Eins will Kristian Meinken klarstellen: „An unserem grundsätzlichen Auftrag ändert sich nichts“, sagt der Chef der Hamburger Mediaagentur Pilot. „Es geht immer noch darum, kluge Entscheidungen zu unterstützen, damit ein Kommunikationsbudget einen möglichst starken Effekt hat.“ Wer wollte da widersprechen. Und doch ist, wie Meinken einräumt, die Branche eine andere geworden: Das Umfeld. Die Technik. Die Aufgaben. „Es geht um das Wie.“
Mediaagenturen stehen derzeit von vielen Seiten unter Druck. Kund*innen sind absatzorientierter geworden, Ertragssteigerung kommt bei vielen vor Imagegewinn. Zugleich ist der Medienmarkt so fragmentiert und erklärungsbedürftig wie nie zuvor, es gibt neue Werbeformate und mehr Touchpoints. Big Data und künstliche Intelligenz (KI) erleichtern zwar die Personalisierung und flexible Aussteuerung von Kampagnen. Doch wie immer ruft Innovation auch neue Anbieter auf den Plan, wie den unlängst von Kantar übernommenen Technikdienstleister Blackwood Seven oder Rellify, ein Start-up, das automatisiert zielgruppenrelevanten Content produziert.
Wo liegt die Zukunft der Mediaagentur – wird sie Spezialist für Kreativität und zwischenmenschliche Beziehungen? Oder geht es in Richtung Softwareunternehmen? „Beratung spielt im Agenturalltag eine größere Rolle als früher, weil das Geschäft komplexer geworden ist“, sagt Klaus-Peter Schulz, Geschäftsführer der Organisation der Mediaagenturen (OMG). Zwei Drittel der Agenturmitarbeiter*innen seien heute bereits in der Kundenberatung tätig, nur zehn Prozent im Einkauf. Das hat allerdings auch damit zu tun, dass die Dominanz der Daten steigt.
Immer komplexere Planungstools
Im FOMA-Trendmonitor 2021 zum digitalen Marketing fanden es 35 Prozent der Agenturen realistisch, dass KI „in absehbarer Zukunft“ Kampagnen inklusive Kreation und Mediaentscheidungen eigenständig umsetzen werde. 77 Prozent glaubten, dass in fünf Jahren das operative Mediageschäft in weiten Teilen automatisiert sei. Um im Wettbewerb zu bestehen, kommt es für Agenturen also auch darauf an, die richtigen Softwarelösungen zu bieten.
Alle namhaften Agenturen haben in den vergangenen Jahren aufgerüstet: Datenbanken angelegt, Analysesoftware entwickelt und KI-gestützte Planungstools. „Die Sehgewohnheiten werden immer individueller, jede noch so kleine Nische wird bedient“, sagt Sabine Lipken, Chief Solution Officer von Wavemaker Germany. „Das bedeutet zwar mehr Komplexität für uns als Agenturen, aber mehr Möglichkeiten für Marken.“ Bei Wavemaker hilft beispielsweise die selbstlernende Software „Maximize“, Szenarien zu optimieren und innerhalb einer einheitlichen Mediaplanung verschiedene Zielgruppen zu berücksichtigen.
Pilot stellt über seine Tochter Mercury Media Software zur Planung, Modellierung und Visualisierung bereit. Die Münchner Mediaplus-Gruppe launchte im März „MP Realtime“, einen internationalen Hub, der personelle Ressourcen und Technologien aus den Bereichen Research und Exekution zusammenführt. Das Ziel: Kampagnen in Echtzeit ans Verbraucherverhalten anpassen. „Media ist heute eine integrierte Disziplin über Gewerke hinweg, die beim Kunden in der Regel getrennt laufen“, sagt Andrea Malgara, Geschäftsführer und Partner von Mediaplus.
Für Marken sind Funktion und Nutzwert des Maschinenparks nicht immer leicht zu durchschauen. „Wir brauchen Tools, die funktionieren. Aber man muss nicht jeden Trend mitgehen“, sagt Susanne Kunz, Geschäftsführerin der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM). Komplexität reduzieren, strategischen Überblick bieten, Dinge zusammenführen – das sei es, was sich Markenverantwortliche in erster Linie von Mediaagenturen wünschen. „Viele Agenturen machen da einen großartigen Job.“ Gleichwohl will die OWM ihre Mitglieder*innen verstärkt auch mit technischem Know-how ausstatten, etwa durch Seminare. Kunz: „Je klüger der Kunde, desto besser der Markt.“
Marken könnten Mediaeinkauf in die eigene Hand nehmen
Zumal ein gutes Datenmanagement auch auf Unternehmensseite als wichtige Voraussetzung dafür gilt, Werbung auch ohne Cookies von Drittanbietern zielgruppengenau auszuspielen. Agenturen werden künftig verstärkt auf First-Party-Daten angewiesen sein, ergänzt durch Instrumente wie Modeling, alternative Datenquellen und kontextbezogenes oder semantisches Targeting. Nicht jeder trauert den Third-Party-Cookies nach. „Sie waren immer ungenau und wurden überschätzt“, sagt MediaplusGeschäftsführer Malgara. OMG-Geschäftsführer Schulz spricht von einer „Renaissance der Umfeldplanung“. Ein Problem bleibt der Erfolgsnachweis: Im FOMA-Trendmonitor sahen nur zehn Prozent der Agenturen das Reichweitenmodell der Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung (Agof) gut für eine cookielose Zukunft aufgestellt.
Wenn Marken künftig ohnehin weitgehend auf eigene Kundendaten angewiesen sind – werden sie, unterstützt durch KI, ihren Mediaeinkauf womöglich ganz in die eigene Hand nehmen? Gentsch, Hochschulprofessor und Experte für digitale Transformation, hält das für wahrscheinlich: „Kostenmäßig ist das nicht zu schlagen“ – eine entsprechende digitale Infrastruktur vorausgesetzt. Große E-Commerce-Spieler wie Otto und Zalando haben schon vor Jahren mit dem Aufbau eigener Datenbanken begonnen. Inzwischen sind sie so gut aufgestellt, dass sie Dienstleister für Dritte geworden sind. Selbst bei einem Insourcing-Trend sieht Pilot-Chef Meinken aber noch Chancen fürs Agenturgeschäft – etwa in der Technikberatung und Prozessverbesserung. „Wir passen uns an die Bedürfnisse der Kunden an. Dynamik und Veränderungen sind eine Gelegenheit, neue Wege zu gehen.“ Oder, wie es OWM-Geschäftsführerin Kunz ausdrückt: „Die Agentur ist tot. Es lebe die Agentur.“