Interview mit Gerald Schreiber, Geschäftsführer der defacto-Gruppe in Erlangen
Herr Schreiber, über den Kundenservice, wie ihn Call Center praktizieren, wird in Deutschland kritisch diskutiert. Nun soll die Gesetzeslage verschärft werden. Was bedeutet es für die Akzeptanz von Callcentern, wenn auch der Wirtschaftsminister die Position der Verbraucherseite vertritt?
GERALD SCHREIBER: Die Branche hat es verpasst, sich von unseriösen Praktiken zu distanzieren, insofern brauchen wir schärfere Gesetze. Möglicherweise können Verbraucher heute nicht wirklich unterscheiden zwischen dem, was gesetzlich erlaubt ist, und dem, was einfach schlecht gemacht ist. Ich denke, dass die aktuellen politischen Vorgänge unser Geschäft nicht beeinträchtigen werden.
Andere Stimmen aus der Branche sagen, dass das Geschäft Telefonmarketing durch die Gesetzentwürfe belastet wird. Vorgesehen ist, dass Verträge, die mündlich am Telefon vereinbart werden, in einem weiteren Schritt schriftlich oder in Textform bestätigt werden müssen. Sehen Sie darin eine Beschränkung für das Telefonmarketing?
SCHREIBER: Das ist in der Tat problematisch, natürlich sehen wir die Entwürfe auch kritisch. Der telefonisch geschlossene Vertrag sollte aus meiner Sicht Gültigkeit haben, akzeptabel ist eine Widerrufsfrist von 14 Tagen. Vernunft sollte sich durchsetzen, wie das viel zitierte Beispiel des Pizza-Bestell-Service zeigt. Die Vorschrift, dass mündlich abgeschlossene Verträge einen textlichen Nachweis benötigen, passt nicht zu unseren schnelllebigen Kaufgewohnheiten, und der Kunde empfindet es auch nicht als komfortabel. Dennoch muss ich anmerken, dass manche Telekommunikationsanbieter oder Glücksspielverkäufer einfach zu weit gegangen sind. Was wir also auch brauchen, sind ein fairer Umgang miteinander und Verständnis für unsere Kunden.
Sie haben jetzt Kritik an der Branche geäußert. Sehen Sie auch die Lobby-Arbeit der Verbände Call Center Forum, DDV und VATM kritisch, weil sie sich oft nicht durch ein einheitliches Vorgehen auszeichnet?
SCHREIBER: Die Verbände sind unterschiedlich stark und leisten meines Erachtens insgesamt eine gute Arbeit, obwohl vieles besser laufen könnte. Dabei muss berücksichtigt werden, dass etliche der etwa 5 000 Call Center in Deutschland derzeit keinem Verband angehören. Es reicht daher nicht, den Verbandsmitgliedern auf die Finger zu hauen, vielmehr müssen die unseriösen Anbieter außerhalb des Verbands aufgespürt werden.
Reicht es aus, plakativ von schwarzen Schafen zu sprechen, wenn immer mehr unseriöse Praktiken aufgedeckt werden?
SCHREIBER: Als ich Vorsitzender des Councils im DDV war, habe ich Finanzmittel dafür eingesetzt, unlautere Geschäftspraktiken aufzuspüren. Ich musste feststellen, dass mein Einfluss auf das Tun anderer gering ist und dass ich mich auf das zu konzentrieren habe, was ich unter Verzicht auf unseriöse Mittel selbst manage. Im Übrigen geht es um die Werte unserer Kunden und nicht um unsere eigene Identität als Dienstleister. Die Telekommunikationsbranche zum Beispiel hatte noch vor zehn Jahren ein fantastisches Image, und die Kunden nahmen die Vorschläge eines Anbieters etwa zum Tarifwechsel ernst. Und heute? Heute legt der Kunde den Hörer direkt wieder auf, wenn er den Namen des Unternehmens hört. Verbraucher bevorzugen zwar ein Premiumleben und nutzen Kommunikationswege wie das Internet, aber sie wollen das mit gutem Gewissen tun und Vertrauen aufbauen können. Harter Verdrängungswettbewerb wird negativ bewertet, und daher messe ich Selbstreinigungsprozessen eine hohe Bedeutung bei.
Das Lohnniveau ist in vielen Call Centern sehr niedrig, insbesondere im Osten Deutschlands. Wie werden diese Arbeitskräfte zu kompetenten Beratern?
SCHREIBER: Die Entwicklung, dass Unternehmen in den strukturschwachen ostdeutschen Ländern EU-Fördermittel als Auftragssubventionen eingesetzt haben, statt eine betriebswirtschaftlich nachhaltige Struktur zu schaffen, sehe ich sehr kritisch. Das ist eine einmalige Geschichte, und wenn solche Subventionsgelder wegfallen, wird die Qualität steigen.
Call Center spüren einerseits den Konkurrenzdruck aus den Billiglohnländern, den Selfservice-Bedarf und den Automatisierungstrend. Andererseits sind etliche Arbeitsplätze durch Fördermittel nicht marktkonform entstanden. Werden sich in den ostdeutschen Regionen viele Anbieter am Markt nicht halten können?
SCHREIBER: Davon gehe ich aus. Manche Unternehmen springen von einem Förderstandort zum nächsten und nehmen die Kunden mit. Es gibt Ausschreibungen, in denen nach Standorten und Fördergeldern gefragt wird und danach, wie viel an den Kunden durchgereicht wird. Wer darauf keine Antwort hat, ist in Teil zwei der Ausschreibung nicht mehr dabei. Diese unsinnige Ansiedlungsförderung auf der Basis von Lohnsubventionen muss abgeschafft werden, damit Mitnahmeeffekte nicht weiter genutzt werden können. Das Gespräch führte Gunnar Sohn.