Mehr Regeln = mehr Nachhaltigkeit? Finde den Fehler 

Grüne Kommunikation wird für Marken immer mehr zu einem verminten Terrain. Adidas hat seinen jüngsten Konflikt mit der Deutschen Umwelthilfe allerdings selbst verbockt.
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Aus Angst vor juristischen Verfahren hüllen sich viele Unternehmen in Schweigen. Damit entfällt ein wichtiger Anreiz für grüne Investitionen. (© Unsplash)

Mit der Nachhaltigkeit von Unternehmen ist es wie mit Lob vom Chef oder Geld vom Staat: Es ist nie genug, zumindest nach Ansicht der Nutznießer*innen. Zu denen zählt bei der grünen Transformation die Allgemeinheit, während die Kosten oft allein die Unternehmen zu tragen haben. Ungerecht? Nein. Die Unternehmen profitieren ja auch. Etwa weil sie mit grünem Engagement Pluspunkte bei ihren Kund*innen sammeln. Soweit die Theorie. In der Praxis ist grüne Werbung aus Sicht vieler Marketer*innen zum Minenfeld geworden. 

Das liegt auch, wenngleich nicht nur an dem Feldzug der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen Unternehmen, die sie des Greenwashings verdächtigt. Innerhalb eines Jahres hat sie nach eigenen Angaben allein 20 juristische Verfahren wegen irreführender Werbung mit Aussagen zur Klimaneutralität eingeleitet – und mehr als ein Drittel davon gewonnen. Ja, das schützt Verbraucher*innen vor Worthülsen und Falschaussagen. Aber wenn Unternehmen aus Angst vor Schwierigkeiten lieber schweigen – und das tun, Stichwort Greenhushing, inzwischen nicht wenige –, entfällt ein wichtiger Anreiz für grüne Investitionen. 

Klimaziel-Werbung muss belegt sein? Adidas müsste das eigentlich wissen 

Im jüngsten Schlagabtausch DUH versus Adidas jedoch liegt der schwarze Peter eindeutig bei dem Sportartikelhersteller. Von einem Dax-Unternehmen kann erwartet werden, dass es die einfachsten Regeln der Nachhaltigkeitskommunikation beherrscht – und nicht ohne jeden Beleg Klimaneutralität bis 2050 verspricht. Da möchte man Mäuschen spielen, um zu erfahren, was schiefgelaufen ist. Immerhin hat Adidas bis 2025 teils ehrgeizige und mit konkreten Maßnahmen hinterlegte Nachhaltigkeitsziele verkündet. Man weiß also eigentlich, wie es geht.  

Greenwashing-Check wird zur Dienstleistung 

Aber nicht alle Firmen verfügen über die Personalstärke und das Know-how eines Dax-Konzerns, und häufig liegt der Teufel im Detail. Dabei sei es „höchste Eisenbahn“ für Marken, ihre Kommunikation auf den Prüfstand zu stellen, urteilen Expert*innen. Das Hamburger Start-up Flip, eigentlich ein Medienunternehmen, hat daraus ein Geschäftsmodell gemacht und bietet Unternehmen, die unbeabsichtigtes Greenwashing vermeiden möchten, einen Check ihrer Marketingversprechen an. Auf Wunsch gekoppelt mit einem Workshop für Mitarbeiter*innen. Für viele Marketer*innen dürfte auch schon ein Blick auf die Prüf-Indikatoren von Flip hilfreich sein. Zu den No-nos gehören „Leere Behauptungen“, „Dubiose Zertifizierungen“ oder auch „Fachjargon“: „Bitte keine Sätze wie: ‚Es werden organische Textilfasern verwendet, die durch innovative enzymatische Abbautechnologie gewonnen werden‘.“  

Umsetzung der Green Claims Directive lässt selbst Expert*innen rätseln 

Die im März beschlossenen neuen Werbe-Richtlinien der EU – die Empowering-Consumer-Richtlinie und die Green Claims Directive (GCD) – schraubt die Anforderungen an grüne Werbung noch einmal nach oben. Eine gute Zusammenfassung der Inhalte kommt etwa von der IHK München, die zugleich vor Überregulierung und Wettbewerbsverzerrung warnt. Alina Pinckvoß, Produktmanagerin und Greenwashing-Expertin bei Flip, äußert sich auf Anfrage des Green Wednesday differenzierter: 

„Die Green Claims Directive ist – wie auch schon die EmpCo-Richtlinie – ein wichtiger Schritt, um die Verbraucher*innen vor Greenwashing zu schützen. Ebenso hilft sie jenen Unternehmen, die ehrlich und transparent über Nachhaltigkeit sprechen. Trotzdem sind noch viele (organisatorische) Fragen offen, bei denen auch wir uns nicht genau vorstellen können, wie diese gelöst werden sollen.“  

Es dürfe weder dazu kommen, dass Nachhaltigkeitskommunikation nur mit größtem bürokratischen Aufwand möglich sei, den sich zum Beispiel kleinere Unternehmen nicht leisten könnten, noch dürfe die Directive zum „zahnlosen Tiger“ werden. 

Zu pragmatisch für die Regulatorik: Start-up beerdigt Geschäftsmodell  

Dem Kaiserslauterner Start-up Full Flamingo indes zerschlug schon die Ankündigung der neuen EU-Regeln das Geschäftsmodell. Die drei Gründer hatten ein Konzept samt dazugehöriger Software dafür entwickelt, wie Kund*innen großer Shopping-Plattformen die Auswirkungen ihres Einkaufs auf die Umwelt durch Spenden an lokale Nachhaltigkeits-Initiativen ausgleichen können. Der ökologische Fußabdruck der Produkte wurde pauschal bewertet, um die Sache handhabbar zu machen.  

Genau dieser pragmatische Ansatz erschien jedoch unvereinbar mit den hohen Ansprüchen der EU-Regulatorik. Diese richte sich „klar gegen die Geschäftsgebaren anderer Unternehmen und erst mal nicht gegen uns“, bedauerte Full Flamingo im Firmenblog. „Trotzdem kommen wir mit unserem Ansatz voll unter die Räder und müssen jetzt die Notbremse ziehen.“ Die Gründer beraten jetzt andere Unternehmen bei der Softwareentwicklung. Das ist vermutlich krisenfest. Die Umwelt allerdings hätte von dem Spenden-Modell weit mehr gehabt. Schade um die charmante Idee. 

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick! 

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.