Branchen wie Flugreisen, Tourismus, Hotels, Fracht, Telekommunikationsausrüster und
Banken trifft es besonders hart. Doch auch die Schlüsselindustrie Auto und ihre
weit verzweigten Zulieferer bleiben nicht verschont. Die Chemie ist gebeutelt. Selbst verwöhnte
Luxusgüterhersteller sind gegen die Krise nicht immun und berichten erstmals seit
Jahren über Umsatzrückgänge. Handelt es sich bei der Krise um höhere Gewalt,
gegen die man nichts tun kann? Gibt es überhaupt probate Gegenmittel? Und welche
Maßnahmen wirken? Ist Cost Cutting der einzige Weg? Was kann man von Unternehmen
lernen, die mit den Bedrohungen besser fertig werden als andere? Das sind Fragen, die sich
aufdrängen und die zu teilweise erstaunlichen Antworten führen.
Eine differenzierte Analyse
deckt Fakten, Strategien und Chancen auf, die der herrschenden Meinung und der Mode des
Tages, die stets durch Einseitigkeit gekennzeichnet sind, widersprechen.
Diese Einseitigkeit besteht vor allem darin, dass auf die Krise nur mit Cost Cutting reagiert werden
könne. Kapazitätsreduktion, Entlassungen, Werksstilllegungen erscheinen als einzige Antworten.
Die Zeitungen quellen über von entsprechenden Horrormeldungen. Niemand wird
die Notwendigkeit der Rationalisierung ernsthaft bestreiten. Aber genauso wenig sollte man
diesen Weg als den allein seligmachenden akzeptieren.
Nehmen wir das Beispiel Opel. Den Meldungen zufolge hat Opel eine (Produktions-) Überkapazität von 350.000 Autos. Um ins Gleichgewicht zu kommen, müssen die Werke um diese Stückzahl verkleinert werden. Das klingt logisch. Aber wer sagt denn, dass
Opel nicht eine (Marketing-) Unterkapazität von 100.000, 200.000 oder 300.000 Stück hat? Und folglich nur ein entsprechend kleinerer Kapazitätsabbau in der Produktion notwendig wäre? Wieso trägt bei Opel niemand die Forderung vor, die Marketing-Kapazität um 200.000 Stück zu erhöhen? Das soll unmöglich
sein? Was haben denn BMW, VW oder Porsche in den letzten Jahren vorexerziert? Wer
baut denn gerade die Kapazitäten in Regensburg und Leipzig aus? Der einseitige Weg, den
Opel einschlägt, führt langfristig in den Abgrund. Umsatzeinbrüche in einer Branche treffen selten
alle Wettbewerber gleichartig. Im Gegenteil, fast immer gibt es Unternehmen, die von der
Krise profitieren und gestärkt aus ihr hervorgehen, während andere sie nicht überleben.
So
balancieren die großen europäischen Fluggesellschaften am Rande der Existenz. Swissair,
Sabena etcetera hängen am Staatstropf. Doch geht es allen Airlines in dieser Krise schlecht?
Mitnichten! Billigflieger wie Ryanair oder Easyjet haben auf die Situation nach dem 11. September
2001 mit einer Verstärkung des Marketing und der Werbung sowie mit
aggressiver Preispolitik reagiert. Easyjet hat die Passagierzahl im September 2001 um 27
Prozent gesteigert. In einer Woche verkaufte Ryanair 500.000 Sitze statt der üblichen
200.000. Und während die traditionellen Airlines Flugzeuge stilllegen, will Ryanair seine
Flotte um 50 Boeing 737 erweitern. Selbst im gebeutelten US-Markt schließen Southwest
Airlines, die Mutter aller Billigflieger, und Alaska Airlines das dritte Quartal 2001 mit
Gewinn ab, sogar nach Abzug der Regierungssubventionen. Bei Southwest fiel der
alles entscheidende Ladefaktor nur um 3 Prozent, bei Alaska blieb er sogar mit 71
Prozent konstant. Doch solche Ergebnisse muss man in Europa wie in USA mit
verschärftem Marketing und teilweise aggressiven Preisen erkämpfen.
Diese Fallstudien belegen,
dass es selbst in der am schlimmsten betroffenen Branche einzelnen Wettbewerbern
gelingt, dem Wind der Krise zu trotzen. Allerdings setzt dies voraus, dass man kostenmäßig
entsprechend aufgestellt und flexibel ist. Doch es gibt genauso für Firmen, die strategisch
nicht auf Niedrigpreisstrategien ausgerichtet sind, eine Fülle von Möglichkeiten, nicht nur
mit Cost Cutting, sondern auch mit „Sales Push“ oder zumindest einer „aggressiven Umsatzverteidigung“
auf die Krise zu antworten. Diesbezüglich wird die Flinte meist viel zu früh ins Korn geworfen. Zudem mangelt es an Strategien, mit denen man sich an die Krise anpasst. Denn eines ist klar: In der Krise gelten
für den Umsatz andere Wirkungsgesetze als in der Normalsituation oder gar im Boom. Dem-zufolge
unterscheidet sich auch das optimale Verhalten. Das hat zwei Ursachen. Zum einen verschieben sich in der Krise die Kundenpräferenzen. Zum anderen nehmen die Elastizitäten der Marketinginstrumente in der Krise andere Werte an. Die nachfolgenden Praxisbeispiele illustrieren diese Gegebenheiten und zeigen, dass
sich selbst in schwierigen Zeiten Chancen für Umsatzsteigerungen ergeben. Wie ändern sich die Kundenpräferenzen? Eine generelle Antwort scheidet natürlich aus, dennoch gibt es nach unseren Befunden folgende Grundtendenzen:
Beispiel: Eine als politisch nicht gefährdet angesehene Airline verliert weniger Passagiere und braucht deshalb nicht mit Preissenkungen zu reagieren, eventuell kann sie die Preise sogar erhöhen. Das gleiche
gilt für Urlaubsregionen. Spanien meldet im Nachgang zum 11. September 2001 neue Buchungsrekorde. Umgekehrt bleibt es ohne Wirkung, wenn eine politisch brisante Region mit Preissenkungen wirbt. Ein be-sonders sicheres Land wie Spanien könnte die Preise in der Krise sogar anheben. Die
Preiselastizität reagiert auf die Krise höchst asymmetrisch. Solche Fakten muss man tiefgehend analysieren und verstehen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Kurzfristige Wirkungen gewinnen gegenüber langfristigen
an Gewicht. Zwei Beispiele: Eine große Bank hat ein Investmentangebot, das ei-ne
hohe Nachsteuerverzinsung garantiert, die aber erst über einen sehr langen Anlagezeitraum
zur Wirkung kommt. Der Absatz verläuft in der Krisensituation des Herbstes 2001 äußerst schleppend. Die
Anleger wollen sich in einer Phase hoher Unsicherheit nicht langfristig festlegen. Es ist notwendig, das Angebot umzustricken und die Rückflusszeit zu Lasten der Rendite zu verkürzen. Ähnliches gilt bei Industrieprodukten. Schnelle Einsparungen schlagen in der Krise langfristige Vorteile. Die Investi-
tionsbereitschaft ist stark gebremst. Im Verkauf muss man die kurzfristigen Einspa-rungen
in den Vordergrund stellen, eventuell sogar die Produkte in Richtung kurzfristiger Wirkung verändern.
Viele Kunden sind knapp bei Kasse. Jeder Aufschub einer Zahlung reduziert ihre Liquiditätsprobleme und schafft damit einen Wettbewerbsvorteil
für den Lieferanten, der sich an dieser Front großzügig zeigt. Ein Haushaltswarenhersteller
konnte deutliche Preiserhöhungen durchsetzen, nachdem er erweiterte Finanzierung und Zahlungsziele anbot. Selbst nach der Absicherung seiner größeren finanziellen Exposure durch Factoring blieb ihm eine deutlich verbesserte Marge – bei höherem Umsatz!
In guten Zeiten leistet sich der Kunde, egal ob geschäftlich oder privat, manchen Luxus, Dinge von der Art „nice to have“. In Krisenzeiten geht es diesen
nicht lebensnotwendigen Attributen an den Kragen. Kann man jedoch harte Nutzen- oder Kostenvorteile bieten, so lassen sich Umsatz und Marktanteil in der Krise sogar steigern. So berichtet der Anlagenbauer Dürr, dass die Autohersteller trotz der Konjunkturschwäche Projekte realisieren, die ihnen Kosteneinsparungen bringen,
während Investitionen, die eher der Modernisierung dienten, auf den Prüfstand gestellt würden. Ein Pflanzenschutz-Unternehmen pusht in der Krise ein Präparat, das nicht ganz so wirksam und etwas
weniger umweltfreundlich ist als ein anderes, aber dennoch ausreichend. Das Mittel braucht jedoch nur einmal pro Saison eingesetzt zu werden und spart damit den Landwirten erhebliche Arbeitskosten ein.
Es gelingt in der Krisensituation eine deutliche Umsatz- und Marktanteilssteigerung. Bei Konsumgütern wirkt die Krise in ähnlichem Sinne zugunsten von Aldi oder Schlecker, da sich das relative Gewicht von Qualität und Preis zugunsten des letzteren verschiebt. Wenn die Leute wenig Geld haben, achten sie stärker auf den Preis.
Viele große Firmen wollen mit aller Gewalt Stellen abbauen. Das ist die Stunde der externen Dienstleister. Ein Felgenlieferant übernimmt
die Montage der Räder in der Autofabrik – und die diese Aufgabe ausführenden Mitarbeiter. Er steigert seinen Umsatz erheblich. Ein industrieller Dienstleister geht offensiv auf Metallhersteller zu und bietet ausdrücklich nicht nur seinen Service, sondern auch die Übernahme der Mitarbeiter an. Er hat auf diesem Gebiet mittlerweile
beträchtliches Know-how angesammelt. Die Krise in der Metallindustrie führt bei ihm zu Umsatzsprüngen.
Umsatzeinbrüche führen zu Unterbeschäftigung der Vertriebsmitarbeiter. Eine mögliche Antwort besteht in der Erweiterung
des Sortiments, das die Verkäufer anbieten. Im Falle von zwei nicht konkurrierenden, sondern komplementären Baustoffherstellern nahmen die Außendienste das jeweils andere Sortimente zusätzlich in ihr Verkaufsprogramm auf. Beide Firmen erzielten Umsatzzuwächse und konnten den Abbau ihrer Außendienste vermeiden. Zahlreiche ähnliche Beispiele kennen wir aus dem Versicherungs-, Anlage-, Bauspar- oder dem Pharmabereich. Auch hier funktioniert die Devise: Mehrleistung statt Abbau.
Dies sind nur wenige Praxisbeispiele, die belegen, dass man sich auch in der Krise mit Erfolg gegen den Wind stellen kann. Die Krise als solche können Sie nicht aus der Welt schaffen, aber wie Sie mit ihr umgehen und was Sie aus ihr machen, das liegt nur an Ihnen.
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Autor : Prof. Dr. Hermann Simon ist Vorsitzender der Geschäftsführung von SIMON, KUCHER &
PARTNERS Strategy & Marketing Consultants in Bonn, Boston, London, München, Paris, Tokio,
Wien und Zürich sowie Visiting Professor an der London Business School.
eingestellt am 5. November 2001