Eine „Mindset-Tour“ in ein wachstumsstarkes und chancenreiches Land: Innovationen made in Afrika

Die digitale Revolution verändert einen Kontinent, der lange als hoffnungslos galt und auch heute noch ein schlechtes Image hat. Wer weiß schon, dass es in Nairobi Hunderte Start-ups gibt und in Kigali Drohnen fliegen? Ein deutscher Trendforscher hat sich vor Ort umgesehen

Eine Trabrennbahn mitten in Nairobi, auf dem Gelände ein paar kleine Pavillons: Nicht unbedingt die Umgebung, in der man Innovationen vermuten würde. Doch genau hier hat die Unternehmerin Ng’endo Mukii ihr Studio eingerichtet: einen einfachen Raum mit Schreibtisch, Laptop und Google Cardboards. Die junge kenianische Regisseurin hat sich auf Virtual Reality spezialisiert – sie produziert Kurzfilme und
Werbespots.

Trendforscher Mathias Haas (l.)

Er ist nicht der Einzige. Das Interesse an dem Kontinent hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen, und das nicht erst, seit der Westen Fluchtursachen bekämpfen will. Das Image beginnt sich zu verändern: Afrika wird nicht mehr als hoffnungsloser Fall angesehen; insbesondere Länder südlich der Sahara gelten als wachstumsstark und chancenreich. Die digitale Revolution lässt möglich erscheinen, was über Jahrzehnte wenig mehr als ein Traum von Entwicklungshelfern war: dass der Kontinent ganze Entwicklungsstufen überspringt und schnell mit aufstrebenden Schwellenländern gleichzieht. Haas glaubt sogar, dass viele afrikanische Start-ups auch im Westen erfolgreich sein können.

Der jungen Generation geht es besser als ihren Eltern

Vorbild Afrika – das wäre ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel. Ganz unmöglich ist er nicht. Zwischen 2004 und 2014 stieg das Bruttoinlandsprodukt des Kontinents um durchschnittlich 5,5 Prozent im Jahr. Dann brachen die Rohstoffpreise ein. Doch für 2018 und 2019 sagt die Weltbank ein Wachstum von deutlich über drei Prozent voraus – auch wegen Reformen in einigen der 54 Länder. Die positive Entwicklung prägt den Alltag der Menschen, ihre Wahrnehmung und ihre Ambitionen. „Jedem meiner Gesprächspartner ging es besser als seinen Eltern“, berichtet Haas. In Nairobi erzählte ihm ein Uber-Fahrer, dass er erst als Teenager eigene Schuhe bekam. Seine Kinder hingegen könnten schon im Grundschulalter fernsehen.

Ein Scout des amerikanischen Thinktanks New York International, der im vergangenen Jahr die Innovationsszene in Äthiopien, Uganda und Südafrika in Augenschein nahm, urteilte, die Länder hätten „sämtliche Erwartungen übertroffen“. Auch der Innovation Accelerator, eine Initiative des World Food Programmes der Vereinten Nationen unter Leitung des Deutschen Bernhard Kowatsch, arbeitet mit afrikanischen Start-ups zusammen, um Hunger und Armut in der Welt zu bekämpfen. „Wir sehen jetzt viele neue Geschäftsmodelle, die es vor ein, zwei oder fünf Jahren noch nicht gegeben hat“, sagt Kowatsch (siehe Interview).

Transporte per Drohne, Kredite via SMS

Serienunternehmer Ashish Thakkar, ein Brite, der in Ostafrika aufgewachsen ist, schreibt in seinem Buch „The Lion Awakes“: „,Ich gründete in Uganda Mitte der 1990er-Jahre mein erstes Unternehmen. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass Afrika binnen 20 Jahren auf Investorenkonferenzen in Singapur und San Francisco als großartiger Wirtschaftsstandort gewürdigt werden würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Ich habe immer an Afrikas Potenzial geglaubt, aber diesen schnellen Fortschritt habe ich nicht für möglich gehalten.“

Filmemacherin Mukii, die Kurzfilme und Werbevideos produziert, arbeitet heute wie selbstverständlich mit Augmented und Virtual Reality. Jahrelang schlug sie sich als Freelancerin durch, im vergangenen Jahr gründete sie eine eigene Firma. „Menschen in Entwicklungsländern werden immer unterschätzt“, findet sie. „Wir werden als Almosenempfänger wahrgenommen. Dabei hat unser Reichtum jahrhundertelang die Entwicklung Europas befördert.“ Jetzt, glaubt sie, kann Afrika zeigen, was es kann. Als sie 2006 nach einem längeren Auslandsaufenthalt nach Kenia zurückkehrte, entdeckte sie überrascht, dass man dort via Handy Geld empfangen und überweisen konnte. „Das Konzept existierte damals weder in den USA noch in Europa“, sagt sie. „Es zeigt, dass wir selbst Lösungen für unsere Probleme finden können.“

50 Jahre Frieden – das macht keine Schlagzeilen

Woher kommt diese Dynamik? Ein wichtiger Grund ist die Verbreitung von Internet und Mobilfunk, die auch Menschen in strukturschwachen Regionen Zugang zu Wissen und Netzwerken gibt. „In immer mehr Entwicklungsländern werden Mobiltelefone nicht mehr vorwiegend zum Sprechen und Texten verwendet, sondern auch für M-Commerce und M-Banking“, schrieb die Welthandelsorganisation (WTO) bereits 2013 in einem Report. Auch die politischen Rahmenbedingungen für einen Aufschwung haben sich verbessert. Laut Thakkar wurden 1990 erst drei afrikanische Staaten demokratisch regiert, heute sei es fast jeder zweite. Die Tagesnachrichten freilich dominieren unruhige Staaten, wie zuletzt Simbabwe. Stabilität macht keine Schlagzeilen. „Wer weiß schon, dass in Botswana seit 50 Jahren Frieden herrscht?“, fragt Trendbeobachter Haas. Allerdings bedeutet die Abwesenheit von Kriegen nicht automatisch, dass es keine Risiken gibt. Botswanas Hauptstadt Gaborone bezeichnet Haas als „gefühlt nicht sicher“. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 18 Prozent, der Drogenkonsum ist hoch, fast jeder fünfte Erwachsene ist HIV-infiziert – ein ernstes Problem auch für die wirtschaftliche Entwicklung. Doch zugleich gibt es eine Start-up-Szene inklusive Innovation-Hub und Unternehmer wie den Möbeldesigner Peter Mabeo, der mehr als 30 Mitarbeiter beschäftigt und international erfolgreich ist. Afrika, das ist ein Kontinent der Extreme.

Zu den Staaten mit den besten Voraussetzungen für Investoren zählt Ruanda. Seit Ende des brutalen Bürgerkriegs  und Völkermords an den Tutsi Mitte der 1990er-Jahre hat das Land eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Präsident Paul Kagame herrscht diktatorisch, gilt aber auch als wirtschaftsfreundlich. Vor allem ist das Land sicher – manche vergleichen es bereits mit Singapur. Deshalb kann in der Hauptstadt Kigali ein Technologiezentrum wie Klab rund um die Uhr geöffnet haben, und deshalb fand dort im Juli der erste Youth Connekt Africa Summit statt, zu dem mehr als 3 000 junge Unternehmer, Wissenschaftler und Künstler zusammenkamen. Ehrengast des gigantischen Spektakels war Jack Ma, Gründer und CEO der chinesischen Plattform Alibaba. Kein Zufall.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.