„Management und Marketing reduzieren den Menschen auf Effizienz“

"Wir sind zu Convenience-Menschen geworden. Aber Convenience macht nicht glücklich, sondern braucht die Steigerung von immer noch mehr Convenience", mahnt Dr. David Bosshart, CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts. absatzwirtschaft-online spricht mit dem Vordenker über die Sehnsucht nach dem Einfachen, über Religion, und Konsumenten, die lernen, zwischen Bluff, Me too und Echtheit zu unterscheiden.

Dr. David Bosshart ist CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts in Rüschlikon/Zürich.

Herr Dr. Bosshart, das Gottlieb Duttweiler Institute stellt in diesen Tagen eine Studie mit dem Titel vor „Die Rückkehr der Religion – Warum Glauben heute Hochkonjunktur hat“. Sie und ihre Co-Autoren sprechen in dieser Studie von einer Sehnsucht in der Gesellschaft nach dem unersetzlich Einfachen. Sie zeichnen aber auch Prozesse auf, die nicht gerade hoffnungsvoll stimmen. Was möchten Sie mit Ihrer Bestandsaufnahme bestenfalls bewirken?

DR. BOSSHART: Wir möchten aufzeigen, dass wir in eine neue Phase der Entwicklung unserer modernen Welt eintreten: Der Glaube an die Berechenbarkeit der Welt schwindet – auch in der Wirtschaft. Rationalisierung und Effizienzsteigerung laufen sich zu Tode – vor allem wenn die nicht mehr beherrschbaren Nebenfolgen immer dramatischer werden. Gleichzeitig sind die Ideologien verschwunden: genauso wie seit über 20 Jahren kein Mensch mehr glaubt, dass Kommunismus ein valabler Lebensentwurf ist, sehen wir spätestens seit diesem Jahr, dass der konsequent angewandte Marktliberalismus auch keine angemessene Orientierung bietet. Wir wissen: Ideologien – dazu gehört selbstverständlich auch religiöser Fundamentalismus – bringen nur politisches und menschliches Leid. Menschen brauchen aber Träume, mit der metaphysischen Obdachlosigkeit kann man nicht leben, genauso wie man ohne Essen und Trinken nicht leben kann.

Aber wo ist der Ausweg?

DR. BOSSHART: Die Suche nach Orientierung in einer globalen Welt ist gigantisch gross, gerade bei uns, denn wir sind alt, satt und auch bequem geworden. Wir sind zu Convenience-Menschen geworden. Aber Convenience macht nicht glücklich, sondern braucht die Steigerung von immer noch mehr Convenience. Wie weiter? Die einzige Auswegschance für eine Bewältigung des Alltages scheint Religion, ein Anknüpfen an Formen des religiösen Lebens, die wir grösstenteils von früher her schon kennen.

Sie beschreiben in der Studie vielfältige Indizien für eine neue Religiosität, deren bevorzugter Schauplatz aber nicht die Kirchen, sondern unter anderem Konsumtempel sind.

DR. BOSSHART: Die neue Religiosität ist eher eine „Bastel-Religion“, die aus verschiedenen Traditionsbeständen fischt, was ihr gerade passt. Es geht um die Frage des Sinns und der Bedeutungsgehalte. Menschen sind vor allem auch symbolische und geistige Wesen, die die Dinge hinterfragen – das unterscheidet uns von den Tieren. Menschen lieben Geschichten, Rituale, und wollen sinnvolle Erfahrungen machen, die sie gerne weitererzählen. Für das Unerklärliche brauchen sie so etwas wie Religion – nicht primär Institutionen oder Konfessionen, die sie verwalten wollen.

Ihren Ausführungen zufolge suchen die Menschen heute überall auf der Welt nach Heilsversprechen. Und auch Produktbotschaften beginnen, den Raum für die eigentlich eher spirituellen Fragen und Antwortversuche zu besetzen. Können Sie sich das erklären?

DR. BOSSHART: Auffallend ist, wie problemlos heute in der Öffentlichkeit religiös argumentiert wird. Politiker bei ihren Wahlreden, Jugendliche im Internet, und Produkte in der Werbung. Das hat natürlich auch mit Differenzierung zu tun. Wo alles austauschbar, gleichgültig geworden ist, braucht man wieder das Numinose, um Echtheit beziehungsweise Authentizität zu kommunizieren. Man steht zu seinen Gefühlen und ist stark genug, sie auch auszudrücken, ohne sich lächerlich zu machen. Das wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen.

Wie können Führungskräfte im Marketing in einer Zeit, in der Glauben offenbar Hochkonjunktur hat, mit Blick auf ihre Zielgruppen und ihre eigene Entwicklung klug handeln?

DR. BOSSHART: Wenn sie es sich leisten können, haben sie eine Linie, sind authentisch und damit für andere Menschen berechenbar. Die Menschen der heutigen Medienwelt lernen immer besser, zwischen Bluff, Me too und Echtheit zu unterscheiden.

Sie stellen die Studie in der Veranstaltungsreihe Food for Thought des GDI vor. Ziel ist es, gesellschaftlich relevante Themen in den Mittelpunkt zu stellen und zu fragen, welche Herausforderungen auf Unternehmen zukommen? Haben Sie eine Antwort?

DR. BOSSHART: Die wichtigste Lehre lautet: Management und Marketing, wie wir es über die letzten 50 Jahren bereitwillig aus Amerika und den Business Schools importiert haben, reduzieren den Menschen auf eine Tugend: Effizienz. Es geht immer nur um den einsamen Konsumenten und um den einsamen Manager, um effizientes Führen und um effizientes Konsumieren. Wir sind sozusagen zu Hyper-Calvinisten geworden, die das Heil in immer effizienterer Lebensführung gesucht haben, um unserer scheinbar korrupten Natur zu entgehen. Das ist eine radikale Verkürzung des Menschseins. Dass wir auch noch soziale Wesen mit Hunger nach Sinn sind, wurde dabei vergessen. Wir leben vom Kontext, an dem wir Raubbau betrieben haben. Was wir heute sind, schulden wir der Transformation religiöser Energie. Der Ausweg aus der Religion, so lernen wir, liegt in der Erfindung neuer religiöser Lebensformen. Das Gespräch führte Irmtrud Munkelt

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