Marketing leistet zu wenig Beitrag zur Wertschöpfung

Das Marketing greift heute zwar im Sinne von Kundenorientierung immer stärker in vielen Firmen um sich und nimmt insbesondere wegen der zunehmenden Internationalisierung an Bedeutung zu. Doch weder die Marketer noch ihre operativen Einheiten übernehmen deshalb eine Führungsrolle in ihren Unternehmen. Über diesen Widerspruch unter dem Titel „Marketing Leadership?“ diskutierte eine hochkarätig besetzte Expertenrunde auf Einladung der absatzwirtschaft-Redaktion in der Frankfurter „Villa Kennedy“.

Von Thorsten Garber

Die drei Praktiker und zwei Wissenschaftler fordern von der Disziplin und ihren Vertretern unter anderem, einen konkreten Beitrag zur Wertschöpfung zu leisten und sich nicht nur auf Kommunikationsaufgaben und Vertriebsunterstützung zu beschränken.

BASF-Vorstand Michael Heinz, Bosch-Manager Uwe Raschke, Tom-Tailor-Retailvorstand Dr. Marc Schumacher sowie die beiden Marketingprofessoren Christian Homburg von der Universität Mannheim und Manfred Kirchgeorg von der HHL – Leipzig Graduate School of Management verdichteten das große Thema rund um den Führungsanspruch der Disziplin in einem zweistündigen Zwiegespräch.

Zu große Distanz zum Vertrieb

Das Marketing müsse beispielsweise „näher heran insbesondere an internationale Kunden“, empfiehlt Prof. Christian Homburg von der Universität Mannheim: „Leider hat das Marketing zudem zentrale Kompetenzen nicht in die Hand genommen – etwa die Preispolitik.“ Zudem kritisiert er die „zu große Distanz zum Vertrieb“ und verlangt eine Verlagerung „von qualifizierbaren zu auch quantifizierbaren Größen“.

Datentools für Preise und für normative Ansprüche an Produkte und Services sollte das Marketing für Manfred Kirchgeorg künftig stärker schaffen und zur Auswertung nutzen. Mehr Geltung erreicht das Marketing für die fünfköpfige Runde, wenn es seine Arbeit als rechenbares Investment gestaltet, wobei die Messbarkeit von Kommunikationsmaßnahmen weder den Praktikern noch den Wissenschaftlern so wichtig ist.

Kundenbedürfnisse ermitteln

„Instrumente mit messbarem Beitrag zur richtigen Produktgestaltung“ fordert etwa Bosch-Geschäftsführer Uwe Raschke von Marketern. Und BASF-Vorstand Michael Heinz erinnert an die heute ureigene Aufgabe, sich „auf die Ermittlung von Kundenbedürfnissen“ zu konzentrieren. „Wenn das Marketing als Department bedeutender werden will, arbeitet es am besten an der Profilierung der Marken“, sagt Textilmanager Marc Schumacher, denn in seiner Branche seien nur Unternehmen mit starken Marken in der Lage, sich erfolgreich zu internationalisieren.

Schumacher ist es auch, der den Bedeutungszuwachs von marktorientierter Unternehmensführung auf den Punkt bringt, obwohl er dies dem Marketing nicht allein überlassen möchte: „Unternehmen müssen Marketing im Sinne von Kundenorientierung als Kernkompetenz verstehen und verinnerlichen. Deshalb reicht die Verankerung in einer Art von Kommunikationsabteilung einfach nicht. Die Rolle des Treibers übernimmt bei uns der CEO. Es braucht also keinen CMO für relevantes Marketing.“

Kunden erleben sich nicht als Könige

Über die zunehmende Bedeutung von Kundenorientierung ist sich die Expertenrunde einig, zeigen die Ergebnisse, die ausführlich in der Titelstory in absatzwirtschaft-Ausgabe 11-2012 aufbereitet sind. Gleichwohl lieferte jüngst eine repräsentative Bevölkerungsbefragung von TNS Infratest im Auftrag des Lehrstuhls für Marketingmanagement an der HHL Leipzig einige Ergebnisse, die zu denken geben: Danach sind nahezu zwei Drittel der Deutschen der Meinung, dass der Grundsatz „Der Kunde ist König“ in Unternehmen immer weniger beherzigt wird. Bei der Altersgruppe der 14- bis 20-Jährigen sind 65 Prozent dieser Auffassung. Vielfach wird der Grundsatz auch als „bloßes Lippenbekenntnis“ eingestuft. Dies sei „ein Armutszeugnis für das Marketing“, schlussfolgern die Forscher.

Weitere Ergebnisse stehen hier zum Download bereit.

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