Von Lothar Keite und Lisa Paulus
Drei Kernrichtungen sind identifiziert, welche die Bezeichnungen erhielten: Dominanz, Stimulanz, Balance. Zusätzlich wurden Zwischengruppen gebildet: Abenteuer, Disziplin, Fantasie ( siehe auch Bild unten). Mit Hilfe der Erhebung zur Typologie der Wünsche im Jahre 2006 wurde eine Quantifizierung der Gruppen und ihres Anteils für Deutschland vorgenommen. Danach bilden die beziehungsorientierten ( Balance-) Kunden die größte Gruppe, die so umfangreich ist (56 Prozent), dass sie noch einmal unterteilt wurde in Harmoniser und Traditionalisten. Die sieben Gruppen dienen zur Zielgruppenbestimmung.
Für die Marketingarbeit wird daraus abgeleitet, sich überwiegend als beziehungsorientierte Marke zu positionieren. Schon wird diskutiert, dass sich in der Folge die Werbekampagnen immer mehr angleichen. Gerade Dienstleistungsanbieter präferieren Lifestyle-Werbung für den Beziehungsaufbau zwischen Marke und Konsument. Als Beispiele seien die neuen Kampagnen von Ergo, E.ON, Targobank, Commerzbank oder Allianz genannt, die alle eine ähnliche Ausrichtung haben. Sie verfolgen Kommunikationsansätze, die Beziehungswerte wie Vertrauen, Ehrlichkeit und Geborgenheit betonen.
Während sich der Erfolg dieser Kampagnen letztlich noch erweisen muss, sind die deutschen Premiumanbieter im Automobilbereich eindeutig schon längst an der Weltspitze. Sie verfolgen allerdings keine beziehungsorientierten Positionierungen, sondern Ansätze, die den mentalen Belohnungen Stimulanz oder Dominanz zuzuordnen sind:
BMW: Freude am Fahren
Audi: Vorsprung durch Technik
Mercedes: Das Beste oder Nichts
Nach der Limbic Map und bei linearer Verwendung der Belohnungsmuster müssten die drei Automobilunternehmen die Gefühllage der Mehrheit der Kundschaft verfehlen. Wieso sind sie dann so erfolgreich?
Die Feststellung der inneren Befindlichkeit allein erklärt offensichtlich noch nicht den Einsatz von Marken in der Lebensgestaltung der Kunden. Dafür ist die Landkarte der psychologischen Belohnung um den Ansatz der mentalen Konsumkonzepte zu ergänzen. Sie aktivieren Konsumenten, durch den Konsum angestrebte innere Zustände zu erreichen. Um Produkt und Kommunikation zu optimieren, gilt es daher ebenfalls zu erkunden, was der Kunde mit dem Konsum des Produktes erreichen will.
Menschen haben unbewusst ein Lebenskonzept. Nach diesem Selbst-Bild versuchen sie, sich selbst, ihr Leben und ihre Wirkung auf Andere zu gestalten. Persönliche Zufriedenheit und damit Ausschüttung von vor allem Dopamin, um es neurobiologisch zu sehen, wird nicht nur ausgelöst, weil das Vorstellen oder Erleben dem persönlichen Belohnungsmuster entspricht, vielmehr wirkt die erlebte Resonanz der Peer-Group wie ein Katalysator. Belohnungsstreben und –empfinden ändern sich mit der Reaktion der Umwelt. Kunden sind in der inneren Perspektive bestimmte Charaktere, die in der äußeren Perspektive auch mit Marken ihren Lebensentwurf darstellen und dabei von der erwarteten Reaktion beeinflusst werden.
Marken sind also dann stark, wenn sie im Lebenskonzept der Zielgruppe Bedeutung haben. Es ist zu beobachten, dass bestimmte Symbole oder Signale von einzelnen Mitgliedern der Peer-Groups entschlüsselt werden und Bestandteil der gruppeninternen Kommunikation sind. Heute müssen Peer-Groups um virtuelle Gruppen, insbesondere um Kontakte in Sozialen Online – Netzwerken erweitert werden.
Neuromarketing darf nicht stehen bleiben bei der Motivstruktur der Konsumenten; das ist ein zu statischer Ansatz. Es ist ein weiterer Schritt zu gehen: Verstehen der Persönlichkeit des Kunden und der Rolle, die der Konsum einer bestimmten Marke im Lebenskonzept einnimmt. Ein Kunde möchte erwerben, was in seinem mentalen Konzept nützlich ist. Dazu gehört auch die Vorstellung, dass durch den Kauf anschließend Konsequenzen in der Umgebung auslöst werden, die sich auf das Befinden auswirken. Die in dieser Weise simulierte Wirkung gibt eine psychologische Belohnung. Konsumieren stellt einen Prozess dar, in dem der Konsument als „Identity Seeker“ verstanden werden kann.
Handeln kann nicht allein aus der persönlichen Belohnungsstruktur erklärt werden, es hat eine Funktion. Für das Marketing ist es besonders wertvoll, diese Einordnung, bezogen auf die Zielgruppe und die Leistung, zu kennen. Grundlage des Verhaltens sind affektive Reaktionssysteme, welche Menschen mitbringen oder im Laufe des Heranwachsens lernen:
- Das Verhaltensaktivierungssystem (Englisch: BAS = Behavioral Approach oder Activation System ) ist ein System, einen Zustand oder eine Vorstellung besonders angenehm zu empfinden. Man fühlt sich gut, emotional belohnt oder ist erleichtert.
- Das Verhaltenskontrollsystem ( Englisch: BIS = Behavioral Inhibition System) ist ein System, auf der Hut zu sein, Risiken zu sehen und nicht in Fallen zu tappen. Man hat Angst, versucht, solchen Situationen auszuweichen.
- Ein angeborenes Gefahrenreaktionssystem aus Kampf, Flucht oder Erstarrung ( FFFS = Fight-Flight-Freezing System ) begegnet außergewöhnlichen Gefahren oder Schrecken. Es laufen unmittelbare Reaktionen, man erstarrt, läuft weg oder zeigt Aggressivität.
Verhalten kommt zustande aus dem Zusammenspiel der drei Systeme, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt sind. Die Reaktionen beruhen nicht nur auf der eigenen Ansicht persönlicher Attribute und Eigenschaften, sondern entstehen wesentlich dadurch, sich in die Rolle Anderer zu versetzen und aus der Vermutung über deren Einschätzung Rückschlüsse zu ziehen. Die angenommene Bewertung Dritter für die Selbst-Definition bildet als „Looking-Glass Self“ einen Teil des Selbst. Die Einschätzung läuft wie das Prinzip von Schallwellen ab: Signale gehen zu Anderen, deren Rückmeldungen werden auf die eigene Identität bezogen.
Die Vermutungen über das Verhalten der Anderen bestimmen das eigene Verhalten und auch die Wahrnehmung der Reaktion der Anderen. Das Selbst-Bild ist in Bewegung; zum Leben gehört die zunehmende Entdeckung des Selbst. Trotzdem kann von einer relativen Stabilität der Charaktere ausgegangen werden, die sich durch die Ausprägung insbesondere von Verhaltensaktivierungs- und –kontrollsystem ergibt.
Die Limbic Map wird oft als Kreis dargestellt. Wenn die Limbic Map entsprechend gedreht wird, lässt sich sehr gut die Verbindung zu den affektiven Reaktionssystemen aufzeigen.
Aktivierungs- und Kontrollsystem spielen gegeneinander. Das Gefahrenreaktionssystem liegt darunter, es ist archetypisch.
Das Verhalten der Kunden entsteht aus der eigenen Disposition und dem Streben nach der Selbst-Position im Spiegel der Anderen. Dabei nehmen Marken eine Rolle ein – unterschiedlich für unterschiedliche Bereiche. Für das Beispiel der Dienstleistungen dominieren Sicherheits- und Kontrollsystem – auch bei sonst stärker entdeckenden Charakteren. Das Automobil dagegen ist ein sichtbares Statement, das auch für stärker kontrollorientierte Charaktere die Möglichkeit bietet, das Selbst dynamischer zu gestalten. BMW etwa hat das Produktportfolio mit dem 1er-Modell in interessanter Weise ausgedehnt. Der 1er BMW wurde konzipiert als edle Golf-Alternative für eine Zielgruppe, die im Mittel 35 Jahre alt, in der Limbic Map eher den Hedonisten und Abenteurern zuzuordnen ist. Das tatsächliche Durchschnittsalter der Käufer liegt bei 53 Jahren und die Akzeptanz geht weit über die schmale Zielgruppe hinaus. Trotzdem passt die prototypische Zielperson. Balance-Charaktere, die im Grunde als zurückhaltend einzuordnen sind, setzen ein dynamisches und jugendliches Statement an ihre Außenwelt. Der Produkt-Code ermöglicht eine Ausdehnung der Wirkung in einen zusätzlich gewünschten Bereich.
So werden Leistungen durch den Konsum zu einem Teil des Selbst. Diese Attribution kann bewusst oder unbewusst, beabsichtigt oder unbeabsichtigt erfolgen. In allen Fällen ziehen die Konsumenten aus dem Erleben, Besitzen und Haben eine Unterstützung für ein instabiles Selbst-Bild. Konsum erschafft ein „Extended Self“. Die Verbindung von Selbst und Gegenständen oder Mitgliedschaften wird deutlich, wenn der Besitz oder die Mitgliedschaft verloren gehen. Bei wichtigen Dingen fühlen sich Menschen im Fall des Verlustes quasi körperlich angegriffen.
Die Ermittlung der psychologischen Funktion ist nicht durch einfache Befragung möglich, sondern bedarf der hintergründigen Ausleuchtung durch tiefenpsychologische Interviews oder in Workshops. Die zum Selbst gehörenden Dinge oder Eigenschaften werden von den Probanden mit Zugehörigkeitsformulierungen bedacht. Neben dem Ansatz, mit Assoziationen zu arbeiten, ist interessant, mit Distanzen zu operieren, die zeigen, wie nah eine Marke zur Person steht.
Während sich die Dynamikfunktion eines BMW oder die Prestigefunktion eines Mercedes für das Extended Self relativ leicht erkennen lassen, sind die tieferen Beweggründe etwa bei der Wahl eines Stromversorgers weniger offensichtlich. Vielfach wird Energie einfach zur Commodity erklärt und ein lautes Commodity-Marketing empfohlen. Bestes Beispiel sind die Anfänge von Yello. Doch nähere Betrachtungen zeigen, dass Energie mit der täglichen Existenz verbunden wird und deshalb ein lauter Marketingansatz nicht überzeugt. Erklärung liefern die menschlichen Reaktionssysteme: bei psychologischen Belohnungen wie Dynamik oder Prestige wird das Verhaltensaktivierungssystem, bei der Vermeidung von Lieferunterbrechungen und dem Streben nach Sicherheit das Verhaltenskontrollsystem stärker aktiv.
Es sind also zwei Unterscheidungen zu treffen:
- Welcher Gruppe gehören die Konsumenten der Zielgruppe an?
- Welche Rolle nimmt die Leistung, die angeboten wird, im Lebenskonzept dieser Konsumentengruppe ein?
Die Beantwortung dieser Fragen gibt dem Neuromarketing die Handlungsrichtung, mit deren Hilfe Maßnahmen sehr viel besser auf Kunden zugeschnitten werden können. Marketingmaßnahmen haben je nach Branche vor allem zwei Schwerpunkte als generelle Ausrichtung:
- Belohnung im Sinne des Verhaltensaktivierungssystems.
- Sicherheit im Sinne des Verhaltenskontrollsystems
Die Neurowissenschaften haben zur Verbesserung des Verständnisses der Kunden beigetragen. Die Limbic Map stellt einen großartigen Schritt dar. Sie darf aber nicht linear verwendet werden. Konsum hat eine Funktion, hilft, das Selbst zu gestalten. Die Konsumentenanalyse für die Feinjustierung eines Angebotes bedarf der psychologischen Segmentierung und der Ermittlung, welche Funktion die Leistung im Lebenskonzept der Zielgruppe einnimmt.
Freude am Fahren passt zu Autos, Wert der Nachbarschaft passt zu regionalen Stromanbietern. In vielen Workshops hat sich gezeigt, dass die Wechselquote der Stromkunden dort niedriger ist, wo der Anbieter Relevanz im Leben der Haushalte glaubhaft gemacht hat. Ein Marketingkonzept kann nur erfolgreich sein, wenn es die Zielgruppe und die Rolle des Angebotes für diese Zielgruppe kennt.
Schlüsselaussagen:
- Die Neurowissenschaften liefern zur Segmentierung der Kunden als primäres Tool die Limbic Map – Typen, welche die Belohnungsdimension als Basis verwendet.
- Darüber hinaus nehmen Leistungen und speziell Marken eine Rolle im Lebenskonzept der Kunden ein. Neuromarketing muss um die soziale Komponente ergänzt werden.
- Generell ist zu unterscheiden zwischen einem eher aktiven psychologischen Belohnungssystem und einem eher passiven Kontrollsystem, das sich nach Kundengruppen und Produkten unterscheidet.
- Der Marketeer muss die Befindlichkeit der Zielgruppe und die Rolle der Marken im Selbst-Konzept der Zielgruppe kennen. Qualitative Marktforschung sollte den Kompass liefern.
- Die Ausrichtung der Leistung auf die Funktion im Lebenskonzept der Zielgruppe schafft eine Verbesserung des ökonomischen Erfolges.
Über die Autoren: Lothar Keite ist Inhaber des Institut effibrain, Marketing and Management, Consulting and Training, Hamburg. Er ist Diplom-Kaufmann und Lehrbeauftragter an der Fachhochschule für Oekonomie & Management.
Lisa Paulus ist freie Mitarbeiterin der Marktforschungsagentur openeyesresearch, Düsseldorf. Sie ist Bachelor of Science in Business Administration und aktuell Master-Studentin Business Administration (M. Sc.) mit Major Marketing an der Universität zu Köln.