Minus 62 Prozent: Die niederschmetternde Jahresbilanz von Twitter-CEO Jack Dorsey

Er kam als Hoffnungsträger und wurde schnell zum Problemfall: Vor einem Jahr wurde Jack Dorsey zum neuen Twitter-CEO ernannt. Bis dahin strauchelte der 140-Zeichen-Dienst an der Börse, nach Dorseys Ernennung ging Twitter an der Wall Street dann aber regelrecht in den freien Fall über. Dorsey selbst ist in Rekordzeit zur Belastung geworden
Blick ins Leere: Twitter-CEO Jack Dorsey ist ein Mann auf einer Mission – aber ohne Fortune

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Es sollte der große Befreiungsschlag werden: Der langjährige CEO Dick Costolo, mit dem die Wall Street nie ganz warm geworden war, räumte Twitters Chefsessel für den Mitbegründer des 140-Zeichen-Dienstes. Jack Dorsey würde zunächst auf Interimsbasis übernehmen – und die Aktie setzte nachbörslich zum Freudensprung von acht Prozent an. Genau ein Jahr ist die Ankündigung morgen her.

Bei 38 Dollar standen die Anteilsscheine von Twitter, als die Nachricht des Vorstandswechsels nach Handelsschluss kursierte, bei 14,61 Dollar dümpelte TWTR gestern an der New York Stock Exchange nach weiteren Kursverlusten herum. Nach Adam Riese hat der Hoffnungsträger damit happige 62 Prozent an Börsenwert in den zwölf Monaten nach Bekanntgabe der Personalie Dorsey pulverisiert – oder rund 17 Milliarden Dollar an Börsenwert vernichtet.

Viele Ankündigungen, wenige Veränderungen

Zahlen lügen bekanntlich nicht: Wohl selten hat ein CEO einem Unternehmen innerhalb eines Jahr einen größeren Bärendienst erwiesen als Jack Dorsey Twitter in den vergangenen zwölf Monaten. Dabei war Dorsey nicht untätig. Im Gegenteil: Der 39-Jährige übertraf sich noch während seiner dreimonatigen Interimsphase als CEO im Aktionismus, doch außer immer neue Ankündigungen zu machen, ist Dorsey wenig gelungen.

Was hat der Twitter-Chef nicht alles in den vergangenen zwölf Monaten angestoßen: Das lang erwartete News-Feature Moments wurde in den ersten Ländern ausgerollt, der Favoriten-Stern gegen Herzen ausgetauscht und bereits mit einem neuen Feature namens ‚Reactions‘ experimentiert.

Bild schlägt Text: Twitter wirkt im Zeitalter von Snapchat und Instagram wie ein Anachronismus

Dann verkündete Dorsey Veränderungen in der Timeline, die nun nach einem Algorithmus geordnet wurden,  was den Aufschrei #RIPTwitter provozierte. Schließlich stellte Dorsey gar den Verzicht der 140-Zeichen-Grenze in Aussicht, nur um wieder eine Rolle rückwärts hinzulegen. Am Ende gab Twitter als Kompromiss Änderungen bei seinem Zeichenlimit bekannt – Links, Fotos und Video sollen keine Zeichen mehr wegnehmen.

Allein: Geholfen hat der Aktionismus nicht, um Twitter gerade bei der jüngeren Zielgruppe beliebter zu machen. Der 140-Zeichen-Dienst stagniert nach aktiven Nutzern und wirkt im Zeitalter von Snapchat und Instagram wie ein Anachronismus – Bild schlägt Text.

Problematische Doppelbelastung, problematische Auftritte

Doch Twitters Produktentwicklung ist nur die eine Seite des Problems – die andere Seite ist Dorsey selbst. Vor allem die Doppelbelastung mit gleich zwei CEO-Posten – Dorsey fungiert ebenfalls als Chef des mobilen Bezahldienstes Square – erweist sich für ein Unternehmen, das sich mitten im existenziellen Turnaround-Kampf befindet, in der Praxis als absurdes Teilzeitkonstrukt.

Dorsey hätte sich entscheiden müssen – Twitter oder Square. Der 39-Jährige ist schließlich kein Messias, kein zweiter Steve Jobs, bei dem nur die Hälfte der Anwesenheit Wunderkräfte freigesetzt hätte. Durch seine fehlende soziale Empathie hat Dorsey, der in „Hatching Twitter“ als notorischer Eigenbrötler beschrieben wird, Twitter tatsächlich wohl mehr beschädigt als jeder CEO vor ihm.

Horror-Quartalsbilanz als CEO: Vier Bilanzen, vier Kursstürze

So gerieten Dorseys öffentliche Auftritte zum kompletten Desaster. Viermal trat der frühere Softwareentwickler bei Quartalskonferenzen vor Analysten – viermal wurde die Twitter-Aktie in den folgenden Minuten regelrecht heruntergeprügelt. Um  12, 13, 4 und 14 Prozent stürzte die Aktie ab.

Die Bilanzen waren gar nicht mal das ausschließliche Problem, es war Dorseys Unfähigkeit, mit Analysten zu kommunizieren. Immer wenn Dorsey den Mund aufmachte, ging es bislang mit der Twitter-Aktie bergab.