Im April 2019 war ich dermaßen ausgebrannt, dass ich einfach nur weit weg wollte. Das Karriere-Hamsterrad hatte mich verschluckt, bevor ich richtig Fahrt aufnehmen konnte. Oberflächlich gab es für mich keinen Grund für Trübsal: Traumjob Berater, faires Gehalt, spannende Projekte. Dennoch brodelte etwas in mir, das raus wollte: Selbstbestimmung.
Der Beraterjob war nicht mein Traum, sondern eine romantisierte Fantasie aus Studientagen. Eine Fantasie fremder Menschen. Seit dem Studium jagte ich diese fremde Fantasie. Ich wollte sie unbedingt leben. Und bekam schließlich die Chance dazu: Ich hatte die Hauptrolle in einem Film, den andere für mich geschrieben hatten. Als mir diese Erkenntnis dämmerte, musste ich einfach weg. Je weiter, desto besser.
Flucht aus dem Arbeitsalltag nach Island
Zehn Tage Island. Meine erste Reise alleine. Ich war furchtbar schlecht vorbereitet: Keine Winterklamotten für den eisigen Norden der Insel, keine Wanderschuhe für ihre steinigen Pfade, kaum genug Unterwäsche.
Eines Morgens erwachte ich komplett eingeschneit. Der winzige Hyundai scheiterte bereits am ersten Hang. Räumfahrzeuge, meine Retter. Aus der Straße wurde ein schmaler Pfad voll eisigem Geröll. Der Gegenverkehr bestand aus breiten Allrad-SUVs und Baustellenfahrzeugen. Ich kroch den verschneiten Hang hinunter ins Tal und verfluchte schweißgebadet jede ungewisse Kurve.
Hausaufgabe: Verbringe ein Wochenende alleine! Oder einen Nachmittag. Oder ein halbes Jahr – mach Urlaub!
Nach dieser Erfahrung fühlte sich die Reise trotz Regen, Wind und Wetter wie Luxusurlaub an. Ich fuhr viele Stunden am Tag, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Die ständigen Begleiter waren Podcasts und meine Gedanken. Ich hatte vergessen, wie wunderschön Einsamkeit sein kann. Ich fing an, mir selbst Fragen zu stellen: Was macht dich glücklich? Was würdest du für den Rest deines Lebens machen, ohne dafür Geld zu bekommen? Die Antwort auf beide Fragen: Schreiben. Eine Erkenntnis wie ein Hammerschlag. Ohne sie würde dieser Gastartikel nicht existieren.
Zurück in Deutschland verlor ich keine Zeit. Ich fing an, Artikel für ein Onlinemagazin zu schreiben. Es folgten tägliche Beiträge auf LinkedIn. Dann die erste Website, später ein Podcast. Nicht jedes dieser Projekte war erfolgreich. Aber jedes eigene Projekt verzauberte mich ein wenig mehr. Weil ich gelernt hatte, eigenbestimmt zu handeln. Fremde Fantasien und Idealvorstellungen hatte ich im eisigen Norden Islands abgehängt.
Alle bisher erschienen Teile zur Serie „Marketing gegen den Strom“, finden Sie hier:
Teil 1: „Marketing gegen den Strom“: Wenn alle weitermachen, starte neu
Teil 2: „Marketing gegen den Strom“: Wenn alle Theorie lernen, lern Praxis
Teil 3: „Marketing gegen den Strom“: Wenn alle ins Büro fahren, fahr alleine weg
Teil 4: „Marketing gegen den Strom“: Wenn alle Bewerbungen schreiben, schreib DMs
Teil 5: „Marketing gegen den Strom“: Wenn alle stehen bleiben, lauf weiter