„Viel zu spät begreifen viele
die versäumten Lebensziele:
Freude, Schönheit und Natur,
Gesundheit, Reisen und Kultur.
Darum, Mensch, sei zeitig weise!
Höchste Zeit ist’s! Reise, reise!“
Viele Deutsche folgen in diesem Jahr der launigen Aufforderung von Wilhelm Busch: Laut Schätzungen von Statista Market Insights könnte die deutsche Reise- und Tourismusbranche 2023 das Vor-Corona-Niveau übertreffen. Der erwartete Umsatz wird auf etwa 62 Milliarden Euro taxiert. Pauschalreisen sind die beliebteste Reiseform, Österreich und Italien zählen seit Jahren zu den favorisierten Zielen der Deutschen. Für die Lufthansa war das zweite Quartal dieses Jahres das beste in ihrer Unternehmensgeschichte.
Immer mehr Reisende achten auf Nachhaltigkeit
Vergessen sind Pandemie und Lockdowns, auch der Krieg in der Ukraine und die Inflation können der Reiselust nichts anhaben. Statista spricht von einem Phänomen namens „Revenge Travel“ – ob sich die Tourist*innen am Corona-Virus rächen? Man weiß es nicht. Die Menschen haben jedenfalls während der Pandemie viel Geld gespart, das sie jetzt (gestiegene Energie- und Lebenshaltungskosten hin oder her) in Urlaube investieren.
Dabei, sagt Statista, werde Nachhaltigkeit für Tourist*innen immer wichtiger. Die Sorge um die Umwelt führe zu neuen, nachhaltigeren Reiseangeboten und gestalte den Markt neu. Dazu passen die Ergebnisse des aktuellen GfK Nachhaltigkeitsindex. Demzufolge achteten 48 Prozent der Deutschen bei der Buchung ihres diesjährigen Haupturlaubs auf Nachhaltigkeitsaspekte wie umweltfreundliche Hotels und Verkehrsmittel oder auch faire Arbeitsbedingungen. Besonders wichtig seien diese Faktoren für Familien und die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen.
Die Klima-Zufriedenheit mit Großbritannien? Steigt!
Nicht mangelnde Reiselust, keine Pandemie oder eine zu knappe Kasse trüben in diesem Jahr die Urlaubszeit. Es sind zwei andere menschengemachte Faktoren, die – bei weitem nicht nur – Verantwortliche im Tourismusmarketing vor richtig große Herausforderungen stellen: Klimawandel und Overtourism.
„Touristen meiden Europas Hitzeregionen – und entdecken die Sommerfrische“, schrieb das „Handelsblatt” am Montag. Es brennt in vielen Mittelmeerländern, vielerorts liegen die Temperaturen bei lähmenden 40 Grad, es herrscht Wassermangel. Das schreckt Reisende ab. Der „Climate Perception Index“ vom spanischen Datenspezialisten Mabrian Technologies zeige, dass die Werte für Klima-Zufriedenheit (sic!) in Frankreich, Spanien und Griechenland schon nach den Hitzewellen im Jahr 2022 gesunken sind – derweil stieg der Wert für Großbritannien. Auch Ziele wie Tschechien, Bulgarien, Irland und Dänemark werden populärer. In den südlichen Ländern wird bereits diskutiert, die Hochsaison vom Sommer in andere Jahreszeiten zu verschieben – was aber eine Änderung der europäischen Schulferien bedeuten würde. Der Vorteil: Das Wetter wäre vermutlich milder und es kämen weniger Menschen gleichzeitig.
Gewünscht: Ein Ende der Heimsuchung
Eine Entzerrung der Touristenströme wünschen sich auch die Bewohner*innen von Venedig und Barcelona, von Dubrovnik, dem österreichischen Hallstatt oder vom französischen Mont-Saint-Michel. Letzteres ist eine Gemeinde mit 30 Einwohner*innen, die alljährlich von 2,8 Millionen Menschen heimgesucht wird (siehe dazu den lesenswerten “Zeit”-Artikel „Es gibt Exzesse, das darf man nicht leugnen“). An manche Orte kommen einfach zu viele Tourist*innen und mit ihnen hohe Preise für Lebenshaltung und Wohnen, jede Menge Müll und eine hohe Umweltbelastung. Sie verkommen zu einer Art Disneyland, so die Klagen.
So tüfteln Verantwortliche aus Politik, Wirtschaft und Marketing nun an Konzepten, wie sich der Umsatzbringer Tourismus mit dem Klimawandel und den Bedürfnissen von Einheimischen und Umwelt vereinbaren lässt. Über Eintrittskarten und Zugangsbeschränkungen wird ebenso diskutiert wie über Konzepte, andere Regionen und Routen attraktiver zu machen und so von den Hot Spots abzulenken. Eine Mammutaufgabe.
Und Wilhelm Busch? Der würde vermutlich kommentieren:
„Also lautet ein Beschluss:
Dass der Mensch was lernen muss.“