Von Simon Berkler
Das Markenkonzept ist, wie zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen und Praktiker-Statements zeigen, auch im Medienbereich ein beliebter Management-Ansatz. Allerdings bezeichnen Medienmanager häufig vieles vorschnell als Marke, ohne sich die Frage zu stellen, ob das im Konsumgütermarkt lang erprobte Markenkonzept überhaupt für mediale Angebote geeignet ist, und ohne sich an den Maßstäben der Markenführung zu messen.
Markenbildung ist strategisch zu planen und mit langem Atem umzusetzen. Dazu gehört, Positionierungsparameter verbindlich zu definieren, konsequent anzuwenden und in einen strategischen Regelkreis der Managementaufgaben einzubinden. Nur so lässt sich der markenbezogene Erfolg messen und auch planen. Eine Marke sollte weder Feigenblatt noch Selbstzweck sein. Angesichts des oft sehr saloppen Umgangs mit dem Thema in der medialen Praxis könnte genau dieser Gedanke aufkommen.
Lässt sich das Markenkonzept auf Medienangebote übertragen?
Wie können Medienmanager also das Markenkonzept sinnvoll für ihren Bereich nutzen? Welche offensichtlichen Regeln und welche „hidden rules“ sollten sie beachten? Eine empirische Grundlagenstudie untersucht die Markenperformance von TV-Sendern (ARD, ZDF, RTL, Sat.1, ProSieben), TV-Sendungen (Tatort, Wetten dass…?, Wer wird Millionär?, Genial daneben, TV Total) und Publikumszeitschriften (Stern, Der Spiegel, Focus, GEO, Fit for fun), und vergleicht sie mit der gewöhnlicher Konsumgüter (n = 2.755). Im Mittelpunkt stehen Markenfunktionen wie „entscheidungsvereinfachend“ oder „aktivierend“ sowie ihr Beitrag hinsichtlich zentraler Markenziele wie „Differenzierung“, „Präferenzbildung“ oder „Loyalität“.
Wichtigstes Ergebnis: Das klassische Markenkonzept ist nicht uneingeschränkt auf Medien zu übertragen. Vor allem die Inhaltsbreite vieler medialer Angebote, die einer fokussierten Positionierung der Dachmarke entgegensteht, die Immaterialität sowie die damit verbundene Imitierbarkeit, die fehlende Preisbildung und Marktfähigkeit, insbesondere bei TV und Online, wirken sich restriktiv aus.
Diese Einschränkungen gelten für TV-Angebote und in besonderem Maße für das Führen von TV-Sendern als Dachmarken: Gerade bei den Sendern erschweren die Heterogenität der angebotenen Inhalte und die fehlende Greifbarkeit des Angebots die Führung als Marke. So zeigte sich in der Studie, dass die untersuchten TV-Sendungen durchweg eine größere Markenstärke und eine ausgeprägtere Präferenzbildung aufweisen als die sie anbietenden TV-Sender. Anders ausgedrückt: „Wer wird Millionär?“ hat eine größere Markenstärke als RTL.
Der goldene Weg für TV-Sender sieht daher so aus, dass Markenverantwortliche die entscheidungsvereinfachenden Markenfunktionen auf der Ebene ihrer Sendungen und Formate verankern. Während Sendungen sich besser zur Markierung und damit als Vehikel zur Ausbildung von Programmpräferenzen eignen, spielt die Dachmarkenpositionierung des Senders vor allem als Selektionsfilter für das Arrondieren des Markenportfolios und als Richtschnur für Geschäftsfelderweiterungen (Brand Extensions) eine gewichtige Rolle.
In diesem Sinne überrascht es auch nicht, dass die eingeschlagene Dachmarkenstrategie des ZDF nur eingeschränkt zum Erfolg führt – der Altersschnitt der ZDF-Zuschauer liegt entgegen den eigenen Zielsetzungen nach wie vor bei knapp 60 Jahren. Die gesamte Strategie und ihre Umsetzung (On-Screen-Design, Kampagne, Studioausstattung et cetera) zielen auf die Dachmarke und stellen damit zwar eine hohe Konsistenz und Wiedererkennbarkeit des Sender-CIs sicher, verfehlen aber die entscheidungsrelevanten Bedürfnisstrukturen des Rezipienten, der sich, wie nachgewiesen, deutlich stärker an Sendungsmarken orientiert.
Die Übertragbarkeit des Markenkonzepts auf Print unterliegt etwas weniger starken Einschränkungen, da Printmedien sowohl über Materialität als auch eine annähernde Marktfähigkeit verfügen.
Erfolgsfaktoren für mediale Markenführung
Die Führung eines medialen Angebots als Marke bietet auch angesichts des erhöhten ökonomischen Drucks durch den Markt deutliche Vorteile (geringere Austauschbarkeit, besserer Schutz vor Imitation durch immaterielles Markenkapital, Loyalisierung und Bindung des Publikums, Economies-of-Scope-Effekte). Allerdings können Verantwortliche von Medienmarken das volle Markenpotenzial nur ausschöpfen, wenn sie die medialen Angebote mit Sensibilität für die Medienspezifika einerseits, und mit aller Konsequenz andererseits, als Marke führen.
Es muss ihnen klar sein, dass das „Produkt“ – nämlich das mediale Angebot selbst – aufgrund der Veränderlichkeit seiner Inhalte eine hohe Volatilität mitbringt. Umso wichtiger ist Konstanz und Verlässlichkeit in der Markenführung. Angesichts der teilweise äußerst kurzen Lebenszyklen von Medienmarkenpositionierungen scheint sich diese Erkenntnis noch nicht hinreichend durchzusetzen. Aus den Studienergebnissen lassen sich folgende Handlungsempfehlungen ableiten:
Marken müssen dort ausgebildet werden, wo sie auch programmwahlentscheidend wirken. Entfaltet die Marke einen entscheidenden Einfluss auf die Angebotswahl des Rezipienten? Trägt die Markenpräferenz zu einem Wiederwahlverhalten und einer erhöhten Loyalität bei? Es gilt immer, die marktrelevante Markenperformance im Blick zu behalten, damit Marken nicht zum reinen Imageträger und damit zum Selbstzweck werden.
Insbesondere im Rahmen komplexerer Markenarchitekturen, zum Beispiel bei TV und Hörfunk, aber auch Online, sollten Medienmarkenverantwortliche die Rollen der einzelnen Marken und ihr Verhältnis zueinander klar definieren. Was ist die gemeinsame Klammer eines Medienmarkenportfolios? Welche Marke determiniert die jeweils anderen? Wie ist mit Marken und ihren Positionierungen in verschiedenen Mediengattungen umzugehen? Eine klare markenstrategische Ausrichtung hilft, diese Fragen zu beantworten.
Medienmarkengestalter sollten den Verbundcharakter von Medienmarken nicht vernachlässigen. Diese müssen sich neben dem Nutzermarkt auch auf dem Werbemarkt, bei der Generierung von Mehrwertdiensten und beim Verkauf von Lizenzen bewähren. Während B2B-Märkte zielgruppenaffine Konzepte verlangen, geht es bei den redaktionellen Konzepten, journalistischen Produktionen und bei der Programmzusammenstellung darum, Aufmerksamkeitsgemeinschaften zu bilden. Die Dualität der Märkte erfordert das spezifische Verknüpfen von Business-to-Business- und Rezipienten-relevanten Aussagen.
Last but not least ist es entscheidend, die Markenpositionierung und die damit verbundenen Ziele in den Redaktionen zu vermitteln. Letztlich entscheidet die Redaktion, wie sich das mediale Angebot inhaltlich ausrichtet und wie stimmig es gelingt, die Angebote, wie angestrebt, zu positionieren.
Dr. Simon Berkler ist einer von drei Geschäftsführern der Strategieagentur diffferent und Autor des Buches „Medien als Marken? – Wirkungen von Medienmarken aus medienökonomischer Sicht“.