Denn dort sind viele namhafte Agenturen auch im Jahre 2004 noch sklavisch auf bewährte Rezepte fixiert. Die alten Grundtechniken der Markenführung (Domitzlaff und Kroeber-Riel lassen grüßen) ergeben leider oft eindimensionale, mechanistische Kampagnen, mit denen stoisch gegen Individualismus und Multioptionalität angeworben wird. Eine der innovativsten deutschen Branchen weigert sich standhaft, den Transfer in eine veränderte Umwelt zu leisten. Warum eigentlich?
Zurück zu Herrn Köhler: Er fordert Mut. Und schon da hapert es bisweilen. Viele Werber, die ja eigentlich als Berater engagiert werden und auch objektiv beraten müssten, gehen den Weg des geringsten Widerstands. Richtig, auch in der Werbung ist der Kunde König – allerdings ist er einer, der ehrliche Meinungen und effektive Lösungen braucht. Das fordert ungewöhnliche Wege, und die kosten nun mal Mut und Energie. Eine Kampagne, die der Kunde zügig abnickt, ist nicht unbedingt eine gute Kampagne: Zu oft entsteht dabei Mittelmaß. Das überlebt zwar den Test im Labor. Aber draußen in der richtigen Welt hat es keine Chance, weil es die Menschen nicht sonderlich berührt.
Horst Köhler fordert auch Neugier. Zurecht. Die Zielgruppen sind deutlich komplexer geworden, die Märkte segmentierter. Und das ist auch gut so! Denn es eröffnet die Chance, mit Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen die vielfältigen Bedürfnisse der Menschen zu wecken und zu befriedigen. Und genau so innovativ muss auch die Kommunikation sein. Kommunikation, die die Wünsche, Träume oder auch Sorgen der Konsumenten kennt und sie kreativ und intelligent berücksichtigt. Die Leute sollen schließlich berührt, involviert und letztendlich zu einer (Kauf-)Handlung oder zum Umdenken motiviert werden. Es geht um Menschen, und auf die muss man als Werber neugierig sein. Möglichst direkt, möglichst ungefiltert. So entsteht kreative Kommunikation, die sich nicht in hübschen Bildern und lustigen Headlines erschöpft, sondern die Botschaft des Klienten zwingend, überraschend und berührend vermittelt.
Lassen Sie mich dazu ein Beispiel geben. Ein Mann steht unter dem Balkon seiner Angebeteten und ruft sechs Mal hintereinander so laut er kann: „Küss mich, du willst es doch auch!“ Macht sechs eindeutige Kontakte, das müsste wirken. Wird es aber nicht. Es ist nicht kreativ, es berührt und verführt nicht. Es ist Lärm. Nehmen wir nun an, der Mann gibt sich etwas mehr Mühe. Er wird versuchen, alles über die Frau seines Herzens herauszufinden. Vielleicht mag sie Pferde. Dann wird er sich auf einen stolzen Rappen setzen und zu ihr reiten. Schon das Hufgetrappel wird die Dame neugierig machen. Wenn er jetzt noch die richtigen, verführerischen Worte findet, ist es völlig unerheblich, ob er dabei vom Pferd fällt. Denn er war neugierig, mutig und kreativ. Kreativität bedeutet nicht, sich irgendwas Verrücktes auszudenken. Sondern genau das, was der Schlüssel zum Herzen der Zielgruppe ist.
Die Wurzeln der Kreativität liegen tief. Nämlich erstens schon in der Art und Weise, wie man sich überhaupt der Aufgabe nähert und zweitens, wie einmalig und ideenreich bereits die Strategie als Sprungbrett für die Kreation ist. Dafür hat unsere Abteilung für Strategische Planung ein umfangreiches Instrumentarium entwickelt, das diesen Anspruch in den Mittelpunkt stellt. In unseren „Heldenmarken-Workshops“ wird die Basis für eine einzigartige Markenstrategie gelegt. Die baut auf dem Erbe der Marke auf und entwickelt es weiter. Mit innovativen Research-Methoden wie unseren „Jungen Helden“-Studien oder dem „ARS Future Lab“ fühlen wir unseren Zielgruppen den Puls. So finden wir Dinge heraus, die nicht in den offiziellen Tortendiagrammen stattfinden, sondern in den Köpfen und Herzen der Menschen. Daraus entwickeln wir eine individuelle strategische Basis. Der Rest ist dann Werbung. Oder kreativer formuliert: Kommunikation, die draußen eine Chance hat. Weil sie auffällt und den Schlüssel zu den Herzen der Zielgruppe hat.
Ein letztes Mal Herr Köhler: „Deutschland muss ein Land der Ideen werden.“ Das impliziert, dass Deutschland in 2004 ein Land der Einfallslosigkeit ist. Nicht gerade schmeichelhaft. Wer will das schon auf sich sitzen lassen?
Über den Autor: Robert Stolle ist Geschäftsführender Gesellschafter der Aimaq·Rapp·Stolle Werbeagentur GmbH.