Auf dem Weg zur Mental-Health-Culture

Die BBDO Group Germany hat mit ihrem psychologischen Angebot den Grundstein für eine zukunftsweisende Unternehmenskultur gelegt. Was genau dahintersteckt, erklären Mark Andree, Geschäftsführer der Berliner Dependance, und Psychologin Barbara Grohsgart.
Das Cover zum Schwerpunkt New Work hat die BBDO Group Germany gestaltet. Spannend: In der Agentur wird das Thema Mental Health großgeschrieben. (© Credit: BBDO (Montage: Olaf Heß))

Geisterfahrten in der U-Bahn und ausgeräumte Supermarktregale, endlose Spaziergänge und endlose Videokonferenzen, der Beginn der Pandemie hatte viele Gesichter. Für die BBDO Group Germany war er der Anlass, die projektbezogene Zusammenarbeit mit dem Psycholog*innen-Team von Barbara Grohsgart, Gründerin und Inhaberin von Coach You, auszubauen. Gemeinsam entwickelten sie innerhalb weniger Tage ein Mental-Health-Programm.

Im Zentrum stand die Frage, wie man Mitarbeiter*innen schützen und helfen könne – und zwar schnell. Seit Frühjahr 2020 kann nun jede*r Mitarbeiter*in der BBDO Group Germany bis zu drei Stunden mit jemandem aus dem Psycholog*innen-Team sprechen. Das Gesprächsangebot gibt es auf Deutsch und Englisch; die BBDO Group hat allen, die das Angebot annehmen, völlige Anonymität zugesichert.

Vor dem Hintergrund mehrmonatiger Wartelisten für Erstgespräche kann Grohsgart diesen niedrigschwelligen Zugang nur empfehlen: „Alleine das Angebot zu machen, ist eine sehr wertvolle und wirkungsvolle Maßnahme. Es ist gut für Mitarbeiter*innen zu wissen, dass es Maßnahmen gibt, die man – unter absoluter Schweigepflicht – ausprobieren kann.“

Die BBDO Group hat ihr Angebot kontinuierlich kommuniziert, die Anfragen an das Psycholog*innen-Team kamen in Wellen. Wer mehr als drei Stunden benötigte, wurde nicht stehengelassen. Das Team rund um Grohsgart sieht sich als Lotse im Gesundheitssystem, unterstützt bei der Suche nach weiterführenden Maßnahmen, wie etwa einem Therapieplatz.

Auch mit Blick auf die Verantwortung von Führungskräften – oder besser gesagt: die Grenzen ihrer Verantwortung – übernimmt das Mental-Health-Programm eine Brückenfunktion. Eine Führungskraft könne nie ganzheitlich für ihre Mitarbeiter*innen da sein – auch wenn die Grenze zwischen privat und beruflich in der jüngsten Vergangenheit stark verschwommen sei, so die Psychologin.

Ein kleiner Exkurs in die Psychologie

In der Psychologie wird zwischen normativen und nicht-normativen Krisen unterschieden. Während beispielsweise die Pubertät zu den normativen Krisen zählt, sind Corona-Pandemie oder Flutkatastrophe nicht-normative Krisen, die sich nicht in jeder Generation wiederholen. Hinzu kommt: Je früher und länger andauernder eine Krise einen im Leben ereilt, umso belastender kann sie sein. Abhängig ist das beispielsweise von der Vorerfahrungsstruktur und Resilienz eines Menschen.

„Aus psychologischer Sicht wird das Leben von Geburt bis Tod von Entwicklungsaufgaben und damit verbundenen Krisen herausgefordert“, sagt Grohsgart. Das Leben sei ein Fluss, in dem man sich schwimmend behaupten müsse. Es sei eben kein statisches Gebilde, „in das man hineingeboren wird, einen Bausparvertrag bekommt, eine Wohnung erbt und seinen Job bis zur Rente ausübt.“ In diesem Bild der lebenslangen Dynamik und Entwicklung hätten wir immer mit einigen erwartbaren und leider öfters auch mit schlimmen, für uns nicht erwartbaren, Krisen zu tun.

Der Tabuisierung von psychischen Belastungen, so die Psychologin, gehe das Bild voraus, dass wir Menschen immer leistungsstark und gut gelaunt sein sollten. Sie sagt: „Ich hoffe, dass sich diese Haltung in der Gesellschaft weiter verändert. Es gibt nun mal psychische Ausnahmesituationen, Verwundbarkeit und Schmerzen, Abschiede und Verluste im Leben.“

Mental Health im Arbeitsalltag

Ob jemand struggele, stehe nicht unbedingt im Zusammenhang mit dem Workload einer Person. Das hat auch der Geschäftsführer von BBDO Berlin beobachtet: „Viele Faktoren können in unterschiedlichen Situationen dazu führen, dass man einfach den Überblick verliert oder Belastung spürt. Voraussetzung dafür, etwas zu merken, ist, dass beide Seiten offen miteinander reden, dass es eine echte Kultur der Wertschätzung und des Vertrauens gibt. Dieses Umfeld schafft man am einfachsten, wenn man sich selbst öffnet.“

Ein besonderes Augenmerk legen Psychologin und Geschäftsführer auf den Nachwuchs. „In vielen Agenturen arbeiten junge, auch internationale Kolleginnen und Kollegen, die für den Job in fremde Städte ziehen, häufig auch aus dem Ausland. Für sie haben die Pandemie und der Lockdown eine noch größere Ausnahmesituation bedeutet als für erfahrenere Mitarbeitende“, so Grohsgart. Und sie ergänzt: „Das Beziehungserleben und die Beziehungserfahrung bekommt einen neuen Stellenwert nach dieser Phase der Isolation.“

Auch Andree liegt ein enger Austausch mit dem Agentur-Nachwuchs am Herzen: „Wir haben einen komplexen Job, das spüren gerade junge Kolleg*innen, die in den Job erst noch hineinwachsen müssen. Eine besonders gute Betreuung zum Jobbeginn muss sichergestellt sein.“

Andree sagt weiter: „Führen geht über das rein fachliche Ausbilden weit hinaus. Wie geht man mit anstrengenden Kundengesprächen um? Wie verhält man sich bei Konflikten im Team? Was macht man, wenn man überfordert ist? Dabei unterstützen wir uns – unabhängig, ob Senior, Junior oder Azubi. Generell gilt: Wenn man physisch zusammen ist, kann man auch die Zwischentöne besser wahrnehmen.“

Sofortmaßnahme und langfristiges Commitment

Das Mental-Health-Programm der BBDO Group Germany sollte in erster Linie eine wirkungsvolle Sofortmaßnahme sein. Dahinter steckt aber ein langfristiges Commitment. Andree bekräftigt: „Wir sehen das Angebot als grundsätzliche und nachhaltige Institution, nicht als eine Krisen-Intervention. Unser Ziel war es, dass wir von einem Mental-Health-Coaching zu einer Mental-Health-Culture kommen.“

Psychologin Barbara Grohsgart pflichtet ihm bei: „Agenturen arbeiten für Menschen, wollen sie verstehen und ihnen Angebote machen für die Befindlichkeiten im Leben. Dadurch, dass die Agenturgruppe die psychologische Komponente auch als präventive Arbeit und Teil der Unternehmenskultur begreift, wird sie zu einer echten Bereicherung.“

Wer mehr erfahren möchte, ob Markenunternehmen oder Agentur, dürfe sich melden, um sich untereinander auszutauschen, so der Geschäftsführer von BBDO in Berlin: „Nur, wenn sich immer mehr Unternehmen diesem so wichtigen Thema öffnen, kann es zu einer Entstigmatisierung kommen.“

(ccm, Jahrgang 1984) ist seit Oktober 2021 Chefredakteurin der absatzwirtschaft. Neben der Weiterentwicklung der journalistischen Marke verantwortet sie die crossmediale Themenplanung sowie die Konzeption und Pilotierung neuer Formate mit Schwerpunkt Digital Storytelling. Aufgewachsen zwischen Südamerika und Deutschland lebt sie aktuell mit Freund und Kater in Köln.