Marketing und IT bei der BVG: Miteinander statt Nebeneinander

Christine Wolburg und Sabina Kusmin-Tyburski müssen als CMO und CIO der Berliner Verkehrsbetriebe die unterschiedlichen Prioritäten beider Bereiche ausbalancieren. Wie das gelingt, verraten sie im Interview.
Sabina Kusmin-Tyburski und Christine Wolburg BVG3
Sabina Kusmin-Tyburski (links) und Christine Wolburg verantworten die Bereiche IT und Marketing/Vertrieb bei den Berliner Verkehrsbetrieben. (© absatzwirtschaft)

Im aktuellen Marketing Tech Monitor bewerten fast die Hälfte der Befragten (47 Prozent) die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Marketing und IT in ihren Unternehmen als schlecht oder sehr schlecht. Wir haben mit Christine Wolburg und Sabina Kusmin-Tyburski darüber gesprochen. Die eine verantwortet Marketing und Vertrieb, die andere die IT bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG).

Frau Wolburg, Frau Kusmin-Tyburski, Sie saßen beide jüngst auf einem Panel mit dem ironisch gemeinten Titel „COM und CIO – Ziemlich beste Freunde“. Wieso kann man die Ironie für die BVG streichen?

Christine Wolburg (CW): Weil wir beide die Zeichen der Zeit erkannt haben. Es wird aber auch immer ein Spannungsfeld bleiben: Vertrieb und Marketing möchte schnell am Markt sein, die Kundenbedürfnisse befriedigen und das Wachstum steigern. IT möchte, dass das Ganze in die Unternehmensarchitektur eingebunden wird. Das ist absolut berechtigt, war aber nicht immer der richtige Weg, wenn man mal schnell neue Features ausprobieren wollte. Jetzt sind wir in einer Phase, in der wir das Gelernte anwenden und uns konsolidieren.

Sabina Kusmin-Tyburski (SKT): Es ist höchste Zeit, die Systemlandschaft auch vertriebsseitig „aufzuräumen“. Das erleichtert uns in der Konsequenz auch die Datennutzung.

Geben Sie uns ein Beispiel.

CW: Wir haben in den vergangenen Jahren viele technologische Tools ausprobiert. Das geschah zum Teil auch zusammen mit externen Dienstleistern und nur mit geringer Einbindung unserer eigenen IT. Wir haben zum Beispiel über die Jahre vier verschiedene Apps für unsere Kund*innen auf den Markt gebracht. Wir waren damit jeweils schneller am Markt, als wenn wir es auf einer einheitlichen Architektur aufgebaut hätten. Die Apps hatten auch alle ihre Berechtigung, aber das ist heute nicht mehr zeitgemäß und entspricht auch nicht einem einfachen Angebot und Zugang für unsere Kund*innen. Daher ist eine Zusammenführung unser nächstes Ziel.

SKT: Ein anderes Beispiel ist die Rufbereitschaft: Wenn du einheitliche Systeme verwendest, kannst du eine IT-Rufbereitschaft machen, die rund um die Uhr zwanzig Systeme abdeckt. Wenn aber ein System aus der Reihe tanzt, eine andere Technologie verwendet und sich nicht integrieren lässt, dann wird das schwierig.


Das klingt nach einem Einlenken des Marketings. Wie musste sich dabei auch die Rolle der IT verändern?

SKT: Die IT öffnet sich und ist heute überall eingebunden. Sie ist nicht mehr für sich allein „im Keller“ und erhält am Ende der Nahrungskette einen Auftrag. Stattdessen diskutieren wir gemeinsam mit Marketing und Vertrieb über den Einsatz neuer Technologien. Dabei nehmen wir eine beratende Rolle ein. Wir wissen nicht, was die Kund*innen möchten. Dazu brauchen wir den Input der Kolleg*innen.

Wie sieht eine solche Kooperation im Idealfall aus?

SKT: Wir sind an jeder Stelle präsent und halten am Ende die Fäden zusammen. Unser Wunsch und auch der der Kolleg*innen ist es, dass wir am Start einer Diskussion beispielsweise um die Einführung neuer Technologien dazugeholt werden. Wir beraten dann gemeinsam über alle Perspektiven. So müssen wir am Schluss nicht der Spielverderber sein, der sagt: „Das klingt ja ganz toll, was ihr euch ausgedacht habt, aber diese oder jene Herausforderungen habt ihr nicht bedacht.“

Am Ende muss die IT funktionieren und die Sicherheit gewährleistet sein, das ist unsere größte Herausforderung. Vielleicht sind wir dann manchmal nicht ganz so schnell, wie sich die Kolleg*innen im Marketing das wünschen würden, weil wir viele Fragen aufwerfen.


Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Marketing und IT aus Ihrer Sicht entwickelt?

SKT: Es gab Zeiten, in denen beide Bereiche eher nebeneinander als miteinander gearbeitet haben. Aber diese Zeiten sind vorbei! Wir müssen uns öffnen, und tun das auch, um die andere Seite zu verstehen. Dabei müssen die Kund*innen und ihre Bedürfnisse im Fokus stehen. Diesen Blick dürfen wir nicht verlieren, das ist unser Purpose. Auch wir in der IT machen nichts, nur weil wir ein neues System einführen oder ein bisschen in der Cloud „spielen“ wollen.

CW: Silos darf es nicht geben. Wir müssen effizient und offen zusammenarbeiten, um den enorm schnell wachsenden Anforderungen unserer Fahrgäste gerecht zu werden und intern für reibungslose Prozesse sorgen.Natürlich klappt auch nicht immer alles.

Verraten Sie uns auch hier ein Beispiel?

CW: Es gibt immer wieder mal Fälle, in denen die Technik nicht reibungslos funktioniert. Die Zusammenarbeit hakt immer dann, wenn entweder nicht gut kommuniziert wurde oder wenn Zielkonflikte vorhanden sind.

Wie gelingt es Ihnen, die zu Beginn erwähnten unterschiedlichen Prioritäten (Stichwort Schnelligkeit vs. Ganzheitlichkeit oder Datensicherheit) übereinzubringen?

CW: Dabei ist eine gemeinsame Strategie und Priorisierung enorm wichtig. Empathie und ein gegenseitiges Verständnis für die Bedürfnisse der anderen Seite helfen ebenfalls. Wir nehmen uns zusammen klare Ziele für das kommende Jahr vor.

SKT: Zu einer klaren und transparente Priorisierung gehört es auch, zu sagen, was wir können und was wir nicht können, weil wir intern nicht die entsprechenden Kompetenzen haben.

CW: Was mir noch wichtig ist: Nachdem wir beispielsweise für unser App-Projekt die Verantwortlichkeiten und den Zeitplan festgelegt haben, wurden gemeinsame Teams mit Mitarbeitenden aus beiden Bereichen gebildet.

Sie beide sind für jeweils rund 500 Mitarbeiter*innen verantwortlich. Wie nehmen Sie die auf ihrem Weg mit?

CW: Da ist Leadership gefragt. Wenn wir die Richtung nicht vorgeben, bilden sich „kleine Königreiche“ in den Abteilungen. Es geht darum, die Mitarbeitenden für unser gemeinsames Zielbild zu begeistern und gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Das versuchen wir bei der BVG über verschiedene gemeinsame Formate.

SKT: Es ist dabei auch ganz wichtig, dass Christine und ich zeigen, dass zwischen uns kein Blatt Papier passt. Dadurch ändert sich auch die Haltung bei den Mitarbeitenden. Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen.

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Der Familienvater hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.