Für viele Menschen stimmt sie ganz offensichtlich nicht. Seine „community“ hat keinen Zweifel daran, dass Donald Trump Recht hat. Sie bewundern ja gerade an ihm, dass er unerschütterlich ansonsten unangebrachte, in ihren Augen jedoch drängende Wahrheiten ausspricht. Selbst im Zweifelsfall bleibt ihnen die schon aus klassischen Zeiten bekannte Bewunderung der „Überlegenheit des bewußten Lügners über den ehrlichen Ignoranten“ (Maria Bettetini, Eine kleine Geschichte der Lüge, 2003). Vielleicht beflügelt sie sogar der Geist von Weltverbesserern, die sich „nicht vorschreiben lassen, an welche Art von Wirklichkeit man sich zu halten hat, wenn man die Welt verändern will“ (Karl-Heinz Ott). Wenn dem edlen Anspruch vermeintliche Tatsachen entgegenstehen, dann ist das eben umso „schlimmer für die Tatsachen“ (Herbert Marcuse, Hegel zitierend).
Für dieses Verhalten trifft die Anhänger von Trump der Bannstrahl jener vernünftigen Mitglieder der Gesellschaft, die unerschrocken und uneingeschränkt an die Existenz der einen Wahrheit glauben – und damit der Fiktion der Wahrheit verfallen.
Gibt es Fakten?
Denn sie ignorieren die Hinweise von Philosophen, die zahlreich die Existenz von Fakten grundlegend in Zweifel ziehen. Es gibt danach keine Fakten. Über diese Komplikationen im Umgang mit Wahrheiten gehen die Apologeten der Wahrheit kopfschüttelnd hinweg. Ebenso wie über die kritischen Stimmen, die beklagen, dass es Herrschende und herrschende Medien ganz selten mit der Wahrheit so genau nehmen. In dieser Lesart gibt es notwendigerweise verschiedene Wahrheiten. Verschiedene Interessen definieren unterschiedliche Wahrheiten und im Streit über vermeintliche Tatsachen stehen sich letztlich unterschiedliche Haltungen – Weltbilder – gegenüber. Vermieden werden muss für den naiv Wahrheitsliebenden schließlich auch jeder noch so kursorische Blick in die Geschichte. Denn es wäre ansonsten ganz schnell klar, dass der Vorwurf, dass Donald Trump uns das postfaktische Zeitalter gebracht hat, nicht haltbar ist. Die Menschheit hat so etwas wie ein faktisches Zeitalter noch nie erlebt: „die Lüge hat schon immer geblüht“ (Bettetini).
Wollen wir Fakten?
Wenn man aktuellen Ergebnissen der Gehirnforschung Glauben schenkt, ist dies auch mit guten Gründen so. Folgt man diesen Studien (Elizabeth Kolbert berichtet über sie in: The New Yorker vom 27. Februar 2017), so wäre es falsch, das Ignorieren von Fakten als dumm und unvernünftig zu stigmatisieren. Ganz im Gegenteil sollten wir (an)erkennen, dass das Ignorieren von Fakten menschliches Zusammenleben entscheidend fördert und unseren evolutionären Erfolg grundlegend erklärt.
Menschen sind erfolgreich(er), weil und wenn sie miteinander kooperieren. Allerdings ist Kooperation sehr schwierig und höchst voraussetzungsvoll. Sie wird nicht zuletzt dadurch ermöglicht, dass soziale Gruppen ihre jeweiligen Tatsachen und Wahrheiten arbeitsteilig miteinander entwickeln. In solchen „communities of knowledge“ werden jeweils Wahrheiten geschaffen, für die dann der „myside bias“ gilt: Es lohnt sich im Sinne der sozialen Beziehungen, sie gegen intellektuelle Einsprüche zu verteidigen. Die Arbeitsteilung in der Entwicklung der Wahrheiten hat für die Gruppenmitglieder die entlastende Folge, dass die Robustheit ihrer Überzeugungen in keiner Weise mit der Tiefe ihres Verständnisses korrelieren muss. Menschen denken und wissen nie allein, sie tun dies immer als soziale Wesen. Und als solche genießen sie es, die Wahrheiten ihrer jeweiligen „community“ immer wieder bestätigt zu sehen: „people experience genuine pleasure – a rush of dopamine – when processing information that supports their beliefs. `It feels good to `stick to our guns`even if we are wrong`“. In der Summe sind alternative Fakten also weniger ein Problem als vielmehr eine Lösung.
Fakten im (politischen) Marketing
Ganz offensichtlich nutzen Donald Trump und sein Team die beschriebenen Phänomene einsichtiger und geschickter als ihre Gegner. Und ebenso zeichnet genau diese Fähigkeit erfolgreiches Marketing aus.
Marketing als Sozialtechnik lehrt enthusiastisch den selektiven und kreativen Umgang mit Tatsachen. Sie widmet sich ganz der Konstruktion alternativer Wahrheiten. Sie leitet nachdrücklich dazu an, zielgruppenspezifisch über das schöne Leben zu reden statt über mögliche schreckliche Risiken und erschreckende Verantwortlichkeiten. Sie ermutigt dazu, hemmende Alltagswidrigkeiten durch erstrebenswerte Wunschbilder zu ersetzen. Sie adelt das gute Gefühl angesichts möglicher finanzieller Hindernisse oder ethischer Bedenken. Sie setzt auf Hyperbeln, nicht auf tröge Zahlen, Daten, Fakten. Im Erfolgsfall entwickelt sie mit ihren geistvollen Erfindungen jene Kraft der rhetorischen Begeisterung, die den Weg zur „Suspendierung der Ungläubigkeit“ (Bettetini) eröffnet: Es ist wohl nicht wahr, aber es tut uns sehr gut.
Menschen fahren gerne mit Freunden im Auto in den unbeschwerten Urlaub. Sie beschäftigen sich ungern damit, was jeder Einzelne von Ihnen damit an Umweltverschmutzung und Verkehrstoten wohl verantwortet. Diese Fakten werden von den Autoherstellern stets in den Hintergrund oder ganz verbannt und lassen sich dann von den Konsumenten eben auch leicht(er) verdrängen. Dass das unvernünftige und im Umgang mit Tatsachen entspannte Narrativ am Ende gewinnt, dafür sorgt also nicht zuletzt gutes und erfolgreiches Markenmanagement und Marketing.
Ein beliebiges neueres Beispiel mag hier zur Illustration dienen. Offensichtlicher Bullshit – also weniger noch als das Ignorieren einer möglichen Wahrheit – schafft großes menschliches Vergnügen. Schon der Name des neuen Fahrzeugs, Valkyrie, “perfectly captures the drama of what is not only the ultimate Aston Martin, but the ultimate expression of hypercar design, engineering and performance,” so Marek Reichman, der Chief Creative Officer des Unternehmens. Präsentiert wird nicht einfach ein Luxusauto sondern “power and honor, of being chosen by the gods“, ein unwiderstehliches Angebot, das „only a fortunate few will ever experience.“ Von den Göttern erwählt? Für die angesprochenen wenigen Glücklichen ist dies nicht Bullshit. Es erfindet ihre Wahrheit. Es verschafft ihnen reales Vergnügen. Es liefert ihnen einen geradezu unbezahlbaren Mehrwert. Anbieter und Konsumenten werden auf diese Weise als erfolgreiches Team glücklich. Ein vernünftiger Deal. Ohne jeden störenden Bezug zu vermeintlichen Fakten.
Also Ehre wem Ehre gebührt. Den erfolgreichen Umgang mit alternativen Fakten hat nicht Donald Trump erfunden. Er geht auch nicht als Erster und Einziger besonders virtuos damit um. In historischen Dimensionen und unter Berücksichtigung der jeweiligen Konsequenzen im gesellschaftlichen Alltag gebührt dieser Spitzenplatz in modernen Konsumgesellschaften dem Marketing. In diesem Sinne ist Trump unter anderem eben auch ein best-practice-Beispiel für gutes (politisches) Marketing.
Zum guten Schluss: Donald Trump ist lernfähig. Ältere Zahlen des Arbeitsministeriums zur Arbeitslosigkeit in den USA, also Fakten im Sinne der entrüsteten Kritiker des postfaktischen Zeitalters, bezeichnete er als „fake“. Sie (zurückgehende Arbeitslosenzahlen) waren nicht nur zu positiv, weil sie für die Arbeit seines Vorgängers sprachen. Sie gaben auch für eine grosse Zahl seiner Wähler in keiner Weise deren Lebenswirklichkeit wieder. Anders die neuesten Zahlen. Sie, eine grosse Anzahl neu geschaffener Jobs, verbreitete Trump umgehend triumphierend. Fakten für ihn und seine Wähler. Diese können nun weiter träumen. Great again! Eine Fiktion, die ihrem Leben Sinn verleiht. Die Zahlen „may have been phony in the past, but it`s very real now“, so sein Pressesprecher. Very real.