„Manchmal nehmen wir uns einfach zu wichtig“ 

Ex-Kaufland-Geschäftsführer Jörg Zuber überlebte einen Schlaganfall und wirbt heute für mehr Achtsamkeit – auch und gerade im Top-Management. Denn Stress gilt als ein Auslöser.
25 Prozent der Menschen, die einen Schlaganfall erleiden, sind im erwerbsfähigen Alter. (© Shutterstock)

Mit 49 Jahren war das Managerleben für Jörg Zuber schlagartig vorbei. Im Mai 2016, an seinem „ganz persönlichen schwarzen Freitag“, wie er es nennt, erlitt der einstige Top-Manager einen Schlaganfall. Mitten auf einem Bahnsteig am Hannoveraner Hauptbahnhof. Er wollte gerade mit einem Freund, dessen Töchtern und zwei seiner eigenen vier Kinder zu einer einwöchigen Radtour nach Hamburg aufbrechen.  

Nur schnellem notärztlichen Handeln und einer sofortigen Einlieferung ins Krankenhaus verdankt es Zuber vermutlich, dass er heute noch lebt – und auf die Frage, wie es ihm jetzt gehe, antworten kann: „Gut soweit, anders gut. Ich kann wieder vieles machen und habe mir eine gewisse Selbstständigkeit zurückerkämpft.“ Arbeiten kann Zuber jedoch nicht mehr, sein Kurzzeitgedächtnis ist stark betroffen, Belastbarkeit und Konzentration sind nicht mehr wie früher. Zuber braucht immer wieder Pausen. Er ist seit dem Schlaganfall Frührentner. 

Vieles erledigt bis heute für ihn seine Frau Tanja Eggers. Mittlerweile sind beide ein gut funktionierendes Team. Auch die Fragen für dieses Portrait beantworten sie gemeinsam. „Durch den Schlaganfall habe ich zunächst meine Sprache verloren“, sagt Zuber. Bis heute sei es hart für ihn, „wenn ich etwas erklären möchte und es nicht kann, weil mir die Worte, die Begrifflichkeiten, die Orte nicht einfallen.“ 


Jörg Zuber und Tanja Eggers 

Bis 2016 war Jörg Zuber im Top-Management des Kaufland-Konzerns. Kurz nach seiner Freistellung erlitt er im Mai 2016 einen Schlaganfall. Seine Frau Tanja Eggers, zuvor ebenfalls Managerin und Prokuristin bei Kaufland, absolvierte kurz darauf ein Fernstudium zur betrieblichen Gesundheitsmanagerin und gründete 2017 die Ancoris Consulting. Beide arbeiten und leben in einer Patchworkfamilie mit vier Kindern und einer Hündin. 2022 erschien das Buch „Perspektive Patchwork“ in dem beide über ihre Erfahrungen sprechen und Mut machen wollen „zur ganzheitlichen Gestaltung von Leadership, Karriere und Kultur“. 


Dritthäufigste Todesursache 

Etwa 270.000 Menschen in Deutschland erleiden jährlich einen Schlaganfall, 70.000 davon sogar zum wiederholten Mal. Rund 1,76 Millionen Menschen leben hierzulande mit den Folgen dieser Erkrankung. Nach Herz- und Krebserkrankungen liegt der Schlaganfall damit auf Platz 3 der Todesursachen in Deutschland. 

Allerdings: So jung wie Zuber sind die wenigsten. Nur etwa 25 Prozent der Menschen, die einen Schlaganfall erleiden, sind unter 65 Jahren – und damit im erwerbstätigen Alter. Diese Menschen reißt der Schlag nicht nur aus dem Alltag, sondern auch mitten aus dem Berufsleben und oft genug mitten aus einer steilen Karriere. 

So war es auch bei Zuber. Im Kaufland-Konzern war er vom Trainee bis zum Geschäftsführer aufgestiegen, dort zuletzt für mehr als 200 Mitarbeitende und einen Jahresumsatz von mehreren hundert Millionen Euro verantwortlich. Allerdings: Kurz vor dem Schlaganfall war Zuber ausgestiegen. Wegen interner Umstrukturierungen, so erzählt er, bot ihm Kaufland einen anderen Posten an, den er jedoch ablehnte. Zuber entschied sich stattdessen für einen Aufhebungsvertrag und wurde freigestellt. „Ich dachte damals, ich nutze das eine Jahr Freistellung in Ruhe, um dann wieder als Geschäftsführer woanders volle Kanne einzusteigen“, erinnert sich der heute 56-Jährige. Zumal er zur gleichen Zeit auch privat in einer Trennungsphase steckte. Zu dem beruflichen Stress, kam also auch noch privater. 

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2016 erlitt Jörg Zuber bei einer Radtour einen Schlaganfall. (© NUTZmedia)

„Change auf allen Ebenen“ 

Waren es diese Mehrfachbelastung und die unsichere berufliche Zukunft, die den Schlaganfall auslösten? Zuber glaubt, dass bei ihm „mehrere Faktoren“ zusammenkamen: „Es war Change auf allen Ebenen. Und dies war einfach too much, um es auszuhalten.“ 

Dass Stress ein Auslöser für Schlaganfälle sein kann, belegen auch zahlreiche Studien. Denn Stress führt bei vielen Menschen zu Bluthochdruck und der wiederum ist, neben hohem Cholesterin, Rauchen, Adipositas und Diabetes, eine der Hauptursachen für Schlaganfälle. Eine Studie der American Heart Association hat 2015 gezeigt, dass 77 Prozent der Menschen mit einem ersten Schlaganfall hohen Blutdruck haben.  

Interessant in diesem Kontext ist eine weitere Studie: In einer Vergleichsuntersuchung mit 25.000 Probanden fand die University of Galway in Irland kürzlich heraus, wie stark ein hohes Stresslevel das eigene Schlaganfallrisiko erhöhen kann.  Dabei untersuchten die Wissenschaftler verschiedene Stressfaktoren: zu Hause, am Arbeitsplatz, finanzieller Art sowie durch belastende Lebensereignisse. Das Ergebnis: Menschen, die einen Schlaganfall erlitten, wiesen ein deutlich höheres Maß an häuslichem und beruflichem Stress auf als jene aus der gesunden Kontrollgruppe. Konkret hatten 14,2 Prozent der Schlaganfallpatienten häuslichen Stress und nur 9,2 Prozent der Gesunden. Unter beruflichem Stress litten sogar 23,1 Prozent der Schlaganfallpatienten, aber nur 15,4 Prozent der Gesunden. 

Erste Reaktion: Verleugnen 

Besonders fatal: Gerade im Top-Management ist nicht nur Stress meist an der Tagesordnung. Viele Führungskräfte achten zudem wenig auf die eigene Gesundheit und ignorieren erste Warnsignale, sie halten sich für unverwundbar und – schlimmer noch – für unersetzlich. Was daraus entstehen kann, ist ein ziemlich unguter Teufelskreis aus Verleugnung und Durchhaltedruck. 

Das alles kennt auch Jörg Zuber: „Ich war erfolgsverwöhnt und hätte nie gedacht, dass mir so etwas passiert.“ Durch den Tunnelblick und den Stress hätte er manches Anzeichen vielleicht übersehen. Denn auch er hatte schon ein paar Tage vor dem Schlaganfall und auf der Reise zur geplanten Radtour „ein komisches Gefühl“. Er hatte Probleme mit dem Sehen und verspürte einen Druck im Kopf. Das alles hat er aber nicht ernstgenommen. “Dass ich zu dem Zeitpunkt bereits einen Gesichtsfeld-Ausfall hatte, habe ich nicht geahnt“, sagt Zuber. Auf dem Bahnsteig in Hannover hat er zunächst gar nicht bemerkt, dass er nicht mehr sprechen kann, sondern „nur noch Kauderwelsch“ aus ihm herauskam. 

Seine einstige Stärke, so glaubt er heute, sei zu einer Schwäche geworden: „Mein Antreiber war immer: Sei stark und mach alles mit Dir selbst aus.“ Selbst während der ersten Reha, glaubte Zuber zunächst noch, er könne seine Erkrankung langfristig geheim halten: „Ich dachte, die Rehas ziehe ich jetzt durch, gebe alles, werde wieder fit, steig als Geschäftsführer irgendwo neu ein – und über den Schlaganfall spreche ich nicht“. 

„Papa, so wie Du wollen wir nicht enden“ 

Auch das hat sich mittlerweile radikal geändert. Heute spricht Zuber offen über seine Erkrankung. Gemeinsam mit seiner Frau will er Aufklärung betreiben. Ihr gemeinsam selbst definierter Ansatz: „Achtsamkeit ins Business einfließen lassen“. Zuber: „Meine Frau sagt immer so schön: ,Achtsamkeit und Zielorientierung sind kein Widerspruch‘. Es geht beides. Und dies wollen wir als Impuls mitgeben.“ Denn heute weiß Zuber wie wichtig es ist, in den eigenen Körper hineinzuhören. „Unser Körper spricht mit uns – und unsere Seele auch. Es liegt an uns, ob wir diese Zeichen wahrnehmen. Manchmal nehmen wir uns einfach zu wichtig, gerade in den Management-Ebenen.“ Doch er hofft, dass sich mit den jüngeren Generationen etwas zum Besseren wendet. Von seinen Kindern jedenfalls bekomme er zu hören: „Papa, so wie du wollen wir nicht enden. Dein ganzer Einsatz für den Job hat sich nicht rentiert. Wir wollen gesund alt werden.“ 

Es braucht mehr Aufklärung und Wertschätzung 

Seine Frau kann dem nur zustimmen. Als Beraterin und studierte betriebliche Gesundheitsmanagerin coacht Eggers heute Führungskräfte und führt Achtsamkeitsseminare durch. Sie sagt: „Es ist Zeit für Tabubrüche. Wir müssen über solche Themen offen sprechen. Ich wünsche mir noch mehr Fokus auf Wertschätzung und einen achtsamen Blick aufeinander, sowohl in der Prävention als auch in der Wiedereingliederung. Wir alle sind Menschen und es braucht (wieder) etwas mehr Menschlichkeit, um die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu wuppen.“ Jeder einzelne müsse sich immer wieder fragen „Wie will ich leben?“ 

Für Zuber ist die Antwort relativ klar. Er will sein Leben mit seiner Frau und seiner Patch-Work-Familie genießen. Die ersten Jahre seien ein „steiniger Weg“ gewesen. Doch heute könne er, der vor dem Schlaganfall jeden Morgen um 5 Uhr joggen gegangen ist, um für die Arbeit einen klaren Kopf zu bekommen, wieder regelmäßig laufen – wenn auch nicht so lange, da sein Fuß als Folge des Schlaganfalls hinkt. Zuber spielt Fußball bei den „attraktiven Herren“ und hat mit dem Golfen begonnen. Vor ein paar Wochen hat er zudem mit Hündin Ginny, die nach dem Schlaganfall als Welpe in die Familie kam, die Besuchshunde-Ausbildung abgeschlossen. Mit Ginny arbeitet er jetzt in Altersheimen und Kindergärten. 

Sein nächstes großes Ziel: einen Teil des Jakobsweges wandern. Dafür trainiert er seit einiger Zeit. Vor kurzem haben er und Ginny eine Tour in Bayern gemacht: 100 km in vier Tagen. „Ich setze mir immer wieder Ziele. Es ist wichtig, einen Tagesablauf zu haben und gewisse Routinen einzuplanen“, sagt der Ex-Manager. Sein persönliches Fazit nach den vergangenen sechs Jahren? „Bleib aktiv, glaub an dich und gib niemals auf. Und erlaube dir, Hilfe von anderen anzunehmen.“ 


Umgang mit Schlaganfällen 

Wichtig zur Vorbeugung von Schlaganfällen sind neben Stressvermeidung auch Bewegung und gesunde Ernährung sowie Rauchverzicht. Es gibt zahlreiche Anzeichen, einen Schlaganfall frühzeitig zu erkennen. Dazu zählen unter anderem Seh- oder Sprechstörungen, Taubheitsgefühle sowie Schwindel. Schnelle notärztliche Versorgung ist zur erfolgreichen Behandlung des Schlaganfalls und zur Eindämmung der Schlaganfallfolgen entscheidend. Ausführliche Informationen gibt es bei der Deutschen Schlaganfallhilfe. Diese hat auch eine App (FAST) entwickelt, die Laien dabei hilft, einen Schlaganfall-Verdacht schnell zu überprüfen und den Notruf 112 auszulösen. 

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.