Was verstehen Sie unter dem Begriff Beziehungsaufbau im Online-Marketing ?
Nickel: Die Begriffsvielfalt steht hier momentan der Inflation der Begriffskreationen, die wir schon seit Jahren aus der klassischen Werbung kennen, in nichts nach. In der Vergangenheit wurden die im Rahmen des Beziehungsmarketings diskutierten Phänomene sehr häufig aufgrund verschiedener Partikularinteressen von der parallel stattfinden Markendebatte entkoppelt, so dass wir oft sehr unterschiedliche Strömungen von Verständnis vorfinden, wie wiederum Beziehungsmanagement und Markenmanagement zusammenhängen. Aus meiner Sicht ist Beziehungsaufbau ein Bestandteil der Markenbildung. Wir haben es dabei mit zunehmend komplexeren Beziehungskonstellationen zu tun. Letztendlich findet Beziehungsaufbau an allen „touch points“ zum Kunden statt. Management dieser Beziehung bedeutet, die Leistungsfaktoren und die jeweils damit verbundenen Leistungskriterien zu ermitteln und systematisch zielorientiert auszurichten.
Wie kann man diesen Beziehungsaufbau systematisieren ?
Nickel: Es gibt im Internet verschiedene Stufen des Involvements. In der ersten Stufe geht es also zunächst einmal um Awareness, also das Wissen in der Zielgruppe über die Existenz der Site. Die Site wird hierbei entweder aktiv angesurft, oder man kommt über Traffic-Maßnahmen dorthin. Einige der Surfer wollen über die Site in Interaktion treten und generieren idealerweise Umsätze. Die engste Bindung entsteht durch eine Community, die den Surfer zum wiederholten Besuchen der Site bringt, weil er dort Gleichgesinnte trifft.
Und wie kann der Site-Betreiber dieses Wissen nutzen bzw. umsetzen?
Nickel: Aus jeder dieser einzelnen Konversionsstufen, aus denen unser „Internet-Customer-Conversion-Model“ resultiert, lassen sich konkrete Ziele ableiten. Der Site Betreiber kann auf die Steigerung der Awareness und des Traffic abzielen, damit möglichst viele Surfer auf die Site kommen. Er kann sie dazu bewegen dort möglichst lange zu bleiben, etwas mitzunehmen, das entweder die Identität der Marke betrifft oder für sie relevant ist. Er kann seine Schnittstellen optimieren, das heisst die Interaktion mit dem Nutzer verbessern, damit sie nicht einseitig ins Leere läuft. Oder er zielt darauf ab, bestehende Umsätze weiter zu steigern bzw. segmentspezifisch Marktanteile zu erhöhen. Und natürlich nicht zu vergessen der Weg vom Front-End zum Back-End: die Optimierung von Bestellprozessen, das große Problem zahlreicher junger Handelsunternehmen im Internet, die nicht mit der Erfahrung der klassischen Handelsmarken ausgestattet sind.
Welche Faktoren sind für ein erfolgreiche Beziehungsmanagement im Web wichtig ?
Nickel: Da ist zunächst der Einstieg in eine Site: Wie ist die Begrüßung gestaltet, ist die Navigation verständlich, gibt es vertraute Faktoren, wie zum Beispiel das Markenlogo, werden Sie da von einem Feuerwerk von Bannern und Pop-Ups empfangen, und wird der Nutzen einer Site sofort ersichtlich, oder müssen Sie, wenn Sie zum ersten Mal auf einer Site sind, erst über 3 Navigationsebenen gehen, damit Sie erfahren dürfen, worum es da überhaupt geht. Das alles sind Dinge, die auf den ersten Blick vom User wahrgenommen und bewertet werden. Zielgruppenansprache und Relevanz sind ein sehr wichtiges Thema. Kommt der User auf die Site, möchte er sich in der emotionalen Ansprache wiederfinden.
Das sind die emotionalen Faktoren. Gibt es auch technische?
Nickel: Gewiss. Ein zunächst trivial erscheinender, aber enorm einflussreicher Faktor ist die Ladezeit. Untersuchungen von icon-webmax zu diesem Thema zeigen, dass wichtige Wirkungsfaktoren wie Relevanz, Markenpassung und Navigation von zu langen Ladezeiten negativ beeinflusst werden. Katastrophal ist natürlich nicht-relevanter Content gepaart mit miserabler Technik oder Over-Engineering. Schnelligkeit und eine zielgruppenspezifische Ansprache zahlen sich jedoch in jedem Fall aus und erhöhen die Interaktionsbereitschaft des Surfers. Nur dann kann eine dialogische Kommunikation stattfinden, die den User an die Site und die Marke bindet.
Wie stufen Sie in diesem Zusammenhang das sogenannte „Customizing“ ein ?
Nickel: Customizing wird häufig als ein Katalysator für eine Umsatzsteigerung der Site angesehen. Noch wird Customizing häufig so eingesetzt, dass der Betreiber einer Site Daten über den User zusammenträgt und ihm bei wiederholtem Besuch, basierend auf diesen Daten, eine individuell gestaltete Site präsentiert, reduziert auf das Zusammentragen von Datenbankinformationen und eine persönliche Ansprache. Wenn ich mich selbst z.B. bei Amazon einlogge, freue ich mich jedesmal über die tolle, individuelle Ansprache: „Hallo Dr. Wenn Sie nicht Dr. sind oder sich abmelden möchten, klicken Sie bitte hier“. Klingt doch rührig, oder? Wirksamer ist Customizing meiner Ansicht nach, wenn der User sich seine Site selbst gestalten kann. Bei einer selbst gestalteten Site erhöht sich die emotionale Bindung massiv. Hier bietet sich eine relativ einfache Möglichkeit den Umsatz zu erhöhen, wenn man, rein konstruktivistisch betrachtet, die Site stärker in die Erlebenswelt des Nutzers integriert.
Welche Bedeutung haben die vielbeschworenen Communities für die emotionale Bindung der User ?
Nickel: Bei den „Virtual-Communities“, den Gemeinschaften im Internet, können wir fünf verschiedene Kategorien unterscheiden. Gemeinschaften, bei denen Transaktionen stattfinden, wie z.B. ebay, Gemeinschaften, bei denen die User gemeinsame Interessen teilen, wie z.B. Garden.web, Phantasiegemeinschaften, bei denen Spiele ausgetauscht werden, so wie bei Gamers.de, und Beziehungsgemeinschaften, z.B. Friend-Scout24, oder auch Dachgemeinschaften, sogenannte Umbrella-Communities, wie Geocities. Im Rahmen der Markenführung ist hier vor allem der psychologische Aspekt von Interesse. Aus dem vorhandenen gemeinsamen Interesse entsteht Dialog und gegenseitiges Feedback unter den Usern. Hieraus resultiert eine engere soziale Nähe in diesem Netz, es entstehen Gefühle, es entstehen gemeinsame Einstellungen und letztendlich eine gemeinsame Lebenswelt. Diese eingespielten Mechanismen begründen die enormen Austritts- und Wechselbarrieren, die man nach einiger Zeit bei Communities feststellen kann.
Die Fragen stellte Christian Thunig.
Checkliste
Grundsätze für erfolgreiches Online-Beziehungsmarketing, um langfristig Vertrauen aufzubauen von Dr. Oliver Nickel.
- Optimieren Sie die emotionale Bindung durch vom Benutzer definierbares Customizing.
- Stellen Sie die Zielgruppe und deren Tonalitätserwartungen sowie deren Involvement über Designaspekte. Websites sind für die Zielgruppe, nicht für die Designabteilung oder für Design-Awards.
- Optimieren Sie Dialogkomponenten nicht nur auf der Startseite, sondern auch über die einzelnen Navigationsstufen hinweg.
- Stellen Sie nicht alles ins Web nur weil sich angeblich Ihre Zielgruppe generell für diese Thermen interessiert.
- Machen Sie kein Geheimnis aus dem, was es auf Ihrer Site gibt. Sorgen Sie schnell für Klarheit und Verständnis. Manchmal hilft „Kiss“, „keep it simple und stupid“.
- Denken Sie zunächst intensiv über ihre Marken nach. Markenforschung benötigt ein valides Konzept, Sie brauchen Handlungsorientierung und Explorationstiefe.
- Überprüfen Sie die Wirkung Ihrer Website anhand definierter Ziele.
- Übertragen Sie den Markenkern, die Identität, auch auf Ihren Internetauftritt. Ganz wichtig: „Web follows Brand“, nicht umgekehrt.
- Internet ist nicht nur Front-End, optimieren Sie also Ihre Back-End-Prozesse. Hier geht oft am Front-End erarbeitetes Vertrauen wieder verloren.
- Erhöhen Sie die Convenience mittels hierarchischer Informationsvermittlung. Die Folge: mehr Übersicht, geringere Ladezeiten.
- Und letztendlich: Benutzerfreundlichkeit geht vor Schönheit. Die meisten Dislikes beim Internetkontakt entstehen entweder durch Over-Engineering oder durch Technik-Mängel. Auch durch sichere und verlässliche Systeme entsteht Vertrauen.
Checkliste
Grundsätze für erfolgreiches Online-Beziehungsmarketing, um langfristig Vertrauen aufzubauen von Dr. Oliver Nickel.
- Optimieren Sie die emotionale Bindung durch vom Benutzer definierbares Customizing.
- Stellen Sie die Zielgruppe und deren Tonalitätserwartungen sowie deren Involvement über Designaspekte. Websites sind für die Zielgruppe, nicht für die Designabteilung oder für Design-Awards.
- Optimieren Sie Dialogkomponenten nicht nur auf der Startseite, sondern auch über die einzelnen Navigationsstufen hinweg.
- Stellen Sie nicht alles ins Web nur weil sich angeblich Ihre Zielgruppe generell für diese Thermen interessiert.
- Machen Sie kein Geheimnis aus dem, was es auf Ihrer Site gibt. Sorgen Sie schnell für Klarheit und Verständnis. Manchmal hilft „Kiss“, „keep it simple und stupid“.
- Denken Sie zunächst intensiv über ihre Marken nach. Markenforschung benötigt ein valides Konzept, Sie brauchen Handlungsorientierung und Explorationstiefe.
- Überprüfen Sie die Wirkung Ihrer Website anhand definierter Ziele.
- Übertragen Sie den Markenkern, die Identität, auch auf Ihren Internetauftritt. Ganz wichtig: „Web follows Brand“, nicht umgekehrt.
- Internet ist nicht nur Front-End, optimieren Sie also Ihre Back-End-Prozesse. Hier geht oft am Front-End erarbeitetes Vertrauen wieder verloren.
- Erhöhen Sie die Convenience mittels hierarchischer Informationsvermittlung. Die Folge: mehr Übersicht, geringere Ladezeiten.
- Und letztendlich: Benutzerfreundlichkeit geht vor Schönheit. Die meisten Dislikes beim Internetkontakt entstehen entweder durch Over-Engineering oder durch Technik-Mängel. Auch durch sichere und verlässliche Systeme entsteht Vertrauen.