Selten waren die wirtschaftlichen Herausforderungen für Unternehmen so groß wie aktuell. Das Konjunkturklima ist getrübt durch massiv gestiegene Energiepreise und immer weitere Belastungen durch die Politik. Die Konsumlaune der Verbraucher*innen wird beeinträchtigt durch eine anhaltend hohe Inflation, durch Krisen und Kriege sowie daraus resultierenden Zukunftsängsten. Statt Shoppen steht bei den meisten Haushalten Sparen auf dem Programm – und das in einem Umfang, wie schon lange nicht mehr.
Vor diesem Hintergrund trauen sich viele Hersteller kaum noch, die Preise für ihre Produkte aufgrund gestiegener Rohstoff- und Energiekosten anzupassen. In dem Bestreben, möglichst keine Umsatzeinbrüche zu riskieren, wählen viele von ihnen stattdessen den Weg, entweder die Füllmengen ihrer ansonsten gleich aussehenden Verpackungen zu reduzieren oder die Qualität ihrer Produkte zu verringern. Strategische Wege, deren Anwendung mit der Hoffnung verbunden wird, dass Konsument*innen das Muster dahinter – damit verbundene Preiserhöhungen – nicht erkennen.
Allerdings: Manager*innen, die sich für ein solches Vorgehen entscheiden, verkennen, dass Konsument*innen in der heutigen Welt nicht nur wesentlich besser informiert, sondern zudem auch deutlich kritischer geworden sind. Das bessere Hintergrundwissen der Konsument*innen ergibt sich nicht nur durch die immer selbstverständlichere Nutzung des Internets. Sondern durch eine zunehmend kritischere Berichterstattung in den Medien.
Verbraucher*innen verlieren an Vertrauen
Dort wird das Handeln der Unternehmen häufig mit Begrifflichkeiten wie „Shrinkflation“ oder „Skimpflation“ als vorsätzliche Täuschung der Verbraucher*innen kommentiert. Zusätzlich verstärkt wird die Einschätzung „immer dreisterer, verdeckter Preiserhöhungen“ noch durch die öffentlichkeitswirksame Vergabe von Negativpreisen wie der „Mogelpackung des Jahres“. Insbesondere dadurch, dass solche Prämierungen durch Verbraucherschutzorganisationen verliehen werden, erfahren derartige mediale Sensibilisierungen in den Communities der Netzwerke zusätzliche Verbreitung und breitenwirksame Diskussionen.
In der Konsequenz ist es zu einem massiven Wandel in der Beziehung zwischen Unternehmen und Verbraucher*innen gekommen. Es kann nicht verwundern, dass mit einem zunehmenden Vertrauensverlust in Unternehmen die generelle Bedeutung von Marken im Bewusstsein der Konsument*innen weiter an Bedeutung verliert.
Im Ergebnis müssen sich Marketingmanager*innen und die sie begleitenden strategischen Agenturpartner stärker als je zuvor die Frage stellen, wem sie sich primär verpflichtet fühlen sollten: Den internen Controlling- und Finanzverantwortlichen, die sich um die kurzfristige Fortschreibung ihrer Zahlenwerke sorgen, oder den tatsächlichen Wünschen ihrer Kund*innen, die einem Unternehmen auch zukünftig gewogen bleiben müssen, um das langfristige Überleben zu sichern.
Orientierung an Wünschen ist entscheidend
Denn selbst wenn „Shrinkflation“- oder „Skimpflation“-Methoden gestern noch funktioniert haben; Unternehmen müssen sich vergegenwärtigen, dass sich das Bewusstsein der Verbraucher*innen in den letzten Jahren massiv weiterentwickelt hat. Konsument*innen heute sind deutlich weniger loyal und deutlich eher wechselbereit als früher – ein Aspekt, der zusätzlich noch dadurch forciert wird, weil sich parallel ein Wettbewerbsumfeld entwickelt hat, das noch reicher an inhaltlich wirklich spannenden Einkaufsalternativen geworden ist.
Die kurzfristige Optimierung der eigenen Marge zu Lasten der Verbraucher*innen, das kann sich im Gegenteil sogar zu einem Boomerang entwickeln: Denn in einem veränderten Umfeld hat sich das Machtverhältnis zwischen Anbietern und Verbraucher*innen umgekehrt – der Kunde hat sich vom passiven Konsumenten zum aktiven Marktgestalter gewandelt.
Auf die Probleme von heute mit den Methoden von gestern zu reagieren – das kann in der heutigen, zunehmend kritischeren und im Wettbewerb nochmals deutlich vielfältigeren Welt nicht mehr funktionieren und wird sogar fahrlässig. Es gilt, deutlich zukunftsgerichteter zu agieren, und dabei wird die noch engere Orientierung an den wirklichen Wünschen der Kund*innen mit einem noch vertrauensvolleren Auftritt zu einem entscheidenden strategischen Erfolgsfaktor.
Wolfgang Merkle ist Inhaber von Merkle Speaking Sparring Consulting, Professor für Marketing & Management an der UE – University of Europe for Applied Sciences und Präsident des Marketing Club Hamburg. Davor war er über 25 Jahre als CMO, Bereichsvorstand, Geschäftsführer und Direktor bei Tchibo, Galeria Kaufhof, Zara, Massimo Dutti und Otto tätig.