Noch vor Kurzem war AdScanner ein Nobody im deutschen TV-Markt. Doch seit einigen Monaten zieht das Technologie-Start-up hierzulande viel Aufmerksamkeit auf sich. Es ist aktuell in fünf europäischen Ländern aktiv und auf die datenbasierte Analyse von Bewegtbildinhalten spezialisiert. In Deutschland arbeitet AdScanner mit Vodafone zusammen. Durch die Zusammenarbeit mit dem Kabelnetzbetreiber ist das Unternehmen in der Lage, die TV-Nutzung von fast einer Million Kabel- und IPTV-Kund*innen von Vodafone in Deutschland zu messen. Die Nutzungsdaten werden dabei DSGVO-konform und sekundengenau erhoben. In Kombination mit einer Videoerkennungssoftware ist es möglich, das gesamte lineare TV-Programm sowie die darin enthaltenen Werbespots zu erkennen und auszuweisen. Die Position im Werbeblock kann dabei ebenso zugeordnet werden wie die sekundengenaue Reichweite.
Im Rahmen der OMR gab das Start-up nun erstmals eine Partnerschaft mit einem TV-Vermarkter bekannt: Künftig arbeiten Lokalfernsehen Deutschland und AdScanner zusammen, um die Vermarktungsmöglichkeiten für lokale TV-Sender zu verbessern. Auch Werbetreibende sollen davon profitieren, indem sie neue Leistungskennzahlen für die Belegung lokaler Sender erhalten und darauf basierend Kampagnen granular aussteuern können. Lokalfernsehen Deutschland ist eine bundesweite Mediakombi. Das Portfolio umfasst 87 unabhängige Lokalfernsehsender. „Diese Zusammenarbeit wird erstmals aufzeigen, wie leistungsfähig lokales Fernsehen in Deutschland ist“, sagt Christian Nienaber, CCO von AdScanner. Die Partnerschaft ermögliche neue Insights für Werbetreibende, Mediaagenturen und Vermarkter – aber auch für den Tech-Anbieter. Die Expertise der lokalen Vermarkter soll auch zur Weiterentwicklung der AdScanner-Lösung beitragen.
Aufgrund seiner speziellen Herangehensweise an die TV-Messung sieht Nienaber das Start-up aber nicht als Wettbewerber der AGF. Die Arbeitsgemeinschaft Videoforschung kann über ihr AGF-Panel mit den ausgewählten 5400 teilnehmenden Haushalten und den darin lebenden rund 11.000 Personen das lineare TV-Nutzungsverhalten für die Bundesrepublik repräsentativ abbilden. Die Messung und die Analyse von AdScanner hingegen finden auf einer hohen Anzahl von unterschiedlichen Vodafone-Endgeräten statt und werden dann weder gewichtet noch hochgerechnet. Allerdings ergeben die Messdaten aufgrund der großen Anzahl der Geräte den Werbetreibenden und Vermarktern ein sehr granulares, sekundengenaues Bild zur Nutzung von Inhalten und insbesondere zur Werbung im TV. Künftig möchte AdScanner die Messung auf Geräte-Ebene um soziodemografische Informationen ergänzen und aus dem Kund*innenpool der Vodafone-Endgeräte 10.000 Haushalte für ein eigenes, repräsentatives Panel rekrutieren. Denkbar ist eine Kombination dieser Daten mit der Gesamterhebung, auch kurzfristige Fragewellen sollen ermöglicht werden. „Somit können wir künftig nicht nur sagen, wie Haushalte TV-Inhalte nutzen, sondern auch welche Merkmale diese Haushalte haben und wie sie strukturiert sind“, erläutert Nienaber. Im Juli soll das Panel starten.
Neue Datenprovider, neues Targeting
AdScanner ist nicht das einzige Unternehmen, das sich TV-Datenquellen erschließt: Auch das US-Unternehmen Samba TV hat sich auf Echtzeiteinblicke in die TV-Nutzung und Zielgruppenanalysen spezialisiert. Die Technologie des Anbieters ist auf den Smart-TVs von Sony, Panasonic, LG, Philips und anderen Gerätemarken (außer Samsung) direkt in der Hardware integriert. Auch hier werden mit dem Einverständnis der Nutzer*innen Informationen zur TV-Nutzung in Echtzeit erfasst.
Das Unternehmen setzt dafür ebenfalls eine Technologie ein, welche die auf dem Bildschirm gezeigten Inhalte erfasst und mit einer Datenbank abgleicht (Automatic Content Recognition, ACR). Sie erkennt sämtliche Inhalte auf dem großen Bildschirm: egal ob lineares TV, Streamingdienste, Mediatheken, Over-the-top-Content (OTT-Services), TV-Spots oder Konsolenspiele. Ist der Fernseher mit dem Internet verbunden, verknüpft der Dienstleister die im Haushalt befindlichen Geräte, also zum Beispiel Smartphone, Tablet und Desktop, mit ihm zu einem sogenannten Haushalts- beziehungsweise Device-Graphen. Auf diese Weise lassen sich die TV-Daten auch für ein Cross-Device-Targeting nutzen. Damit können digitale Kampagnen auf den anderen Geräten in diesem Haushalt unterschiedlich getargetet werden, zum Beispiel auf Nutzer*innen, die den Spot gesehen haben oder nicht. Es lässt sich auf bestimmte Genres und Inhalte targeten und auch das Verhalten kann in das Targeting einfließen, indem beispielsweise Kampagnen explizit für Streamer oder sogenannte Light-TV-Viewer über verschiedene Geräte hinweg ausgespielt werden.
„Wir wollen erstmals aufzeigen, wie leistungsfähig lokales Fernsehen in Deutschland ist.“
Christian Nienaber, CCO AdScanner
Auch Samsung Ads, die Media- und Werbesparte von Samsung Electronics, erfasst TV-Daten gerätebasiert, allerdings ausschließlich auf seinen eigenen Smart-TVs. Auch hier wird eine ACR-Technologie eingesetzt, welche – in Übereinstimmung mit den DSGVO-Richtlinien – die auf einem TV konsumierten Inhalte erkennt und sie für Analysen und Targeting bereitstellt. In dem werbefinanzierten Streaming-Service Samsung TV Plus können Marken dann zum Beispiel gezielt Zuschauer*innen targeten, die einen bestimmten linearen TV-Spot noch nicht gesehen haben, um inkrementelle Reichweiten zu generieren und Kontakte zu optimieren. So erzielte Vodafone UK kürzlich für eine Kampagne via Samsung Ads eine inkrementelle Reichweite von zwölf Prozent. Doch was in der abgeschlossenen Samsung-Welt gut funktioniert, ist woanders schwieriger, da dafür übergreifende Identifier nötig sind.
Daten müssen sinnvoll zusammengeführt werden
Die Ansätze der neuen Player unterscheiden sich in vielen Punkten von dem Marktstandard für TV-Reichweiten, den die AGF setzt: Sie misst die TV-Nutzung sekundengenau im Panel mit der GfK, aus dem täglich mindestens 11.000 Personen berichten und welches das Nutzungsverhalten repräsentativ abbildet. Über eine Co-Viewing-Messung in den Panelhaushalten erfährt die AGF zudem, wie viele Personen gemeinsam oder auch in welchen Konstellationen vor dem Big Screen sitzen. Eine Info, über die neue Datenprovider nicht verfügen. Zudem erhebt die AGF mit erheblichem Aufwand weitere für den Werbemarkt relevante Zielgruppenmerkmale wie das Konsumverhalten.
Zu den aktuellen Projekten der AGF gehört auch die Integration von Rückkanaldaten (Return Path Data), weil diese eine Anreicherung der Messung ermöglichen. Dazu testen die Videoforscher mit Smartclip, Red Tech und Sky, also drei großen Datenquellen. „Es ist ein sehr anspruchsvolles Projekt, weil diese Gerätedaten sinnvoll mit den vorhandenen Paneldaten zusammengebracht werden müssen, um eine verzerrungsfreie Abbildung von Nutzerdaten zu gewährleisten und Programm- und Mediaentscheidern eine verlässliche Datenbasis zur Verfügung zu stellen“, erläutert Kerstin Niederauer-Kopf, Vorsitzende der Geschäftsführung der AGF.
Es zeigt sich somit mehr als deutlich: Verfügbare Daten gibt es auf dem Big Screen mehr denn je, entsprechende Einsatzmöglichkeiten auch. Doch jeder Datenprovider erhebt anders, jeder bringt eigene Facetten ein, Datensilos prägen das Bild auf dem Big Screen. Mediaagenturen stehen vor der Herkulesaufgabe, dieses Datenpuzzle sauber zusammenzusetzen und die Erkenntnisse für Kampagnen im linearen TV, Connected TV und Cross-Device sinnvoll zu nutzen.