Markthallen-Konzept von Real: Transformation bringt Umsatz

Wie wirkt es auf Kunden und ihr Kaufverhalten, wenn sich ein bekannter Händler mit einem radikal neuen Konzept präsentiert? Das Institut für Marketing in Münster präsentiert in einer groß angelegten Studie in Kooperation mit der Einzelhandelskette Real überraschende Ergebnisse.
Gourmettempel: Die transformierte Filiale bietet Kulinarisches vor Ort. (© Real)

Von Manfred Krafft und Mirja Kroschke

Die Herausforderung

Wettbewerb: Der hohe Wettbewerbsdruck im stationären Einzelhandel fordert alle Handelsketten heraus und führt dazu, dass viele Händler investieren, um ihre Filialen radikal neu zu gestalten. Neben den großen Lebensmitteleinzelhändlern Aldi, Rewe, Edeka und Real in Deutschland gestalteten auch Carrefour in Frankreich, Morrisons in Großbritannien und Walmart in den USA viele ihrer Filialen grundlegend um. Das Ziel: sich mit diesen neuen Formaten von Wettbewerbern sowohl im stationären Bereich als auch online abzugrenzen und somit Kunden zu halten und zu gewinnen.

Kunden: Der Lebensmitteleinkauf ist meist von niedrigem Involvement geprägt. Die Kunden achten bei ihren Kaufentscheidungen insbesondere auf Convenience. Kunden entwickeln Gewohnheiten und benutzen Heuristiken, um ihre Einkaufsentscheidungen zu vereinfachen. Eine disruptive Veränderung der Einkaufsumgebung kann dazu führen, dass Kunden ihre Einkaufsoptionen neu beurteilen und ihr Verhalten anpassen. Gegebenenfalls wägen sie Kosten und Nutzen des Einkaufens in genau dieser Filiale neu ab und vergleichen sie mit anderen Möglichkeiten – zum Beispiel mit in der Nähe liegenden Filialen derselben Handelskette. Wünschen sich wirklich alle Kunden ein abwechslungsreiches Einkaufserlebnis in stilvollem Ambiente mit einem besonderen und vielfältigen Sortiment? Oder ist der Mensch doch ein Gewohnheitstier und empfindet zu viele Neuerungen als unangenehm und störend? Neben Stammkunden müssen Einzelhändler auch genügend Neukunden gewinnen, die anders ticken als die bereits loyalen Kunden.

Intern: Eine radikale Neugestaltung und -positionierung der stationären Geschäfte kostet nicht nur sehr viel Geld und Zeit, sondern macht die Händler auch unflexibel: In der Regel gibt es kaum Möglichkeiten, neue attraktive Standorte zu finden, also müssen bestehende Flächen genutzt werden. Häufig haben Händler in einer Region aber nicht nur eine Filiale, sondern mehrere – daher stellt sich auch die Frage, wie sich die Einführung eines neuen Konzeptes auf die Gesamtperformance auswirkt.


Die Autoren:

Prof. Dr. Manfred Krafft ist Direktor des Instituts für Marketing der Universität Münster.
Dr. Mirja Kroschke ist Senior Project Manager Digital Excellence bei Otto und Research Fellow am Institut für Marketing der Universität Münster.

Die Lösung

Real rüstet in ausgewählten Filialen von der bisherigen mittleren Positionierung bei Preis und Qualität zu einem Premium-Image um. Es geht um eine elementare Transformation der Filiale – also nicht nur eine optische Neugestaltung, sondern auch eine vollständig neue Positionierung. Der Fokus des neuen Konzepts liegt auf erlebnisorientierten Merkmalen: einem deutlich verbesserten gastronomischen Service, einer erhöhten Sortimentsvielfalt und besser ausgebildeten Servicemitarbeitern sowie einem modernen und stilvollen Ambiente.

Das Markthallen-Konzept von Real: „Das Gute leben“ – so lautet die Philosophie des neuen Konzepts. Geblieben ist die für Real-Märkte bekannte beeindruckende Größe – mit einem Design und einer Angebotsvielfalt vom Feinsten verspricht die Markthalle zusätzlich ein ganz neues Einkaufserlebnis. In der Markthalle von Real funktioniert das alles unter einer optischen Klammer und wirkt dementsprechend harmonisch.

Angeordnet wie in einer traditionellen Markthalle finden die Kunden alles unter einem Dach: vom Meistermetzger über die Kaffeerösterei bis zum Fischhändler. Neben einem erweiterten Frischesortiment mit starker regionaler und saisonaler Prägung bietet dieses Konzept auch mehr Bio- und Feinkostartikel und einen verbesserten Service. Die „Piazza“ – der neue in sich geschlossene Gastronomiebereich – bietet viele Plätze, an denen Kunden die vor ihren Augen frisch zubereiteten Speisen verzehren können. Weitere Sitzplätze finden sich unter anderem an der Austernbar, an der Weinbar oder im Wintergarten.

Die abwechslungsreiche und hochwertige Küche ist regional und nachhaltig. Salat, Smoothies, Pizza, Pasta, Sushi und Burger, verschiedene Kaffeespezialitäten und ausgewählte Weine runden das Angebot ab. Hinzu kommt eine beeindruckende Vielfalt im Nonfood-Bereich, beispielsweise zu digitalen Trends in der „Innovation Lounge“ oder in der sogenannten Fahrrad-Welt mit angeschlossener Werkstatt, in der kleine Schäden wie ein platter Reifen oder eine gerissene Fahrradkette während des Einkaufs sofort repariert werden.

Was untersucht wurde – Aufbau der Studie

Geografisches Cluster: Im Fokus der Studie steht eine zur Markthalle transformierte Filiale der Einzelhandelskette Real. In einem Radius von zehn Kilometern befinden sich zwei weitere, nicht veränderte Filialen von Real, die weiterhin dem alten Konzept mit der gewohnten Gestaltung folgen. Diese drei Standorte bilden das geografische Cluster für die Untersuchung.

Forschungsziel und -team: Das erste Ziel der Studie ist es, den Einfluss der Neugestaltung und Neupositionierung auf den Umsatzerfolg der transformierten Filiale sowie auf den Umsatz der nicht veränderten Filialen im geografischen Cluster zu bestimmen. Das zweite Ziel ist ein granularer Einblick darauf, wie sich diese Transformation auf das individuelle Kaufverhalten von Kunden auswirkt. Neben Professor Manfred Krafft und Dr. Mirja Kroschke von der Uni Münster waren die Professoren Els Breugelmans (KU Antwerpen), Marleen Hermans (Radboud Universiteit) und Murali Mantrala (ISB Hyderabad) umfassend an dem Forschungsprojekt beteiligt, Svenja Enste von der Uni Münster wirkte beim Entwurf dieses Beitrags mit. Auf der Seite von Real waren Finance Director Marcel Uphues sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Investitions- beziehungsweise Projektcontrolling, der Marktforschung und Data Analytics involviert.

Was wurde untersucht? Die Studie umfasst einen Zeitraum von fast 3,5 Jahren, genauer: 79 Wochen vor dem Beginn der Transformation, 26 Wochen während des Umbaus, sechs Wochen mit kompletter Schließung und 85 Wochen nach der Eröffnung der neuen Markthalle. Im ersten Schritt betrachtet sie aggregierte wöchentliche Umsatzdaten der transformierten Filiale sowie der beiden nicht veränderten Filialen des Clusters. Zusätzlich unterscheidet sie zwischen Umsätzen von Mitgliedern (73%) und Nicht-Mitgliedern des Payback-Loyalitätsprogramms (27%). Im zweiten Schritt untersuchte das Team die Kaufdaten von individuellen Kunden genauer. Dazu betrachtete es ausschließlich Mitglieder des Payback-Programms und wertete deren ­anonymisierte Kaufdaten aus. Damit waren etwa drei Viertel des Filialumsatzes abgedeckt.

Erfolgsmessung: Mithilfe von Matching-Algorithmen identifizierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl Kontroll-Filialen für die drei Filialen im ausgewählten Cluster als auch eine ganze Region als Kontroll-Cluster, das dem untersuchten geografischen Cluster in Umsatz, Merkmalen der Filialen und des Wettbewerbsumfelds sehr ähnlich ist. Jeder Haushalt im betrachteten Cluster wurde anhand von Einkaufs-Charakteristika, Soziodemografika und geografischer Entfernung zu den drei Filialen einem „Zwillingshaushalt“ in dem Kontroll-Cluster zugeordnet. So sind die Effekte der Transformation sauber von dritten, externen Einflüssen isoliert.

Wie verändert sich der Umsatzerfolg?

Der Umsatzerfolg der Markthalle, also der transformierten Filiale, ist unmittelbar nach der Neueröffnung eher ernüchternd – es lässt sich keine substanzielle Umsatzsteigerung gegenüber der Zeit vor der Transformation feststellen. Eine genauere Untersuchung bringt aber mittel- bis langfristig positive und auch einige unerwartete Effekte: Während die Umsätze von Kunden des Loyalitätsprogramms in der neuen Markthalle anfänglich insgesamt zurückgehen, steigen die Umsätze, die mit Nicht-Mitgliedern erzielt werden. Diese konträren Effekte heben sich gegenseitig auf. Langfristig zeigt sich aber ein positiver Umsatztrend in der neuen Markthalle und der ist hauptsächlich einer erhöhten Anzahl neuer Kunden zu verdanken. Dies belegt der überdurchschnittliche Zuwachs an Neuanmeldungen für das Payback-Loyalitätsprogramm nach Eröffnung der Markthalle. Außerdem sind seit der Eröffnung der transformierten Filiale insgesamt weniger Kunden abgewandert.

Detaillierte Auswertungen von Kaufdaten der Kunden des Loyalitätsprogramms decken interessante Unterschiede auf: Kunden, die öfter frische und gesunde Lebensmittel oder Fertiggerichte kaufen, besuchen die neue Markthalle öfter und geben zudem mehr Geld aus. Das neue Konzept ist also für diese Kundengruppe besonders attraktiv.

Kunden, die eine hohe Vertrautheit zum gewohnten, alten Real-Konzept und zugleich eine höhere Kaufhäufigkeit und durchschnittlich größere Warenkörbe aufweisen, wenden sich von der neuen Markthalle eher ab. Auch Kunden, die für Verkaufsförderungsmaßnahmen besonders empfänglich sind oder bevorzugt Private-Label-Produkte kaufen, profitieren weniger vom neuen Konzept und kaufen daher seltener und mit geringeren Einkaufsvolu­mina in der transformierten Filiale ein.

Mit Blick auf das gesamte geografische Cluster – die neue Markthalle und die beiden unveränderten Filialen – findet zwar kein sofortiger Anstieg des Umsatzes statt, aber es gibt einen positiven Trend: Mittel- und langfristig gesehen steigert die radikale Transformation die Umsätze sowohl mit Mitgliedern als auch mit Nicht-Mitgliedern des Loyalitätsprogramms im gesamten geografischen Cluster. ­Unerwarteterweise steigen außerdem die Umsätze in den beiden unveränderten Real-Filialen in der Nähe der neuen Markthalle. Dieses Wachstum ist primär auf Kunden des Loyalitätsprogramms zurückzuführen, die sich von der transformierten Filiale und dem neuen Konzept abgewandt haben. Anscheinend dienen die unveränderten Filialen in der Nähe als Auffangnetz für die mit dem neuen Konzept unzufriedenen, aber grundsätzlich sehr loyalen Real-Kunden. Das neue Konzept hat darüber hinaus mehr Kunden zu Multi-Store-Shoppern gemacht – nach der Eröffnung der neuen Markthalle kauften mehr Kunden nicht nur bei einer der Filialen im geografischen Cluster, sondern wechselten zwischen mehreren Filialen.

Vermutlich machen die Kunden nun ihre Einkaufsstättenwahl davon abhängig, welches Konzept ihren jeweiligen Bedürfnissen am ehesten entspricht. Das emotional aufgeladene Einkaufserlebnis in der Markthalle oder das eher rationale „einmal hin – alles drin“ in traditionellen Real-Outlets bestimmen also die Wahl der Filiale.

Was Manager beachten sollten

Die Studie zeigt, dass die radikale Transformation einer Filiale tatsächlich eine sinnvolle Antwort auf die Herausforderungen im stationären Handel sein kann. Allerdings müssen Führungskräfte die Einführung eines neuen Konzepts differenziert betrachten. Dabei sind insbesondere die folgenden vier Punkte wichtig:

Standortwahl: Da eine grundlegende Neugestaltung und Neupositionierung hohe Investitionen und viel Zeit erfordern, können Handelsketten grundsätzlich nicht viele Filialen gleichzeitig umgestalten. Unserer Studie zufolge ist das auch gar nicht ratsam. Vielmehr sollten Unternehmen eine hybride Strategie verfolgen, bei der eine transformierte Filiale und Filialen mit dem bisher gewohnten Konzept in einem geografischen Cluster parallel existieren. Für eine Transformation sollten also Regionen gewählt werden, in denen es mehrere Filialen derselben Handelskette gibt. So können Kunden, die das neue Konzept nicht anspricht, zu Filialen der gleichen Kette wechseln, in denen sie das gewohnte Konzept vorfinden. Dies verhindert nicht nur eine mögliche Abwanderung zur Konkurrenz, sondern trägt darüber hinaus noch zu Umsatzerfolgen der in der Nähe gelegenen Filialen bei, ein „positive spillover“-Effekt.

Kundenorientierung: Man geht häufig davon aus, dass die Kunden ein qualitativ höherwertiges Ladenformat in einem moderneren Design, mit mehr Licht, breiteren Gängen oder mehr Auswahl und Exklusivität an frischen Produkten bevorzugen. Aber viele Kunden – und in unserer Studie interessanterweise insbesondere die sehr loyalen Kunden – reagieren negativ auf eine komplette Neugestaltung und -positionierung der Filiale.

Führungskräfte im Handel sollten daher ihr besonderes Augenmerk auf Kunden richten, die neuen Konzepten skeptisch gegenüberstehen könnten. Dafür können sie bereits im Vorhinein die Eigenschaften der Kunden und ihr Einkaufsverhalten analysieren. Kunden, deren bisherige Präferenzen zum transformierten Konzept passen und die es mit hoher Wahrscheinlichkeit attraktiv finden, sollten zum Kauf angeregt werden. Diejenigen Kunden, die sich verstärkt mit dem alten Ladenkonzept identifizieren, müssen von den Vorteilen der Transformation überzeugt werden. So können Navigationshilfen den Kunden helfen, sich in der neu gestalteten Filiale zu orientieren. Alternativ kann man diese Kunden auf die in der Nähe gelegene Filiale aufmerksam machen.

Neukundengewinnung: Die radikale Transformation von Filialen ermöglicht es, Neukunden zu gewinnen, die sich für neue und hochwertige Formate begeistern. Zielgerichtete Kampagnen können zudem Wechselkunden zu regelmäßigeren Käufern machen. Die Neueröffnung sollte umfassend und mit einer regional hohen Reichweite beworben werden, um im erweiterten geografischen Cluster neue Kunden anzuziehen.

Sorgfältige Planung: Eine radikale Transformation erfordert eine gründliche Planung. Die zum Teil überraschenden Ergebnisse der Studie bieten dafür Anhaltspunkte. Verantwortliche sollten insbesondere die Bedeutung von Schließungsphasen nicht vernachlässigen. Die stufenweise erfolgende Transformation von Filialen größerer Handelsketten bietet Lerneffekte, um Schließungszeiten immer weiter zu verkürzen, Konzepte zu verbessern und Kunden­reaktionen besser einschätzen und darauf reagieren zu können.