Wenn eher vereinzelt moralische Bedenken die Klugheit der Schlangen einschränken, dann tauchen auch „auf den ersten Blick störende“ Vorschläge auf: „Eine Aufnahmegebühr für Flüchtlinge“ (so Margit Osterloh und Bruno S. Frey in der NZZ am Sonntag vom 19. Februar 2017). Diese „bessere“ Lösung bringt vermeintlich nur Vorteile für alle Beteiligten: Gefahrlose Einreisemöglichkeiten für die betroffenen Menschen, Deckung der Kosten der Integration für die Empfängerländer, entwicklungsfördernde Überweisungen von Finanzmitteln an die Herkunftsländer.
Aus den üblichen Schreckensbildern wie Krisen, Tragödien oder Elend wird so eine attraktive „Win-win-Situation“. Das Vokabular lässt ahnen, worauf es hinausläuft: Unternommen wird der Versuch, die menschlichen Tragödien, politischen Kämpfe und kriegerischen Auseinandersetzungen zu überführen in ökonomische Herausforderungen, am Ende in ein Vermarktungsproblem.
Kontrollierte Einreisemöglichkeit
Die bessere Vermarktung des Themas soll erreichen, dass aus der „Angst vor den anderen“ (Zygmunt Baumann) „eine kontrollierte Einreisemöglichkeit unter humanitären Bedingungen“ wird. Das ökonomische Narrativ nutzt dann auch Begrifflichkeiten, die aus einer möglicherweise moralischen Frage eine geschäftsstrategische Aufgabe macht: „Aufnahmegebühr“, „Anteilscheine an der Landesgenossenschaft“, Festlegung von „Preisen“, erhöhte „Produktivität“ in den Empfänger- wie in den Herkunftsländern, effiziente „Märkte für Mikrokredite“, „Bildungskatalysator“, Aufbau von „Kapital“, „effizient“, „effektiv“. Die vorgeschlagene Lösung ist letztlich deshalb „besser“, weil sie höhere Chancen hat, dass „die Akzeptanz durch die lokale Bevölkerung steigen“ wird. Das Thema Migration muss nur besser verkauft werden.
Alles in allem also ein durchaus sympathischer Vorschlag in unserer vermarkteten Welt. In besonderem Masse klug wie die Schlangen. Offensichtlich klüger als die eingangs erwähnten Schlangen. Seine Attraktivität und Erfolgschancen basieren darauf, dass ihn die bessere politische Vermarktungsstrategie auszeichnet. Und er kommt prinzipiell ohne Moral aus. Dank optimaler finanzieller Regelungen lässt sich, so die Quintessenz des Vorschlags, die Berücksichtigung „humanitärer Bedingungen“ in der Migrationspolitik erfolgversprechend als die bessere, weil effizientere und effektivere, Geschäftsstrategie vermarkten.
Ohne moralische Imperative
Den imperialen Habitus des ökonomischen Weltgeistes kann man zumindest im vorliegenden Fall sicherlich wohlbegründet beklagen, denn es geht offensichtlich bei der Bewältigung von Massenmord und Massenflucht um moralische Herausforderungen: „Wir bewegen uns hier im Bereich der Rechte und Pflichten (jener Dinge, die die Moral zu ihrem Gegenstand macht und zu regeln versucht), nicht im Bereich der Gegebenheiten des Lebens, welche die Politik verwaltet und zu bestimmen trachtet.“ (Zygmunt Baumann). Man muss die Ökonomisierungsbestrebungen auch beim Thema Migration dann eben zur Kenntnis nehmen als weiteres Beispiel „der schleichenden, aber stetig und unerbittlich voranschreitenden Adiaphorisierung (Anm. d. Red.: die Verneinung der moralischen Bedeutung von Handlungen) des Feldes zwischenmenschlicher Beziehungen und Interaktionen, die dadurch einer moralischen Bewertung entzogen werden und deshalb in der Praxis als moralisch neutral behandelt werden.“
Auch moralische Debatten, also die Streitigkeiten über die Unterscheidung von „gut“ und „böse“, unterliegen dann ökonomischen Denkmustern. So definieren Kosten-Nutzen-Überlegungen, welchen Zielgruppen gegenüber moralische Verpflichtungen einzugehen sind. Klar ist dann: nur wenn es „uns“ etwas bringt auch „denen“ gegenüber. Ansonsten gilt „wir“ „first“. Schon den Zweiten bedroht die Mechanik und Unmenschlichkeit eines perfiden, aggressiven und feindseligen „upstream management of illegal migratory flows“ (britischer regierungsamtlicher Newsspeak). Kant wünscht sich im vorliegenden Zusammenhang übrigens ein „Weltbürgerrecht“: „Es ist hier … nicht von Philanthropie, sondern vom Recht die Rede, und da bedeutet ,Hospitalität`(Wirtbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern wegen, von diesem nicht feindselig behandelt zu werden.“ Kant hofft durch den Ersatz von Hostilität durch Hospitalität die Chancen einer friedlichen Welt zu erhöhen.