Mikrotargeting: Wie Google und Facebook den Online-Wahlkampf beeinflussen

Jeder Anwender hinterlässt beim Surfen im Netz viele Spuren. Facebook und Google können auf dieser Basis auch dafür sorgen, dass die User nur maßgeschneiderte Botschaften im Wahlkampf zu Gesicht bekommen. Kritiker dieser Werbe-Verfahren sehen Gefahren für die Demokratie.

Es sind nur wenige Klicks bis zur spezialisierten Wahlwerbung für eine kleine Zielgruppe. Schnell die gewünschte Altersgruppe auswählen und ein paar weitere Infos über die Adressaten hinzufügen – und schon geht eine angepasste Wahlkampf-Botschaft bei Facebook online. Sehen können sie nur die Nutzer, die bei der Auswahl der Interessen nicht durchs Raster gefallen sind.

Das ganze Ausmaß zeigt die USA

Möglich machen das riesige Datenmengen, die im Internet und vor allem bei den Sozialen Netzwerken gespeichert werden. Denn mit nahezu jedem Klick hinterlassen alle Internetnutzer ihre Spuren – und zahlreiche Unternehmen warten nur darauf, diese sammeln, auswerten und für sich nutzen zu können. Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto genauer kann dann eine Kampagne angepasst werden. Welche Ausmaße das haben kann, hat der amerikanische Wahlkampf – und da vor allem das Team um Donald Trump – gezeigt. „Trump hat im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf völlig widersprüchliche Aussagen an verschiedene Gruppen gesendet“, sagt Martin Emmer, Experte für Politische Kommunikation an der Freien Universität Berlin. Und auch Fake News waren dabei.

Für Diskussionen sorgte etwa eine über Facebook verschickte Animation seiner Konkurrentin Hillary Clinton. Der Clip suggerierte, dass Clinton Afroamerikaner 1996 in einer Rede als Raubtiere bezeichnet hätte. Trumps Zielgruppe für diesen Beitrag: die Afroamerikaner. Ganz andere Werbebeiträge schickte Trumps Team gezielt an weiße Liberale und junge Frauen – also die Gruppen, die Hillary Clinton für einen Wahlsieg im November gebraucht hätte.

Mikrotargeting heißt die beschriebene Strategie und sie stellt den Wahlkampf im und mit dem Internet auf eine neue Stufe. Bei diesem Verfahren können mit Hilfe der analysierten Datenmassen immer kleinere Interessensgruppen mit der für sie zugeschnittenen Botschaft versorgt werden. Neben Alter und Beruf können so auf einmal auch der Musikgeschmack oder besuchte Veranstaltungen dafür sorgen, dass selbst Mitglieder einer Familie völlig unterschiedliche Botschaften derselben Parteien erhalten.

Gezielte Werbeanzeigen bei Facebook

Das ist die Zukunft von Wahlkämpfen: Es werden nicht mehr ganze Milieus angesprochen, sondern einzelne Gruppen dieser Milieus“, sagt André Haller, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Bamberg. Er ist sich sicher, „dass gezielte Werbeanzeigen bei Facebook das große Ding im Bundestagswahlkampf sein werden“. Die Daten seien aber auch wichtig für die Gesamtstrategie der Parteien, sagt Emmer. Denn auch in der realen Welt lassen sich die vor allem online ermittelten Daten etwa für den derzeit wieder in Mode gekommenen Haustürwahlkampf nutzen. Facebook nimmt aber eine besondere Rolle ein. Denn: „Facebook ist Datenanalyse und Kommunikationsprodukt in einem“, sagt Emmer. Zu den Werbemöglichkeiten bei Facebook gehören unter anderem die „Dark Ads“, die genau auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sind aber nicht auf der Seite der Partei oder des Kandidaten auftauchen. Nur die ausgewählte Zielgruppe kann sie im Newsfeed sehen. Ein Beispiel: Im März schaltete die CSU eine Werbeoffensive auf Russisch und adressierte Facebook-Nutzer, die sich für den umstrittenen Nachrichtensender RT interessieren. „Uns interessiert nicht der Sender RT, sondern uns interessieren die Deutschen aus Russland“, sagte damals CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.

Auch die anderen Parteien nutzen im Wahlkampf Dark Ads – und geben dafür teils viel Geld aus. „Wir geben als Bundespartei fünf Millionen Euro für den Wahlkampf aus – 500 000 Euro davon für den Online-Wahlkampf“, sagt etwa FDP-Sprecher Nils Droste. Vor allem über Google und Facebook nutze die Partei die Möglichkeit, Wähler präzise zu erreichen. Dabei würden aber nur anonymisierte und aggregierte Daten verwendet. „Wir verwenden keine Daten, die konkret auf einzelne Personen abzielen“, sagt Droste.

Digitale Wahlwerbung

Die Grünen investieren eine Million Euro in Anzeigen und Spots im Internet – und lehnen Daten auf individueller Ebene ebenfalls ab. Zielgruppenwerbung – auch Dark Ads – spielen sie ebenfalls aus, zu den Adressaten gehören dabei Tierschützer, Studierende oder Menschen mit sozialen Berufen. Erfolgreiche Kommuniaktion im Netz lebe davon, dass man durch gezielte Online-Werbung die verschiedenen Internetnutzer individuell ansprechen könne, sagt Grünen-Wahlkampfmanager Robert Heinrich. „Man kommuniziert sonst einfach an den Leuten vorbei.“ Damit der Wahlkampf transparent bleibe, werden alle Dark Ads der Grünen offen einsehbar auf deren Homepage gesammelt – allerdings ohne die eingesetzten Zielgruppen-Merkmale. Doch welche Folgen hat es für die Demokratie, wenn bestimmte Botschaften nur an ausgewählte Leute geschickt werden? „Wenn digitale Profile dazu genutzt werden, um kleinen Gruppen von Menschen zielgerichtet genau diejenigen politischen Botschaften zu vermitteln, die sie hören wollen, unterminiert das die Demokratie“, sagt Wolfie Christl. Digitale Wahlwerbung auf Basis von Nutzerdaten könnte manipulativ wirken, meint der Datenexperte aus Wien.

Wissenschaftler Emmer hält es für legitim, dass die Parteien mit den Online-Daten die Wünsche und Bedürfnisse der Wähler genauer ansprechen. „Das kann ja auch das Verhältnis von Politik und Wählern verbessern.“ Problematisch werde es, wenn sich die Botschaften der Parteien an die unterschiedlichen Zielgruppen widersprechen oder gar Fake News verbreitet würden. In Deutschland geht er aber nicht von solchen Ausmaßen aus: „Alle großen Parteien folgen da noch weitgehend ethischen Prinzipien.“

Auf die Grenzen der Technik weist letztlich ausgerechnet Alexander Nix hin. Der Datenexperte ist Geschäftsführer der umstrittenen Firma Cambridge Analytica und gehört damit selbst zu den Vorreitern des Mikrotargeting – auch auf individueller Ebene. Sowohl die Wahl-Kampagnen der Brexit-Befürworter als auch die von US-Präsident Donald Trump wurde von seinem Unternehmen mit tiefgreifendem Datenmaterial über die Wählerschaft gestützt.

„In politischen Kampagnen und in kommerzieller Werbung können solche Technologien einen großen Unterschied machen“, sagte Nix im März bei einer Online-Marketing-Konferenz in Hamburg. Aber: „Du kannst keine schlechten Kandidaten zu einem guten machen, und du kannst auch keine Wahl drehen.“

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