Von Anne-Kathrin Keller
Das Muster ist altbekannt: Journalisten graben nach Leichen im Keller von Unternehmen, Mitarbeiter äußern anonym mit verstellter Stimme Kritik, Kunden sind schockiert und das Unternehmen lehnt jede Kooperation mit der Fernsehproduktion ab. Die NDR-Filme um Kik und Wiesenhof von Christoph Lüttgert und diverse Panoramabeiträge sind nach dem gleichen Muster aufgebaut. Die Erfahrung zeigt: Sie sind durchaus marktrelevant. Kaum sind die Beiträge erschienen, schließen sich weitere Medien der Kritik an und Kunden laufen Sturm. Zu Recht bei manchen Bilder aus Geflügelzuchtbetrieben oder Textilfabriken in Indonesien.
Bei Rewe ist der Fall allerdings anders: Mit dem Handelsunternehmen haben sich die NDR-Journalisten einen Fall vorgenommen, der nicht so leicht zu stemmen ist. Rewe ist selten im Visier von Verbraucherschützern und Kundenprotesten. Im Gegenteil: Das Image ist sehr gut. Nachhaltigkeit, Kundenfreundlichkeit und lange Öffnungszeiten sprechen für das Unternehmen. Umso größer wäre natürlich der Erfolg, hier einen Skandal aufzudecken. Dennoch: Weder Kinderarbeit noch Schikanierung der Mitarbeiter wurde aufgedeckt. Das Unternehmen sollte sich aber über sein Entlohnungssystem Gedanken machen und dazu Stellung beziehen.
Günstig, konkurrenzfähig und nachhaltig
An fast jeder Ecke findet man den Rewe-Supermarkt. Mehr als 50 Milliarden Euro Umsatz macht die Rewe Group jedes Jahr – zu ihr zählen auch Penny, Toom und ProMarkt. Auf den Internetseiten des Unternehmens heißt es, man setze auf fair gehandelte Produkte und stelle soziale Verantwortung in den Mittelpunkt der Unternehmensaktivitäten. Kaum ein Unternehmen steht momentan so sehr für Nachhaltigkeit wie die Rewe Group. Erst diese Woche hat das Unternehmen wieder die Nachhaltigkeitswochen in seinen Filialen gestartet. Nachhaltig sein bedeutet: Fair produzierte und gute Ware aber auch guter Umgang mit und faire Entlohnung von Mitarbeitern und Lieferanten.
Die gute Nachricht des NDR-Checks zuerst: Rewe ist günstig und die Produkte sind qualitativ hochwertig. Die „Ja“-Produkte des Unternehmens können mit Discount-Produkten von Aldi und Lidl mithalten. Geht Aldi mit den Preisen runter, zieht Rewe nach. Das überrascht, hat Rewe doch den Ruf, teurer zu sein als die Discounter. Auch bei den Markenprodukten ist Rewe konkurrenzfähig. 25 Lebensmittel haben die NDR-Journalisten ausgewählt und den Warenkorbpreis zwischen Rewe und den Discountern verglichen. Das Ergebnis: 2,50 Euro mehr zahlt der Kunde bei Rewe.
Auch Bio-Fans werden bei Rewe nicht enttäuscht. Die Siegel bei Rewe sind zertifiziert und erfüllen nicht nur den Bio-Mindeststandard, sondern gehen deutlich darüber hinaus. Ohne Frage: Die Standards an sich sind kritisierbar und somit auch die Produkte, aber Rewe erfüllt mindestens die Marktstandards. Tester und Kunden zeigen sich in der NDR-Doku begeistert.
Etwas kritischer wird es, wenn die Verkaufstricks der Handelskette unter die Lupe genommen werden. Allerdings findet sich hier auch nichts wirklich Neues. Bremszone, Bückzone, Quengelzone und gute Beleuchtung, die Nahrungsmittel besonders gut aussehen lassen, sind in jedem Supermarkt zu finden. Das geben auch die Kommentatoren zu.
Kritik an Produktfrische und Lohnstruktur
Bis dahin verläuft der Markencheck fast enttäuschend. Zwei „Skandale“ haben die NDR-Reporter dann aber doch aufgedeckt. Tester haben in Rewe-Märkten verschimmelte Erdbeeren entdeckt. Nach einem Labortest wurde klar: Diese Erdbeeren hätten niemals in den Verkaufsraum kommen dürfen. Konfrontiert mit den Laborergebnissen machte die Rewe Group in einem Schreiben deutlich, dass diese Erdbeeren nicht dem Qualitätsanspruch des Unternehmens entsprechen und auch andere Kunden zu Recht Beschwerde angemeldet hätten.
Eine klares Schuldeingeständnis, das weiterer Kritik den Wind aus dem Segeln nimmt. Rewe hat seinen Kunden laut NDR angeboten, die Ware gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzunehmen oder gegen frische Erdbeeren einzutauschen. Auch hier ein klarer Unterschied zu den Filmen über Kik und Wiesenhof, in denen die Unternehmen selten zu einer Stellungnahme bereit waren.
Der zweite Kritikpunkt ist da deutlich schwerwiegender. Es geht um die Entlohnung und den Umgang mit Mitarbeitern. Rewe-Mitarbeiterin Sandra will unerkannt bleiben und berichtet davon, dass sie in einer Filiale nur 6,50 Euro die Stunde verdient – eine Bezahlung, die deutlich unter dem Tarifvertragslohn liegt. Dieser liegt bei 14 Euro. Bei Rewe kommt es zu deutlichen Lohnunterschieden zwischen den Angestellten, die von der Rewe Group geführt werden, und Filialen, die von selbstständigen Kaufleuten in Form von Franchisefilialen geführt werden. Letztere sind nicht verpflichtet, den Tariflohn zu zahlen. Zudem setzt das Unternehmen Arbeiter mit Werkverträgen ein, meist, um Regale aufzufüllen. Diese Praxis ist für Unternehmen deutlich günstiger, als selbst Mitarbeiter oder Leiharbeiter einzustellen. Das Problem: Die Werkverträgler sind ebenso wie die Rewemitarbeiter angehalten, den Kunden zu beraten, obwohl sie keine direkten Rewe-Mitarbeiter sind und deutlich schlechter bezahlt werden.
Mildes Entsetzen bei Kunden und in sozialen Netzwerken
Die Reaktion bei befragten Passanten: Entsetzen. Von Dumpinglöhnen wird gesprochen. Einzelne Kunden wollen nie wieder eine Rewe-Filiale betreten. Gewerkschafter kritisieren Rewe, machen aber auch deutlich, dass dies kein Einzelfall ist. So richtig will auch von Seiten der NDR-Journalisten keine Skandalstimmung aufkommen. Das zeigt auch die Reaktion in den sozialen Netzwerken. Eine Handvoll Kommentare bei Facebook, ganz vereinzelt Kommentare bei Twitter. Eine richtige Diskussion über den Film oder gar eine Empörungswelle ist nicht entstanden. Die Wortwahl blieb ruhig.
Thema war einzig die Lohnstruktur in den Rewemärkten. Es schalteten sich schnell aber Kommentatoren ein, die Kritik abmilderten. „Ich bin etwas sprachlos, dass nach Aldi und Konsorten sich scheinbar immer noch nichts geändert hat. Ich kaufe nicht in Läden, wo Menschen ausgebeutet werden!“, war der schärfste Kommentar einer Nutzerin bei Facebook. Und auch die Medien blieben ruhig. Der Film wurde zwar groß angekündigt, darüber im Nachklapp berichtet haben aber nur wenige. Da bleibt es abzuwarten, dass die NDR-Journalisten bei ihrer Dokumentation über die Post, die am 10. September im NDR-Fernsehen um 21 Uhr ausgestrahlt wird, mehr aufdecken.