Frau Kiel, als Top Voice folgen Ihnen knapp 50.000 Personen auf LinkedIn. Wie erleben Sie die Diskussionen auf dem Business-Netzwerk?
In der Regel erlebe ich sie als wohlwollend, konstruktiv und helfend. Für mich ist es eine unglaubliche Chance, Haltung zu zeigen und für diejenigen einzustehen, die diese Möglichkeit nicht haben. Weil sie keine Reichweite haben, weil sie sich nicht trauen, weil sie nicht genannt werden wollen. Nur wenn ihre Stimmen ein Gesicht haben, können sich die, die es lesen, damit identifizieren. Über LinkedIn haben wir unglaublich viele Unterstützer*innen und ganz konkrete Hilfe für die Ukraine mobilisieren können.
In welchem Moment haben Sie die Entscheidung getroffen, Ihre Reichweite nicht für persönliche Anliegen einzusetzen, sondern für gesellschaftliche Zwecke?
Das Thema Female Empowerment war mir immer schon wichtig. Ebenso wie Ungerechtigkeiten zu benennen. Der beschleunigende Faktor war jedoch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ich konnte gar nicht anders als zu sagen: Macht die Augen auf! Und wenn ihr handeln und helfen wollt, zeige ich euch Möglichkeiten auf. Ich versuche, nicht gegen etwas zu sein, sondern für die Menschen, für die Themen, für die Bedürfnisse, für die Bedarfe. Anders würde ich es mental gar nicht ertragen. Außerdem erreicht man sehr viel weniger, wenn man negativ an ein Thema herangeht.
Wie strategisch arbeiten Sie heute an Ihrer Personenmarke?
Meine Taktik besteht darin, nicht meine Person zu positionieren, sondern die richtigen Projekte auszuwählen, die aus meiner Sicht Reichweite verdienen, und die richtigen Worte zu finden, um diese Projekte sichtbar zu machen und dafür zu mobilisieren. Oder ich mache auf etwas aufmerksam, was mein Wertesystem so getriggert hat, dass ich nicht anders kann. Wobei das ja nicht alles ich bin, denn dahinter steht ein Team und ein gemeinsames Mindset.
Welche Frage sollte sich Ihrer Meinung nach jede*r Markenverantwortliche stellen, bevor sie oder er etwas postet?
Ich würde mir wünschen, dass Marken ihre Verantwortung ernst nehmen und zeigen, welchen Einfluss sie tatsächlich in der Gesellschaft haben.
Im Juli 2023 haben Sie Score for Impact gegründet. Sie schreiben, es soll Matchmaker zwischen Unternehmensstrategien, Hilfsprojekten und Bedarfen sein. Was genau ist die Idee?
Wir wollen Unternehmen im Bereich ihrer ESG-Transformation helfen, ihr soziales Engagement gezielter zu steuern und im Hinblick auf ihr Investitionspotenzial aktiv zu werden. So können soziale Projekte schneller Unterstützer*innen finden und ihren Impact vergrößern. Wenn wir wirklich aktiv werden und diese Aktivitäten kongruent sind mit der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens, ist das einer der besten Impacts, die man leisten kann. Und dann ist der Unterschied zwischen Profit und Non-Profit nicht mehr der zwischen Impact oder Nicht-Impact, wie manche fälschlicherweise meinen. Ich kann etwas Gutes für und in meinem Unternehmen tun, wenn ich mich sozial engagiere und meine Mitarbeitenden dafür begeistere und ihre Arbeitskraft dafür einsetze. Und am Ende profitieren Menschen.
Welche Leistungen bieten Sie im Rahmen von Score for Impact an?
Wir machen Matchmaking, skalieren und messen am Ende das Ergebnis. Wir finden also heraus, was hinter dem Wunsch eines Unternehmens steckt, Soziales leisten zu wollen. Dann identifizieren wir entlang ganz konkreter Bedarfe etwas Passendes in diesem Bereich und stellen sicher, dass das Soziale ankommt und tatsächlich Hilfsbedürftigkeit ist. Wir suchen und entwickeln diese Projekte aber nicht nur, sondern betreuen und setzen sie dann auch um, um die Frage zu beantworten, welchen Impact das Unternehmen wirklich beim „S“ in ESG hatte. Ab übernächstem Jahr wird der ESG-Bericht für viele Unternehmen auch im „S“- und im „G“-Bereich Pflicht. Es ist für alle besser rechtzeitig aktiv zu werden, wenn man im Driver’s Seat sitzt.
Mit dm ist der erste Partner bereits an Bord. Wo wollen Sie mit Score for Impact hin?
Score for Impact ist gemeinnützig. Es geht uns nicht darum, unsere Taschen vollzumachen, sondern wir wollen tatsächlich Lösungen anbieten, wo es noch keine gibt. Es kann nicht unser Ernst sein, dass wir mit jeder neuen Krise von vorne anfangen müssen, weil wir das Wissen vom letzten Mal nicht bewahrt und geteilt haben. Deswegen gilt: Umso mehr Partner*innen wir haben, umso mehr Einfluss können wir auf die Netzwerke und die Politik ausüben.
Sie sind CEO von Klitschko Ventures und #WeAreAllUkrainians, engagieren sich unter anderem als Mentorin für Frauen und unterstützen Jugendliche dabei, unternehmerisches Denken zu lernen. Kurz und knapp: Woher nehmen Sie die Zeit und Energie für ein weiteres Unternehmen?
Es ist mein dringlicher Wunsch, unseren Kindern eine bessere Welt zu hinterlassen. Und ich glaube, dass wir das nur können, wenn wir aus Fehlern lernen, dieses Wissen teilen und Lösungen anbieten. Und da muss jede*r ein Stück an sich selbst arbeiten. Ich habe entschieden, dass ich mutig sein will für die, die es nicht können. Und dass ich die Energie dort reinstecke, wo ich einen wirklichen Mehrwert und Impact leiste. Ich möchte keinen Nine-to-Five-Job haben. Dafür bin ich nicht geboren.
Wie hoch würden Sie Ihre Resilienz einschätzen?
Sehr hoch. Ich habe schon immer ein hohes Niveau gehabt, glaube aber, dass man Resilienz trainieren muss. Und wenn man das tut – und das tun wir bei Klitschko Ventures ja ganz explizit mit unserer Methode „Face the Challenge“ –, dann kommt man gar nicht daran vorbei, sich mit Themen auch wirklich auseinanderzusetzen.
Die ad hoc nach Kriegsbeginn gegründete Initiative #WeAreAllUkrainians soll in Deutschland möglichst schnell skalierbare Hilfsmaßnahmen für Personen im Kriegsgebiet und Geflüchtete hierzulande entwickeln. Welches Zwischenfazit ziehen Sie?
Solidarität ändert sich. Und das meine ich nicht negativ, sondern positiv. Denn die Themen werden jetzt erst richtig schwer. Ad-hoc-Initiative heißt, man hilft sehr schnell und sehr konkret. Das machen wir weiterhin in einem großen Umfang. Aber inzwischen zählt vor allem nachhaltige Hilfe. Viele Spätfolgen sind noch gar nicht abzusehen. Ein Beispiel: Wir sind alle Töchter und Söhne oder haben selbst welche. Es gibt niemanden, den das Thema Kinderdeportierung kaltlässt. Es haben nur alle Angst, sich damit auseinanderzusetzen. Deswegen muss man das Thema so zugänglich machen, dass man eigentlich nicht dran vorbeikommt. Und das werden wir im September tun. Wir werden so laut sein, dass sich auch die Politik noch mehr einbringen muss.
Wie viele Unternehmen haben sich im Rahmen von #WeAreAllUkrainians engagiert?
Hunderte. Ich würde fast sagen Tausende. Damit haben wir nicht gerechnet. Aber: Wir bekommen als #WeAreAllUkrainians sehr viele Sach-, seltener Geldspenden von Unternehmen. Die großen Summen erhalten wir vor allem von Stiftungen und Organisationen. Wenn wir für akute Bedarfe die nötige Hilfe nicht als Sachspende zur Verfügung gestellt bekommen, verwenden wir dafür das Geld.
Wenn Sie der Marketing-Community einen Rat geben könnten, welcher wäre dies?
Mein wichtigstes Learning ist: Wenn das, was ich sage und tue, nicht zusammenpasst hätte, hätte ich keine Chance gehabt. Taten müssen mit Worten übereinstimmen, dann wird daraus eine glaubwürdige Haltung. Das muss das Ziel sein.
Herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Marken-Award 2023!