Wenn Thorsten Giersch beruflich telefoniert, hat er häufig seine einjährige Tochter Rona im Tragegurt vor die Brust geschnallt und geht mit ihr an der frischen Luft spazieren. Für den Chefredakteur der Kienbaum Personal- und Managementberatung kein Problem. Im Gegenteil: Giersch liebt seine Vaterrolle und trägt sie ähnlich stolz wie seine Tochter vor sich her. Dafür hat der 41-Jährige auch im Berufsleben einiges radikal geändert.
Als leitender Redakteur bei der Handelsblatt Media Group nutzte er seine siebenmonatige Elternzeit, um sich beruflich neu zu orientieren. Er wechselte zu Kienbaum in 50 Prozent Teilzeit, um seine Frau bei der Familienarbeit weiter zu unterstützen. Die Unternehmensberatung fördere die Vereinbarkeit von Familie und Job durch Vertrauen und Flexibilität, so Giersch: „Ich mache meine Stunden täglich verteilt zwischen fünf Uhr morgens und 21 Uhr, das ist Win-win.“
Eine Situation, die hierzulande allerdings noch nicht allzu oft vorkommt. Tatsächlich können sich bislang nur die wenigsten Männer nachhaltig für Wickeln, Füttern und Bäuerchen begeistern. Zumindest nicht, wenn sie dafür länger als ein paar Monate ihre Jobs unterbrechen müssen.
Laut Statistischem Bundesamt sind gerade mal 24,8 Prozent der Elterngeldbezieher Männer. Das ist ein Plus von windelweichen 1,4 Prozent gegenüber 2019. Noch entlarvender ist der Blick auf die Dauer der Elternzeit: Männer nehmen sich ihren Nachwuchs im Schnitt nur 3,7 Monate lang mit vollem Einsatz vor die Brust, Frauen 14,5 Monate lang.
Männer verdienen mehr als Frauen
Natürlich liegt das zunächst einmal am Geld. Männer verdienen meist noch immer mehr als ihre Frauen. Da ist es für die meisten Paare schlicht sinnvoll, wenn Mama dem Family Business zuliebe länger auf einen Teil ihres Einkommens verzichtet.
Dieser kleinen, aber feinen Ungleichheit hat der Gesetzgeber selbst bei der Neuregelung des Elterngelds 2007 ein kleines, aber feines Wording verpasst. Als „Vätermonate“ wurden seinerzeit jene zwei Monate beworben, die Männer mindestens in Elternzeit gehen müssen, damit Paare gemeinsam auf volle 14 Monate Elternzeitunterstützung kommen. Für Kienbaum-Manager Giersch ein Unding. Statt der aktuellen 12+2-Regel hält er die Einführung einer 10+6-Logik für sinnvoll. Danach hätten Eltern gemeinsam Anrecht auf 16 Monate Elterngeld, also vier mehr als bisher. Und es verfielen Ansprüche, wenn sich nicht beide beteiligen.
Bei Männern ist es cool
Christian Bölling findet die Regel-Debatte hingegen weniger wichtig. Zwar teilt auch er sich seit der Geburt seiner Tochter im Oktober 2020 die Familienarbeit mit seiner mittlerweile wieder berufstätigen Frau. Doch als Gründer und Chef der Münchner Agentur Heldenmood profitiert Bölling von einer flexibleren Position als Selbstständiger – zumindest solange seine Kund*innen mitspielen. Und das tun sie.
„Bislang habe ich von allen Kund*innen sehr großes Verständnis für meine Betreuungsarbeit erfahren“, so der 42-Jährige. Entsprechend genießt Bölling die viele Zeit, die er mit seiner Tochter verbringt. Und das nicht nur wegen der Kleinen. Er beobachtet bei sich und Freunden in ähnlicher Situation auch, wie positiv die Gesellschaft inzwischen auf Männer reagiert, die mit ihren Kindern auf den Spielplatz, zum Arzt oder zum Turnen gehen. „Was bei Frauen als normal angesehen wird, ist bei Männern gerade ziemlich cool“, so der Kommunikationsexperte. Und während Frauen sich noch immer rechtfertigen müssten, wenn sie eine vergleichsweise kurze Elternzeit nähmen, würden Männer schon für zwei oder drei Monate Jobpause als Helden gefeiert.
Doofe Sprüche jedenfalls musste Bölling sich bislang weder im privaten noch im beruflichen Umfeld anhören. Auch bei Vincent Kittmann waren die Reaktionen nahezu durchweg positiv. Das Schlimmste, das sich der Geschäftsführer der OMR Podstars in Hamburg anhören musste, war der Satz: „Elternzeit ist ja nicht so Start-up-like.“ Aber solchen Aussagen könne man „auch eloquent entgegentreten“, so Kittmann. Der Ex-Basketballprofi ist klassischer Vertreter des Modells „Held für ein paar Monate“.
Wenige Wochen nach der Geburt seines Sohns Carl im Juli 2020 legte er eine dreimonatige Elternzeit ein und hat es nicht bereut. „Die größte Hürde zuvor war in meinem Kopf“, bekennt Kittmann. „Ich bin bei Podstars von Beginn an dabei gewesen und die Elternzeit war die längste Zeit, die ich seitdem vom Team getrennt war. An den Gedanken musste ich mich erst mal gewöhnen.“
Enbw auf dem Weg zur Gleichberechtigung
Neben der Angst vor Entwöhnung treibt die meisten Männer aber vor allem die Angst vor dem Karriereaus um. Und diese Angst können nur die Arbeitgeber*innen nehmen. Eine Erkenntnis, die sich – dem „War for talents“ sei Dank – auch bei immer mehr Konzernen durchsetzt.
Der Energiekonzern Enbw etwa setzt mittlerweile auf unterschiedlichste Maßnahmen, um Mütter und Väter gleichermaßen für Elternzeit zu gewinnen, darunter Informationsangebote im Intranet, „Neu-Eltern-Giveaways“ und seit Kurzem auch die Möglichkeit, IT-Kennung und Gebäudezugang während der Elternzeit zu behalten, um informiert und in Kontakt mit den Teams zu bleiben.
Carina Verlohr, Leiterin HR Geschäftsentwicklung & Lösungen bei Enbw, sagt: „Männer in Elternzeit sind für uns ein Schlüssel auf dem Weg zu Gleichberechtigung und Chancengleichheit.“ Denn noch seien Vorurteile, dass Eltern- und Teilzeit nicht zu Karriereambitionen und guter Performance passen würden, verbreitet. Es sei deshalb „sehr bedeutend, dass Elternzeit nicht als Karrierekiller angesehen wird und dieses Mindset fest in der Unternehmenskultur“ verankert ist. Verlohr: „Wir bewegen uns dabei in die richtige Richtung, es ist aber noch ein Weg zu gehen.“
In Zahlen sieht der Weg bislang so aus: Vor zehn Jahren gingen nur 32 Prozent der Enbw-Väter in Elternzeit, heute sind es 58 Prozent. Einer von ihnen ist Florian Vetter. Er ist Chief Commercial Officer beim Enbw Corporate Start-up Virtuelles Kraftwerk, seit Juli in zweijähriger Elternzeit und seither mit Frau und den zwei Kindern auf Reisen. „Wer gute Leute will, muss auf deren Bedürfnisse eingehen“, sagt Vetter. Wer das nicht tue, verliere Zugang zu einem immer größer werdenden Teil des Arbeitsmarkts.
Vodafone erkennt Dringlichkeit
Auch Vodafone hat die Dringlichkeit des Themas erkannt. Erst kürzlich hat der Konzern seine Eltern-Policy deutlich ausgedehnt. Seither erhalten Vodafone-Mitarbeitende – egal ob Mutter oder Vater – eine pauschal berechnete Einmalzahlung, die für 16 Wochen die Lücke zwischen vorherigem Nettogehalt und Elterngeld verringert. Dabei ist die Finanzspritze zwingend daran gebunden, dass Elternzeit genommen wird.
Erdmute Thalmann, Managerin Diversity & Worklife bei Vodafone Deutschland: „Wir wollen die Partnerschaftlichkeit damit fördern.“ Außerdem wolle Vodafone als Arbeitgeber „einladende Rahmenbedingungen und eine Unternehmenskultur schaffen, die für Mütter und Väter gleichermaßen attraktiv sind“. Niemand dürfe „komisch angeschaut werden oder von der Karriereleiter fallen“, nur weil Elternzeit genommen wird.
Zur Unterstützung der Väter hat Vodafone zudem eine Kooperation mit der Väter gGmbH und ein unternehmenseigenes Väternetzwerk eingerichtet. Bislang allerdings nur mit mittelmäßigem Erfolg. Stand Ende Juni waren knapp 83 Prozent der Vodafone-Mitarbeiter*innen in Elternzeit Frauen, 17 Prozent waren Männer. Ob sich diese Quote aufgrund der neuen Einmalzahlungen künftig erkennbar ändern wird, bleibt abzuwarten.
Mad Men mutieren zu Maxi-Cosi Men
In der Welt der Agenturen scheint sich hingegen etwas zu bewegen. Larissa Pohl, CEO Wunderman Thompson Deutschland und Präsidentin des Gesamtverbands Werbeagenturen (GWA), richtet auf Nachfrage aus: „Ich habe ein wenig rumgefragt und viele der Kolleg*innen stimmen zu, dass sich das Thema Männer in Elternzeit schon etabliert hat.“ Die einst berüchtigten Mad Men mutieren zu Maxi-Cosi Men. Jahrzehntelang waren sie stolz auf ihr Macho-Gehabe, jetzt entdecken die großen Werberjungs den entzückenden Sound von Babygeschrei. Zumindest solange auch für sie das Ende absehbar ist. Pohl: „Eher für ein oder zwei Monate und dafür vielleicht öfter als eine längere Zeit am Stück.“
Doch trotz aller Dynamik an der elterlichen Wickelfront – langfristig bleiben die süßen, kleinen Sonnenscheine noch immer an den Rockzipfeln ihrer Mütter hängen. Laut bundesweiter Statistik über alle Branchen arbeiteten 2019 rund 29 Prozent aller Beschäftigten in Teilzeit, davon 48,4 Prozent der Frauen und nur 11,5 Prozent der Männer.
Für die Agenturen weist die im Mai erschienene Diversity Studie des GWA immerhin 13 Prozent in Teilzeit arbeitende Männer aus und rund 30 Prozent Frauen.
Beim Energiekonzern Enbw sind die Zahlen drastischer. „Rund zehn Prozent unserer Mitarbeiter*innen arbeiten in Teilzeit. Davon sind rund 62 Prozent Mütter mit Kindern unter 18 Jahren und rund sieben Prozent Väter mit Kindern unter 18 Jahren“, so HR-Managerin Verlohr. Dabei sieht sie Teilzeitarbeit „als einen wichtigen Schlüssel“ zur gleicheren Verteilung der Kindererziehung.
Die Steigerung der Wertschätzung und Akzeptanz für Teilzeitarbeit stehe bei Enbw deshalb aktuell sehr im Fokus. So schreibt der Konzern mittlerweile jede Stelle grundsätzlich als Teilzeitstelle aus. „Teilzeit darf kein Hindernis für spannende, fordernde Aufgaben sein“, so Verlohr. Ob auch Enbw-Rolemodel Florian Vetter nach seiner zweijährigen Elternzeit in Teilzeit zurückkehren wird, lässt er offen: „Wir wissen noch nicht, wie wir unsere Lebensumstände organisieren wollen, wenn wir zurückkehren. Und was die Enbw mir anbieten kann.“