Von Georg Altrogge und Christian Thunig
Beim Interview sitzt Udo Lindenberg (72) im Schmidt Theater unten im Café. Der Panikrocker hat die Macher der Panik City mitgebracht: Panik-City-Geschäftsführer Axel Strehlitz und Damian Rodgett, Managing Director bei Pilot Screentime. Udo Lindenberg spricht leise, aber bestimmt. Er trinkt Tee und raucht unablässig seine E-Zigarre – eine Empfehlung seines Arztes, denn er will, ja er muss, hundert Jahre alt werden. Das hat er schließlich seinen Fans versprochen. Während er erzählt, lotst er via Smartphone seinen Freund Benjamin von Stuckrad-Barre zur Panik City. „Stucki“, wie er den Schriftsteller nennt, hat die Erlebniswelt noch nicht gesehen.
Wie waren die ersten Reaktionen des Publikums auf die Panik City?
UDO LINDENBERG: Gigantisch. Jubel, Trubel, Heiterkeit, also total positiv. Darüber freue ich mich wahnsinnig. Wir hatten vorher ja keine Ahnung, wie so ein experimentelles Projekt ankommt. Aber dass es vom Start weg mit all den Hightech-Einbauten und -Konstruktionen funktioniert, hat uns alle mega gefreut. Es war eine Riesenherausforderung, dass die Besucher auf dem Tablet mit mir zeichnen oder im Studio mit mir singen können. Ein Daniel-Düsentrieb-Museum, einfach geil gemacht. Die Leute sind happy. Die kommen raus und lächeln. Das ist für mich das schönste Ergebnis überhaupt.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, auf St. Pauli eine Lindenberg-Erlebniswelt zu starten?
Den Gedanken daran gab es schon länger. Am Anfang ging es um meine Bilder. Ich habe große Bilder, Ölmalerei, Bühnenbauten aus all den Jahren, Klamotten, Filme. Als wir dann mal wieder intensiver darüber sprachen, kam mir mit Corny Littmann die Idee: Wir machen Hightech. Uns war klar, dass es etwas Besonderes sein sollte: ein Abenteuer-Erlebnis-Meeting mit Udo.
Hatten Sie nicht die Befürchtung, dass Sie sich mit einer Dauerausstellung lebendig konservieren?
Nein. Udo ist ja eine lebende Legende. Die Panik City soll zudem Experimentierstätte für die Weiterentwicklung von Showtime und digitaler Technik sein. Eine Raketenstation zur friedlichen Erforschung des Udoversums. Motto: Immer mehr Hightech, immer auf dem neuesten Stand. Technik entwickelt sich ja geradezu sekündlich weiter, mindestens minütlich gibt es irgendwo auf der Welt was Neues. Wir wollen da mit der Panik City pioniermäßig wieder einen vorlegen. Wir sind ja junge Pioniere. Das ist die einzige Inspiration, die ich aus der DDR-Welt mitgenommen habe. In jeder Hinsicht müssen wir immer die Ersten und die Schnellsten und die Einfallsreichsten sein.
Nach dem Interview wird er mit uns in die Panik City gehen. Die Aufregung ist groß: „Bist Du echt oder ein Double?“, wird er gefragt. Jeder will ein Foto mit ihm. Er macht mit jedem ein Foto. Er läuft die komplette Führung über 90 Minuten in der Panik City mit – begleitet von „Stucki“. Zwischendurch wendet er sich an einzelne Besucher und Fans: „Wir müssen den Sound noch ein bisschen fetter machen“, sagt er zum Beispiel. In den nächsten Tagen würde man da noch rangehen. Der „behütete“ Hüter der Marke achtet auch auf die Details. Immer wieder spricht er mit den Machern der Panik City. Auch mit dem weiblichen Tourguide ist er im Dialog. Seltsam ist, wenn der Mensch, wegen dem die Erlebniswelt gebaut wurde, live auch noch einmal da ist. An der ersten Station „beschwert“ sich direkt ein Fan: Man wisse gar nicht, wo man hinschauen soll: zu ihm, der sich live auf dem Sofa in der letzten Reihe lümmelt, oder nach vorne auf die riesige 180-Grad-Leinwand, wo der Maestro seine Geschichte erzählt.
Sie sind jetzt seit bald sechs Jahrzehnten im Musikgeschäft. Was macht eigentlich die Marke Udo Lindenberg aus?
Da ist die Zuverlässigkeit, da ist die Innovation. Vielleicht nicht ständig was Neues, aber im Kern halt die Authentizität als roter Faden. Na klar, der Look natürlich auch, es rennen ja viele rum mit meinem Markenlook als Apostel.
In der schnelllebigen Musikbranche hat man den Eindruck, Sie seien irgendwann vom Künstler zur zeitlosen Ikone geworden. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Das erste Ding war gutes Aussehen. Mein frech-gutes Aussehen. Das ist natürlich auch Glücksache, von meinen Eltern mitbekommen, von meiner sehr schönen Mutter Hermine zum Beispiel. Und gute Gene habe ich mitgekriegt. Also lecker aussehen war immer schon irgendwie ein Vorteil in diesem Gewerbe. Denn das Auge hört ja mit.
Jetzt mal ernsthaft: 1973, als Sie den Durchbruch zum Star schafften, war da erst einmal ein ziemlich durchgeknallter Typ, der seltsame Texte bringt. Von da an zu einem richtigen Markenbild war es doch ein weiter Weg. Heute braucht man nur die Sonnenbrille und den Hut zu sehen und weiß genau: Das ist Lindenberg.
Ja klar, da war ein weiter Weg. Erst kam die Panikschnalle im Onkel Pö. Gottfried Böttger bekam eine Pianistenschnalle, ein anderer hatte eine Geige auf dem Gürtel. Und ich hatte dann die Panikschnalle, und plötzlich liefen ganz viele damit rum. Ein bisschen später kam der Frack. Auch Gamaschen habe ich getragen, fand ich damals schick, so als kleiner Gruß an New York, an Gamaschen-Harry. Dann kamen dicke Ringe und der Spruch „Küss meinen Ring“. Für mich ist es okay, wenn andere einfach im Pullover auf die Bühne gehen, das hat Kurt Cobain ja auch gemacht. Nur war seine Musik eben so grell, da war es egal, wie der aussah. Mir ging es aber darum, Lieder auch in Kostüme oder in Figuren umzusetzen: So gab es den Vampir oder Elli Pyrelli. Da wurde dann eine pompöse Dame gesucht, untenrum athletisch und mit einer Teutonenstimme.
Für mich ist es okay, wenn andere einfach im Pullover auf die Bühne gehen, das hat Kurt Cobain ja auch gemacht
Das waren dann erste Markenzeichen …
Genau. Zum Beispiel auch der Zwerg, den wir auf die Bühne holten. Das passierte einfach. Da kam einer ins Onkel Pö und fragte: „Ey, brauchst noch einen Zwerg? Bin klein gebaut. Ich kann eine Rolle rückwärts, ich kann auch Salto und Salto mortale.“ Und ich sagte: „Führ mir das mal vor.“ Er grinste breit, machte irgend so einen Salto und flog auf die Fresse. Ich sagte: Okay, geil. Engagiert.
Die Erlebniswelt ist kein Zufall: Inszenierung ist sein Ding. Er kommt Ende der 1970er mit dem großen Bühnenregisseur Peter Zadek zusammen, der die 1979er-Tour inszeniert. Lehrjahre für den noch jungen Lindenberg.
Und danach kam das Theater …
Jemand brachte mich mit Peter Zadek zusammen. Das war wieder pioniermäßig. Sein Theater und ein Rockstar mal zusammen, die Fusion von Theater und Rockshow. Mal gucken, was dabei rauskommt. So entstand die Dröhnland-Symphonie. Da sind dann auch alle meine Leute dabei, meine Panikfamilie, also von Elli Pyrelli über den kleinen Felix, Ole Pinguin, so alle meine Figuren, Fabelwesen und ein paar aus der damaligen Zadek-Family. Das war ein hochinteressantes Ding, ich habe mit dieser Show sehr viel gelernt. Und sie war ein Erfolg, auch für Bildungsbürger. Zum ersten Mal war ich ein Fall für das Feuilleton. Vorher ging’s ja irgendwie immer nur um Rock ’n’ Roll in Clubs und Randale und so. Und Saufen und Kundendienst und so. Saufen, Frauen, Sex und Rock ’n’ Roll. Und plötzlich war ich einer für die Bildungsbürger und hatte einen Auftritt in der Olympiahalle in München. In der Folge habe ich alleine mit anderen Leuten solche Shows weiterentwickelt. Die Götterhämmerung, die Odyssee-Show und später die Atlantic Affairs. Aber all das hätte ich nicht machen können, ohne bei Zadek in der Lehre gewesen zu sein.
Was war dabei der Ausgangspunkt? Um jeden Preis anders und einzigartig zu sein? Im Marketing geht es häufig um Markendehnung und Zielgruppenerweiterung. Waren diese Shows damals ein bewusster Schritt in diese Richtung?
Nicht unbedingt. Aber wir nahmen diesen Effekt gerne mit und wussten: Indem wir neue Sachen machen, erreichen wir neue Leute, die nie in eine Rockshow gehen würden. Und so war es dann auch. Ich wollte vom ersten Tag an, dass so viele Leute wie möglich mitkriegen, dass es mich, dass es uns gibt. Deswegen habe ich auch ein ganzes Instrumentarium an Medien genutzt. Dazu gehörten Zeitungen, die damals, sagen wir mal, nicht gern gesehen waren in der Szene. Mir war das egal. Jeder soll wissen, dass es uns gibt. Keine Panik, alles klar. In Deutschland gab es damals nur Schlagerscheiß oder eben Liedermacher. Und später eine Spezialistenszene für Hausbesetzer und dergleichen. Das war mehr so Underground. Ich wollte dagegen ein Breitensportler sein. Das passte gut, ich war ja selber auch oft breit und dann eben auch noch einer für die breite Masse.
Ich wollte vom ersten Tag an, dass so viele Leute wie möglich mitkriegen, dass es mich, dass es uns gibt.
Wie funktionierte das mit der Abgrenzung für die Medien?
Es ging um irgendeinen frühen Song, den ich gemacht hatte. Da rief der Thomas Heck an, von der ZDF-Hitparade, damals eine Institution. Mann, das hat mich richtig erschreckt. Meine Antwort war eine Attacke: Macht euern Scheiß mit Heino, macht euern Scheiß alleino. Ich wollte die Schlagerlobby in Panik, Angst und Schrecken versetzen, eine Schneise der Verwüstung ziehen, als Captain Cool.
Er ist der Meister der Kooperation, über Grenzen und Genres hinweg. Das Wort „Featuring“ hätte von ihm stammen können. Projekte mit Peter Zadek, Eric Burdon, oder in jüngerer Zeit mit Jan Delay oder Clueso: Udo ist passionierter Netzwerker. Damit hat der Panikrocker immer wieder seine Zielgruppe erweitert. Die meisten Musikkarrieren gelangen aber früher oder später in ihre Reifezeit, der Stil ist beim Publikum out, der Star dann schnell weg vom Aufmerksamkeitsfenster.
Von Mai bis Juli 2019 spielt Udo Lindenberg wieder live 17 Konzerte.
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