Für die Hartchrom AG Steinach, eines der führenden Unternehmen in der Oberflächentechnik, spielt die Kunden-Lieferantenbeziehung eine wesentliche Rolle. Zwischen den Key-Kunden und der Hartchrom AG besteht eine langjährige und kontinuierliche Zusammenarbeit. Daher lohnt es sich, in diese Kundenbindung zu investieren. Schließlich ist es mit weit höheren Barrieren und Kosten verbunden, einen neuen Kunden zu gewinnen, als einen alten Stammkunden zu binden.
Über die Bedeutung der Zufriedenheit ihrer Key Accounts ist sich die Hartchrom AG also durchaus bewusst. Doch es fehlte bislang an einem systematischen Ansatz, mit dessen Hilfe das Management die Kundenzufriedenheit erfassen und bewerten konnte. Deshalb wurde ein Ansatz entwickelt, der geeignet ist, die Kundenzufriedenheit von Key Accounts oder deren Verbesserung effektiv zu messen. Für dieses Vorhaben wurden bestehende und neue, innovative Methoden zu einem eigenen Ansatz entwickelt, dessen
Phasen das folgende Schema darstellt.
Die Messziele des Ansatzes sind, mittels einer Kombination von qualitativen und quantitativen Messverfahren zum einen die Zufriedenheit der Key Accounts zu erfassen und gleichzeitig neue Ansatzpunkte zur Steigerung der Kundenzufriedenheit zu identifizieren. Zum anderen soll eine Überprüfung der Übereinstimmung von Selbstbild und Fremdbild durch die zusätzliche Befragung von Mitarbeitern erfolgen.
Untersuchungsaufbau
In der ersten Phase erfolgte die Festlegung der zu befragenden Zielgruppen. Neben Mitarbeitern der drei wichtigsten Key Accounts, die einen bedeutenden Anteil am gesamten Jahresumsatz der Hartchrom AG aufweisen, sollten auch Mitarbeiter im eigenen Unternehmen interviewt werden. Eine Anfrage bei diesen wichtigen Key Accounts der Hartchrom AG bezüglich einer Teilnahme an einer Kundenzufriedenheitsbefragung stieß auf sehr positive Resonanz.
Als Zielgruppe eigene Mitarbeiter in die Befragung mit einzubeziehen hat zwei wesentliche Effekte: Einerseits werden die Mitarbeiter veranlasst, sich intensiv und bewusst in die Rolle des Kunden hineinzuversetzen. Dadurch entwickeln sie ein tieferes Verständnis für die Kundenwünsche und -bedürfnisse. Andererseits ist somit der Vergleich Selbstbild (= Ergebnis der Mitarbeiterbefragung) versus Fremdbild (= Ergebnis der Kundenbefragung) möglich. Durch diese Vorgehensweise kann die Kongruenz beziehungsweise die Abweichung zwischen Selbstbild und Fremdbild ermittelt werden. Dieses Verfahren zeigt auf, ob die Mitarbeiter das eigene Unternehmen, dessen Prozesse und Produkte genau wie der Kunde einschätzen oder ob eine Über-, beziehungsweise Unterbewertung vorliegt. Zusätzlich kann der Grad der Abweichung erhoben werden.
Als Messverfahren wurden das Service Blueprinting, die Dimensionale Kärtchenmethode und die Critical Incident Technique gewählt und miteinander systematisch verknüpft.
Den ersten Schritt stellte das Service Blueprinting dar, eine sogenannte „Blaupause“ des Dienstleistungsprozesses der Hartchrom AG.
Auf der Grundlage des Kundenpfades wurden bei den Key-Kunden die wesentlichen an den Entscheidungs-, Beschaffungs- und Weiterverarbeitungsprozessen beteiligten Personen (Buying Center) aus folgenden Abteilungen zur Befragung ermittelt: Technologie, Konstruktion, Beschaffung, Produktion und Qualität. Diese Personen stehen im direkten Kontakt zu Mitarbeitern der Hartchrom AG. Die Kontaktstellen wurden identifiziert und die entsprechenden Mitarbeiter der Hartchrom AG aus den Bereichen Verkaufsaussendienst, Verkaufsinnendienst, Qualitätssicherung, Produktionsplanung und Steuerung sowie der Produktionsleitung in die Untersuchung mit einbezogen.
Dimensionale Analyse ermittelt Faktoren für Kundenzufriedenheit
Im nächsten Schritt wurde in einem Brainstorming eine unstrukturierte Informationssammlung zu dem Begriff Kundenzufriedenheit vorgenommen.
Im Anschluss sollte die dimensionale Analyse die Aspekte herausfiltern, die für die Messung der Kundenzufriedenheit der Hartchrom AG bedeutsam erschienen.
Grundlage für die Untersuchung waren 35 relevante Dimensionen, die entsprechend dem Leistungserstellungsprozess/Kundenpfad der Hartchrom AG zugeordnet wurden. Einige Dimensionen ließen sich gezielt einzelnen Prozessschritten zugeordnen, während andere für den gesamten Kundenpfad relevant sind, wie zum Beispiel die Dimensionen Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit.
Damit durch die Befragung zu den wichtigen Kundenkontaktpunkten und den hierfür relevanten Dimensionen die für den Kunden und Lieferanten entscheidenden Daten (kritische Ereignisse) erhoben werden, wählten die Autoren die Critical Incident Technique (CIT) aus. Die CIT ist ein ereignisorientiertes Instrument und dient der Ermittlung von Kundenerwartungen. Dem Verfahren liegt die Annahme zu Grunde, dass die Zufriedenheit von Kunden nicht nur durch das Produkt oder die Dienstleistung erzeugt wird, sondern sich während des gesamten Geschäftsprozesses vollzieht.
Als Messinstrument wurde neben der Dimensionalen Kärtchenmethode ein Fragebogen mit standardisierten, direkten und offenen Fragen erstellt. Mittels dieser Fragen sollten die Key Accounts der Hartchrom AG im Rahmen persönlicher, mündlicher Interviews von Vorfällen berichten, die sie selbst erlebt und als aussergewöhnlich positiv oder aussergewöhnlich negativ wahrgenommen und im Gedächtnis behalten haben.
Damit durch die CIT diese kritischen Ereignisse zu den einzelnen festgelegten Dimensionen erfasst werden können, bedarf es der Zuordnung von direkt beobachtbaren Sachverhalten, so genannten Indikatoren. Für die Dimension Kundenbetreuung wurden zum Beispiel die Indikatoren Freundlichkeit, Zuverlässigkeit, Kundennähe, und Kommunikationsart bestimmt.
Wie aus dem Ausschnitt des Fragebogens (siehe Abbildung) zur Dimension Kundenbetreuung ersichtlich ist, wurden im ersten Schritt zunächst immer die konkreten Erfahrungen hinsichtlich einer Dimension abgefragt. Die Überlegung dabei ist, dass der Befragte konkrete Erfahrungen oder Vorstellungen zu einer Dimension hat.
Als Zweites forderte der Fragebogen zu einer Beurteilung der für die Dimension spezifischen Indikatoren auf. Anschließend wurden Erfahrungen mit anderen Lieferanten in diesem Markt sowie allgemein erfragt. Interessant waren dabei insbesondere positive Aspekte und Ereignisse, die dem Lieferanten als Vorbild dienen können.
Jede Dimension endete mit der Frage, welche Wünsche der Kunde zusätzlich bei dieser Dimension hat. Die Antwort kann wichtige Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung des Lieferanten bieten. Mittels dieser Vorgehensweise erhält man ein umfassendes und spezifiziertes Bild einer Dimension hinsichtlich des Ist-Zustandes aus der Perspektive des jeweils Befragten und dessen Einschätzung über das mögliche Entwicklungspotential.
Dimensionale Kärtchenmethode analysiert die Kundenzufriedenheit
Diese Methode ermöglicht dem Interviewten in kurzer Zeit (ca. 20 Minuten), die für ihn wesentlichen Dimensionen schnell, eindeutig und transparent zu ermitteln.
Hierbei führt der Kunde eine Art Spiel durch. Er gewichtet durch Zuordnung von Karten auf einem Spielfeld die 35 Dimensionen in drei Klassen (sehr wichtig, wichtig, unwichtig). Anschließend bewertet der Gesprächspartner wiederum durch Zuordnung von Karten auf dem Spielfeld den Lieferanten hinsichtlich der Dimensionen ebenfalls in drei Klassen (gut, befriedigend, schlecht). Der nächste Schritt besteht in der Verknüpfung dieser beiden Einstufungen, die durch den Interviewer auf dem Spielfeld vor den Augen des Gesprächspartners durchgeführt wird.
Das Ergebnis ist eine Kreuzmatrix, in der jede Dimension genau ein Feld belegt. Die Lage des jeweiligen Feldes entscheidet über die Relevanz der ihm zugeordneten Dimensionen für das folgende teilstrukturierte Interview.
Diese spielerische Herangehensweise wurde bei den Interviewten sehr positiv aufgenommen, da sie die Karten je nach Bedürfnis spontan oder nach einigem Überlegen platzieren konnten. Die Befragten waren angetan bis begeistert von der transparenten, raschen und vor allem für sie zutreffenden Priorisierung der Dimensionen auf dem Spielbrett. Vielmals zeigte sich auch, dass durch das Kärtchenspiel eine vertrauensvolle Atmosphäre entsteht, welche eine gute Ausgangsbasis für das anschliessende Interview schafft.
Das teilstrukturierte Interview bringt genauere Informationen
Im Anschluss an das Kärtchenspiel folgt das teilstrukturierte Interview, in dem die zuvor priorisierten Dimensionen in Reihenfolge mit standardisierten, direkten, offenen Fragen näher betrachtet werden. Im Vergleich zur schriftlichen Befragung oder dem Telefoninterview bedeutet diese Form der Datenerhebung einen bedeutend höheren zeitlichen Aufwand. Deshalb werden bewusst nicht alle Dimensionen ”abgefragt” sondern es wird in der Reihenfolge der Priorisierung durch den Gesprächsteilnehmer vorgegangen. Nach einer definierten Zeit (etwa 30 Minuten) oder sobald die vorher definierten Felder (zum Beispiel Feld 1, 2 und 3) abgearbeitet wurden, wird das Interview bewusst abgeschlossen. Der Abschluss erfolgt mit einer positiv bewerteten Dimension.
Ein positiver Abschluss des Interviews erscheint sehr wichtig. Es besteht ansonsten die Gefahr, dass das Gespräch eine negative Prägung erhält, wenn man sich ausschliesslich über die Dimensionen unterhält, bei denen der Lieferant noch Verbesserungsbedarf hat. Dies wird der tatsächlichen Kunden-Lieferantenbeziehung sicher nicht gerecht. Insbesondere die aus Sicht des Kunden genannten wichtigen Stärken müssen weiter ausgebaut werden, da diese in hohem Mass die Zufriedenheit des Kunden bereits positiv beeinflussen.
Das Interview verläuft bei den eigenen Mitarbeitern zur Ermittlung des Selbstbildes analog wie bei den Mitarbeitern der Key-Kunden, wobei die Aufgabe des Perspektivenwechsels, sich aus Sicht des Kunden zu bewerten, vereinzelt etwas Zeit braucht. So haben sich zum Beispiel die Mitarbeiter des Verkaufsinnendienst, Verkaufsaußendienst und der Qualitätstechnik der Hartchrom AG in die Lage eines bestimmten Key-Kunden versetzt und aus ihrer Perspektive die Fragen beantwortet.
Vor- und Nachteile des gewählten Designs
Die Methode des teilstrukturierten Interviews in Verbindung mit der Bestimmung der relativen Wichtigkeit durch den Kunden bietet folgenden Vorteil: Der jeweilige Key-Kunde beziehungsweise der Mitarbeiter kann die für ihn bedeutenden Dimensionen selbst bestimmen. Damit wird seine Beurteilung nicht durch eine Vorauswahl der Forscher beeinflusst.
Die Nachteile, wie der grössere Auswertungsaufwand und die geringere Vergleichbarkeit der Einzelinterviews werden hier aufgrund der höheren Bewertung der Vorteile – insbesondere des hohen Informationszugewinns zu den einzelnen für den Key-Kunden bedeutenden ausgewählten Dimensionen – in Kauf genommen. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist die hohe Wertschätzung, die dem Kunden durch diese Methode entgegengebracht wird. Dem Key-Kunden steht während des Interviews ein Zeitraum zur Verfügung, in dem er seine zentralen Punkte und Anliegen konzentriert darlegen kann, ohne dass er durch den Interviewer in eine Rechtfertigungsposition gedrängt oder in eine bestimmte Richtung beeinflusst wird. Lediglich vertiefende Verständnisfragen sind dem Interviewer erlaubt. Ansonsten hat dieser die Rolle des aktiven Zuhörers.
Die Mitarbeiter der drei Key-Kunden der Hartchrom AG wurden im Anschluss an das Interview zur Methode befragt. Für alle Befragten stellte der Zeitfaktor und -aufwand keinen Nachteil dar. Auf der einen Seite haben diese Key-Kunden hohe Erwartungshaltungen bezüglich Betreuung an ihren Lieferanten und sind sich ihrer Position als Kunde durchaus bewusst. Zum anderen bewerteten sie diesen ”störungsfreien Raum” als sehr positiv, indem sie ihre Anliegen und Punkte ohne Unterbrechung darlegen konnten.
Das Interview wird nach Zustimmung der Beteiligten auf Band aufgezeichnet. Dies erleichtert die qualitative Auswertung mittels Transkription und ist beim anschließenden Erzeugen von Maßnahmen hilfreich, indem die Originaldaten (was tatsächlich gesprochen wurde) zur Verfügung stehen.
EDV-Verfahren erleichtert die Auswertung
Damit eine quantitative Auswertung der Dimensionalen Kärtchenmethode erfolgen kann, wurde ein entsprechendes EDV-unterstütztes Verfahren entwickelt, welches die Auswertung ermöglicht. Zusätzlich wurde das Verfahren so konzipiert, dass ein Vergleich von Selbstbild und Fremdbild dargestellt werden kann. Ziel ist es, aus den einzelnen Aussagen der Befragten zum einen ein Gesamtbild des Key-Kunden zu erhalten und zum anderen generelle Problem- und Ansatzpunkte bei der Kundenzufriedenheit zu identifizieren.
Durch Analyse von Kunden- und Unternehmensebene und den Vergleich von Fremdbild und Selbstbild auf beiden Ebenen kann das Unternehmen Ansatzpunkte für die Kundenbeziehung erkennen und Maßnahmen definieren.
Besteht zum Beispiel eine hohe Abweichung zwischen Selbstbild und Fremdbild sind zunächst Maßnahmen zu ergreifen, die die Mitarbeiter im eigenen Unternehmen für die Probleme der Key-Kunden sensibilisieren und deren Wahrnehmung fördern. Während bei einer hohen Kongruenz von Selbstbild und Fremdbild zügig auf der Prozessebene die Problembearbeitung folgen kann.
Ziel dabei ist, die relevanten Zufriedenheits-Dimensionen zu identifizieren und die dahinter stehenden Prozesse entsprechend der qualitativen Aussagen, je nach Zielsetzung, effizient zu verändern oder zu standardisieren. Um Komplexität zu reduzieren, hat man sich bei der detaillierten Analyse auf die fünf Dimensionen beschränkt, die aus Kundenperspektive den größten Handlungsbedarf aufzeigen (Top Five – Handlungsprioritäten).
Maßnahmen zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit
Mit der Kundenanalyse und insbesondere mit dieser sehr persönlichen Vorgehensweise konnte die Hartchrom AG bereits einen ersten wichtigen Schritt zu besseren Kundenbeziehungen tun. Klar ist aber auch, dass diese Vorgehensweise Erwartungen bei den Befragten geweckt hat. Für eine positive weitere Zusammenarbeit müssen Ergebnisse folgen. Diese können gegebenenfalls gemeinsam oder mit einzelnen Key Accounts in Workshops erarbeitet werden. Entscheidend ist, die Kommunikation über die Ergebnisse und geplante Verbesserungen professionell und kontinuierlich durchzuführen.
Autoren:
Martin Mader, Hartchrom AG, Steinach
Sonja Neckermann, Malteser Hilfsdienst, Stuttgart
Axel Elfroth, EADS, Augsburg
eingestellt am 24. Juli 2003.