Es begann Anfang des Jahres mit den Tiraden von Thomas Strerath, dem künftigen Vorstand der Werbeagentur Jung von Matt: Mediaagenturen, so Strerath in „New Business“, verfolgten ein Geschäftsmodell „bar jeglicher Vernunft und jenseits der Moral“. Strategische Inkompetenz und Intransparenz der Agenturen hätten laut Strerath dazu geführt, dass alle anderen Marktteilnehmer extrem unzufrieden mit dem gegenwärtigen Mediasystem seien. Was folgte, waren viele Gegenreden und Kommentare zum Geschäftsmodell, aber auch zur Zukunft der Mediaagenturen.
Herr Lortz, warum ist die Debatte um die Mediaagenturen und ihr Geschäftsmodell gerade jetzt wieder hochgekocht?
FRANK-PETER LORTZ: Inhaltlich ist das völlig unverständlich. Das angesprochene Thema Transparenz war vor sechs bis sieben Jahren wirklich ein Problem, weil es seitens der Mediaagenturen tatsächlich Defizite gab. Diese sind aber behoben. Die Transparenzvorgaben stehen mittlerweile in den Verträgen, fast alle großen Kunden werden über Auditing geprüft, und fast alle Werbungtreibenden haben seitdem ihre Agenturen auf den Prüfstand gestellt und Pitches durchgeführt. Das Thema Transparenz ist abgehakt.
Angestoßen wurde die Debatte von Thomas Strerath aus dem Lager der Werbeagenturen. Die Chemie zwischen Kreativen und Medialeuten scheint nicht zu stimmen. Läuft die Zusammenarbeit so schlecht?
LORTZ: Das hängt jeweils vom Kunden ab. Der eine führt die Agenturen eng zusammen, der andere lässt sie völlig unabhängig arbeiten. Der eigentliche Grund für den Unmut der Kreativen ist aber der Frust darüber, dass sie massiv an Einfluss verlieren. Die Mediaagenturen haben im Kommunikationsprozess das Heft in der Hand, vor allem, weil sie die digitale Expertise haben. Sie haben hier seit vielen Jahren massiv investiert, während die Kreativagenturen geschlafen haben. Nun merken diese, dass der Zug in die Zukunft ohne sie abfährt. Anfang der 90er Jahre waren die Medialeute noch die Kellerkinder, mittlerweile haben sie die Führung übernommen. Die Machtverhältnisse haben sich völlig gedreht. Und wir dürfen auch weiterhin sehr optimistisch nach vorn schauen.
Daran werden verstärkt Zweifel geäußert. Unter anderem gilt Programmatic Buying vielen als Gefahr für die Mediaagenturen. Direkter Kontakteinkauf statt Umfeldplanung und Medien-Know-how, Auktionen und Festpreise statt Verhandlungsmacht durch Größe – diese Faktoren rütteln an Ihrem Geschäftsmodell.
LORTZ: Zunächst: Programmatic Buying mit allen Konsequenzen wird wichtiger, wird aber nicht alles ersetzen. Wir werden auch in zehn Jahren noch gedruckte Zeitschriften lesen und lineares TV sehen, davon bin ich überzeugt. Aber vor allem: Programmatischer Einkauf mag unsere Prozesse verändern, aber was ist daran problematisch? Die digitalen Möglichkeiten machen es einfacher, relevante und effiziente Werbung zu machen – und dabei werden die Mediaagenturen auch in Zukunft helfen.
Allerdings bauen immer mehr Werbungtreibende Real-Time-Advertising-Technologien im eigenen Haus auf, Unternehmen wie Otto, Zalando oder international Reckitt-Benckiser. Wenn das gut läuft, könnten sie nach und nach auch weitere, zunächst digitale Bereiche in Eigenregie und ohne die Mediaagenturen betreuen – der Damm ist gebrochen.
LORTZ: Das sehe ich völlig anders. Vor allem die technische Komplexität wird dafür sorgen, dass Inhouse-Lösungen auf Dauer nicht funktionieren werden. Es reicht eben nicht, eine Demand-Side-Plattform für Real-Time Advertising zu unterhalten. Wenn man qualitative Umfelder in ausreichendem Maße haben will, braucht man Zugang zu Private Market Places, zu verschiedenen Datenquellen. Sie brauchen Data Management Plattformen, um diese zu verwalten, müssen verschiedene DSPs miteinander verbinden können, On- und Offline Maßnahmen verknüpfen. Die notwendige Infrastruktur dafür können nur die Mediaagenturen bereitstellen. Ohne diese Strukturen und vor allem die begleitende Expertise von außen werden die Werbungtreibenden auch im Programmatic Buying nicht agieren können. Für uns ergeben sich hier große Wachstumspotenziale. Zurzeit landen vielleicht drei bis fünf Prozent der Umsätze in der Wertschöpfungskette der Werbung bei den Mediaagenturen. Das wird künftig deutlich mehr – auf Kosten der Medien, aber auch auf Kosten von anderen Spezialagenturen, die in der analogen Welt Teile der Customer Journey gecovert haben. Natürlich verändert das unser Geschäftsmodell grundlegend.
In welche Richtung?
LORTZ: Wir entwickeln uns von skalenorientierten Media-Buyern zu Beratern, die auf komplexe technische Strukturen für das Datenmanagement zugreifen können und aus dem daraus gewonnenen Wissen neuen Mehrwert schaffen können. Wir haben in den vergangenen Jahren allein in Deutschland einen zweistelligen Millionenbetrag in unsere technische Infrastruktur investiert. Darüber findet in Zukunft die wesentliche Wertschöpfung statt.
Damit steigen Sie aber nicht nur mit den großen Internetkonzernen wie Google, Facebook und Amazon in den Ring, sondern auch mit IT-Spezialisten wie IBM und SAP, die Interesse am Thema Marketing-Automatisierung haben.
LORTZ: Das ist richtig. Aber diese Player agieren auf einer internationalen Ebene und sind an lokalen Spezifikationen nicht interessiert. SAP hat zwar eine Unternehmenssoftware entwickelt, die zum Standard geworden ist. Von der individuellen Anpassung der Systeme leben dennoch weiterhin zahlreiche Dienstleister sehr gut. Dasselbe gilt für das Thema Marketing und Werbung: Es ist genug Platz für viele Anbieter.
Problematischer dürfte es werden, die Werbungtreibenden davon zu überzeugen, ihre eigenen Kundendaten für die Plattformen der Mediaagenturen zur Verfügung zu stellen.
LORTZ: Natürlich gibt es Vorbehalte, Daten aus der Hand zu geben, nicht nur gegenüber Mediaagenturen, sondern allgemein. Das ist auch richtig und verständlich. Unsere Aufgabe ist es zu zeigen, dass die Bedenken unbegründet sind. In unserem Netzwerk werden Kundendaten nicht – wie bei einigen unserer Wettbewerber – in große Datenpools eingespeist, sondern konsequent separat gehalten und natürlich auch nicht weitergegeben. Die Anreicherung der Daten mit Second- und Third-Party-Daten, die man zukaufen kann, reicht völlig aus, um fantastische Erkenntnisse zu gewinnen.
Mit Google, Facebook und Amazon könnte den Mediaagenturen auch beim Thema Data eine übermächtige Konkurrenz erwachsen. Dennoch kooperieren Agenturen aus Ihrem Netzwerk mit den großen sozialen Netzwerken. Ist das intern unumstritten?
LORTZ: Das ist natürlich ein sensibles Thema. Und es ist wie so oft im Wirtschaftsleben: Mal läuft etwas toll, manchmal weniger.
Was geben Sie, was bekommen Sie?
LORTZ: Es geht unter anderem um Datenabgleiche, aber auch Analytics, Attribution Modelling und First-Look-Optionen, die wir bekommen. Die Internetunternehmen wollen im Gegenzug vor allem etwas über die Wirkungsmechanismen der Offline-Welt erfahren. Auch verbesserte Einkaufskonditionen für die Mediaagenturen können Part des Deals sein, die Preisvorteile sind allerdings nicht der Treiber.
Was wird die Mediaagentur der Zukunft – vom Datenmanagement abgesehen – noch ausmachen? Wollen Sie verstärkt auch Kreation anbieten?
LORTZ: Ja. Aber wir werden die klassische Kreativagentur nicht ablösen. Sie wird weiterhin für die „Big Ideas“ zuständig sein. Aber wir werden zunehmend speziellere Bereiche betreuen, die sich durch die zunehmende Automatisierung ergeben, etwa in Echtzeit angepasste Varianten von Werbemitteln. Dieses Thema betreut bei Zenith Optimedia die Agentur Newcast. Ein zweites Thema ist Content. Zenith Optimedia hat im vergangenen Herbst die Berliner SEO-Agentur AKM3 übernommen. Die Hälfte der rund 120 Mitarbeiter sind Journalisten.
Warum bringen die großen Werbenetzwerke ihre hauseigenen Kreativ- und Mediaagenturen nicht stärker gemeinsam in Stellung?
LORTZ: Weil die Werbekunden das nicht wollen. Sie wollen für alle Aufgabenstellungen stets den besten Dienstleister ausgesucht haben. Dieses Gefühl stellt sich nicht ein, wenn sie alle Services aus einer Hand beziehen.
Liegt es auch daran, dass Agenturen aus einem Haus oft gar nicht so gut harmonieren?
LORTZ: Agenturen sind grundsätzlich pragmatisch und kooperationswillig. Wenn das mit externen Partnern funktioniert, dann auch unter Schwesteragenturen. Ausschlaggebend ist, ob der Kunde die Zusammenarbeit fordert und fördert.
Werden die Mediaagenturen ihre zahlreichen Spezialteams künftig als eigene Tochteragenturen oder lediglich als Units führen?
LORTZ: Es gibt beide Ansätze, und beide haben ihre Berechtigung. Im Vivaki-Netzwerk arbeitet Zenith Optimedia mit Spezialagenturen wie Performics, Newcast und Ninah, Starcom Mediavest dagegen mit Units. Beide sind aber bestrebt, die Komplexität für den Kunden zu reduzieren. Dazu braucht man sehr gut ausgebildete „Connection Planner“, die den Überblick haben und die Disziplinen verknüpfen können. Wir investieren daher sehr viel in die Weiterbildung unserer Mitarbeiter.
Laufen Sie häufig Gefahr, dass die Werbungtreibenden Ihnen diese hochkarätigen Leute abwerben?
LORTZ: Weniger, obwohl ich durchaus den Eindruck habe, dass sie stärker in Marketing- und Mediaexpertise investieren, um den Anschluss nicht zu verlieren. Hier müssen wir eher fürchten, dass die „fancy global players“ wie Google ihre Fühler ausstrecken.
Das Gespräch führte Klaus Janke.