gewähren. „Privacy by design” hingegen bedeutet, dass Datenschutz an jedem Schritt der Entwicklung ein der App von Anfang an mitgedacht wird, und so bestmöglich umgesetzt werden kann. Wir wollen beim Thema Datenschutz ein Vorreiter für Transparenz und Sicherheit sein.
Wie viel kostet die App für Nutzer?
Die App ist in der Basisversion für den Nutzer kostenfrei und dient als Schmerztagebuch, das auch über den Arztreport mit der behandelnden Ärztin besprochen werden kann. Das 2018 gelaunchte Therapiemodul M-sense Active ist dazu im Abo erhältlich. Es gibt verschiedene Varianten: Nutzer, die das In-App-Tool über ein Jahr hinweg testen möchten, zahlen 5,42 € pro Monat, bei der monatlich kündbaren Variante zahlen User 7,99 €/ Monat.
Haben Sie ein Marketingbudget?
In Sachen Marketing setzen wir auf ein starkes Community Building über unterschiedliche Kanäle (Online und Offline). Neben Ads versuchen wir vor allem, fundiertes Wissen über Migräne und Kopfschmerzen über unsere Kanäle zu verbreiten, Klischees abzubauen und setzen uns gegen die mit dieser chronischen Krankheit verbundene Stigmatisierung ein. Wir stellen Betroffene in den Fokus, denn Kopfschmerzerkrankungen sind bei jedem anders.
Wie sieht es mit Investoren aus?
Unser Startup Newsenselab GmbH wurde von Beginn an durch gut vernetzte Partnern, wie dem High-Tech Gründerfonds und Think.Health Ventures unterstützt. Bereits 2016 haben wir den Eugen Münch-Preis für Netzwerkmedizin bekommen und konnten im Zuge dessen weitere Partner in unserem Ökosystem gewinnen. Daraus entstand unter anderem eine Kooperation mit der Barmer GEK und Telekom AG, die sich auf das betriebliche Gesundheitssystem konzentriert. Zudem führen wir derzeit im Zusammenschluss mit der Charité in Berlin eine Studie zur Smartphone-gestützten Migräne-Therapie durch, die vom Innovationsfonds mit über drei Millionen Euro über drei Jahre hinweg bezuschusst wird. Damit möchten wir die klinische Wirksamkeit von M-sense nachweisen. In der Studie zur Smartphone-gestützten Migränetherapie, wollen wir dieses Konzept mit über 1000 Migräne-Betroffenen austesten. Langfristig kann die digitale Medizin auch zu großen Fortschritten im Bereich der „personalized medicine” führen, die dann die Erstellung einer individuellen Therapie ermöglicht.
Gibt es innerhalb der App auch Austausch unter den Nutzern selbst oder Links zu Gruppen/Ärzten und Co.?
Innerhalb der App gibt es keine direkte Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, aber in unserem Blog und unseren Social Media-Kanälen Facebook, Instagram und Twitter tauschen wir und die Nutzer uns gegenseitig aus. Hier werden nicht nur spannende Facts rund um das Thema Kopfschmerz und Migräne geteilt, sondern Betroffene berichten auch von ihren eigenen Erfahrungen und teilen Tipps, wie sie den Alltag mit Migräne und Kopfschmerz meistern.