Wir leben aktuell in herausfordernden und vor allem turbulenten Zeiten. So vermeldete das Handelsblatt am 28. September dieses Jahres: „Konsumlaune in Deutschland sinkt auf neues Rekordtief“ und weiter „seit der Erhebung der Verbraucherlaune für Gesamtdeutschland 1991 wurde kein schlechterer Wert gemessen.“
Dazu erklärte GfK-Konsumforscher Rolf Bürkl: „Früher war vielen Qualität wichtiger als der Preis. Das hat sich geändert. Die Menschen sind preisbewusster, gehen auf Schnäppchenjagd. Die Discounter sind die Gewinner dieser Krise.“
„Gutes für alle“ versus „Let’s go“
So gesehen ist es auch nicht verwunderlich, dass zwei echte Handelsschwergewichte aktuell ihre Marken neu und stärker profilieren und für die Zukunft ausrichten wollen. In einer deutsche Werbefachzeitschrift hieß es dazu: „Durch die Inflation sind die Wettbewerbsverhältnisse für Discounter im Moment so gut wie schon seit Jahren nicht mehr. Doch ausgerechnet Marktführer Aldi hatte zuletzt im Wettbewerb mit der aggressiv agierenden Konkurrenz zu kämpfen. Das soll nun der neue Claim ‚Gutes für alle‘ und die begleitende Einführungskampagne ändern.“
Im Falle von Media-Markt konnte man etwa folgende Zeilen lesen: „Die neue Markenkampagne (rund um den neuen Claim „Let’s go“) soll zunächst einmal die Marke mit neuen Wertedimensionen aufladen und wohl auch eine deutlich optimistischere Haltung geben, als sie es in den vergangenen Krisenjahren hatte.“
Dazu erklärte Michael Schuld, Chief Commercial & Marketing Officer der Media-Markt Saturn Retail Group: „Media-Markt is back! Es ist Zeit, die Stärke der Marke wieder zu nutzen. Unser Claim ‚Let’s go!‘ steht für die Kraft, die entsteht, wenn man Dinge gemeinsam anpackt. Wenn man einfach einmal loslegt. Sich traut, macht.“
Umlernen schwieriger als neu lernen
Wenn man heute in der Markenführung oder im Marketing Claims oder Slogans beurteilt, stehen schnell Begriffe wie Kreativität, Merkbarkeit oder der berühmte USP im Mittelpunkt der Diskussion. So soll ein guter oder besser sehr guter Slogan die Marke kreativ auf den Punkt bringen, die Differenzierung zum Wettbewerb erhöhen, ein bestehendes Image verstärken oder gar ein neues Image schaffen.
Vor lauter Euphorie wird dabei aber in vielen Fällen ein wesentlicher Punkt übersehen, nämlich der, dass für die Kunden umlernen sehr viel schwieriger als neu lernen ist. So hat man dann oft den Eindruck, dass Manager und deren Agenturen fest daran glauben, dass ein neuer Slogan und eine neue Kampagne dafür sorgen, dass die Kunden automatisch neu und anders über die Marke denken werden.
Für ein Unternehmen mag es „einfach“ sein, einen Claim zu ändern, für die Kunden ist diese Änderung in der Regel ein mentaler Mehraufwand ohne echten Zusatznutzen. Oder wie oft haben Sie in den letzten 20 Jahren einen neuen Opel-Claim oder auch einen neuen Coca-Cola-Claim dazu gelernt? Wahrscheinlich gibt es auch in Ihrem Leben wichtigere Dinge. Und noch eine Frage dazu: Wissen Sie überhaupt, wie jeweils der aktuelle Claim von Opel oder Coca-Cola lautet?
Claim im Tagesgeschäft einlösen
Aus dieser Warte betrachtet ist der Claim „Gutes für alle“ sehr viel passender und wahrscheinlich auch effektiver als der Claim „Let’s go“. Das liegt aber nicht am Claim selbst, sondern an der Strategie dahinter. Dazu machten die Markenverantwortlichen Gianfranco Brunetti (Aldi Nord) und Christian Göbel (Aldi Süd) bei der Vorstellung der neuen Kampagne deutlich, dass dabei nicht das Ziel sei, die Marke neu zu positionieren, sondern vielmehr die Wurzeln der Marke klarer herauszuarbeiten. Das heißt: Hier geht es nicht um das Umlernen, sondern darum bereits Gelerntes zu verstärken. Erfolgsentscheidend wird hier sein, wie sehr man diesen Claim auch als echten Anspruch im Tagesgeschäft zum Leben bringt.
Viel schwieriger ist die Situation bei Media-Markt, denn hier geht es laut Karsten Wildberger, CEO der Media-Markt Saturn Retail Group und von Ceconomy, wieder einmal um die Transformation des Geschäftsmodells rund um eine Mobile-First-Strategie. Dazu erklärte er kürzlich: „Wir wollen künftig der Experience Champion sein. Das geht vom Einkaufserlebnis über das Nutzungserlebnis unserer Dienstleistungen bis hin zum Erlebnis unserer neuen Geschäftsmodelle.“
So gesehen stellt sich aber auch die Frage, ob Media-Markt bisher überhaupt ein Slogan- oder Werbeproblem hatte und ob diese neue Kampagne und dieser neue Slogan wirklich die Kraft hat, die Kundenwahrnehmung von Media-Markt nachhaltig verändern zu können.
Von Marken- und Werbeproblemen
Damit sind wir bei einem wichtigen Punkt: Nicht jedes Markenproblem ist automatisch ein Werbeproblem. Auch wenn man oft den Eindruck hat, dass viele Manager und deren Agenturen gerne jedes Markenproblem mit Werbung lösen möchten. Dazu ein kleiner Test: Welcher Slogan fällt Ihnen jeweils spontan zu Media-Markt und zu Saturn ein? Wahrscheinliche Antwort, wenn Sie älter als 20 oder 25 Jahre sind: „Ich bin doch nicht blöd“ und „Geiz ist geil“. Dabei wurde der erste Slogan 2015 in Pension geschickt, der zweite bereits im Jahr 2007, um 2011 noch einmal ein kurzes Comeback zu feiern.
So gesehen hat kein Slogan seit damals das Slogan-, Werbe- oder Markenproblem von Media-Markt oder Saturn auch nur annähernd nachhaltig gelöst. Vielmehr sollte das Management gelernt haben, dass ein neuer Slogan wahrscheinlich weder die Markenprobleme von Media-Markt noch von Saturn jemals wirklich lösen wird. Aber auch für das Management dürfte das Umlernen sehr viel schwieriger als das Lernen sein.
Denn das echte Markenproblem liegt viel, sehr viel tiefer. Media-Markt und Saturn waren eines der besten Mehr-Marken-Systeme im Zeitalter des stationären Handels. Nur leben wir heute in der digitalen Ära und genau diese Ära würde ein neues Mehr-Marken-System erfordern. Genau das aber würde mehr als nur eine Transformation des bestehenden Geschäftsmodells verlangen, dies würde eine komplett neue Marken- und Unternehmensstrategie erfordern, eine, in der man wahrscheinlich den Mut haben müsste, sich selbst mit einer neuen Marke zu kannibalisieren oder aber aus Saturn eine reine Online-Marke zu machen.