Irritierende kritische Geister behaupten, dass mehr Konsum von Cola-Getränken mehr Gewichtszunahme nach sich zieht und noch mehr Konsum gar zu viel Gewichtszunahme. Oder um es mit einem hässlichen Wort zu sagen: Fettleibigkeit. Im Land des Weltmeisters im Softdrink-Konsums – in den USA sind es pro Person etwa 200 Liter pro Jahr – leidet mehr als ein Drittel aller Personen daran. „Obesity“ ist für mindestens ein Fünftel aller Krankenkosten verantwortlich, 2012 waren dies etwa 200 Milliarden Dollar. Wie reagiert(e) die Branche? Mit einer Marketing-Doppelstrategie.
Das goldene Zeitalter und ihr Ende
Die Vermarktung von Cola-Getränken war nach dem zweiten Weltkrieg über Jahrzehnte hinweg ein schlichter Selbstläufer. Von dem (amerikanischen) Getränk konnte (auch) die (restliche) Welt gar nicht genug bekommen. Der amerikanische Traum von Wohlstand, Freiheit und Glück eroberte nicht zuletzt in Form des braunen Getränks den Globus. Hohe Wachstumsraten schienen für die Ewigkeit garantiert. Vor diesem Hintergrund eher ungerechtfertigt wurde das Marketing der Branche in der Fachwelt als „best practice“ gefeiert. Nur der Verdrängungswettbewerb innerhalb der Branche schien spannend und bescherte der Marketingwelt ihre faszinierendsten Anekdoten. Die Marken der Branche gehörten natürlich zu den wertvollsten der Welt.
Dann wurden die selbstzufriedene Branche und ihre glücklichen Konsumenten erst sanft, dann immer aufdringlicher, gestört. Foodwatch (die „Essensretter“) etwa stellt die „soften“ Drinks als abstoßende „flüssige Krankmacher“ lautstark an den Pranger. Statt „fun, refreshment and freedom“ (mit einer marginalen Gewichtszunahme und ein bisschen schlechtem Gewissen) zu garantieren, sollen diese Getränke nun Fettleibigkeit, Diabetes, erektile Dysfunktionen, Amputationen und Zahnschädigungen nach sich ziehen. Das geht zu weit. Ein solches Szenario beeinträchtigt den Konsumspaß massiv. Der Umsatz mit „full-calorie sodas“ ist in den USA in den letzten beiden Jahrzehnten um 25% gesunken. Die Branche sieht sich herausgefordert. Auch das Marketing ist gefordert. Und es reagiert.
Die Marketing-Doppelstrategie
Es geht nun nicht mehr nur darum, das Produkt zu verkaufen. In dieses „klassische“ Marketing („consumer marketing“) werden natürlich weiterhin wohl mehr als 10 Prozent des Umsatzes investiert – beispielsweise für Werbung bei Coca-Cola (für alle etwa 20 Marken im Portfolio) fast 4 Milliarden Dollar jährlich. Es geht jetzt auch darum, im Namen und im Sinne der gesamten Branche die öffentliche Diskussion, die herrschende Meinung und den gesunden Menschenverstand zu prägen. Dazu verfolgen die Unternehmen und ihr Branchenverband eine Doppelstrategie, so eine aktuelle empirische Studie von Daniel Aaron und Michael Siegel von der Boston University. Als Sponsoren unterstützen sie entsprechende Forschungsaktivtäten. Als Lobbyisten intervenieren sie in den betreffenden politischen Prozessen.
Mit den Lobbyaktivitäten versuchen sie, gesundheitspolitische Regulierungen in ihrem Interesse zu beeinflussen, die den Konsum der Softdrinks einschränken (oder erleichtern) könnten. Dies geschah in den Jahren 2011-2015 bei 29 einschlägigen Gesetzesvorhaben. Als Sponsoren unterstützen sie im „clash over the science of obesity“ jene Seite, die den Konsum der Softdrinks als Ursache von Fettleibigkeit zumindest dramatisch entlastet. Für die Jahre 2011-2015 können 96 solche Sponsoring-Projekte identifiziert werden Die jährlichen Ausgaben für diese Aktivitäten liegen bei mindestens 10-40 Millionen Dollar.
Der Erfolg und seine möglichen Konsequenzen
Das Sponsoring scheint erfolgreich den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen. Die auf diese Art unterstützten Organisationen ziehen sehr oft ihre früher kritischen Einschätzungen gegenüber dem Konsum von Softdrinks zurück. Als „merchants of doubt“ reduzieren geförderte Wissenschaftler den Meinungsdruck auf Hersteller und Konsumenten von Softdrinks mit einer klaren Stossrichtung: „confuse the science and deflect attention from dietary intake“ (Marion Nestle, New York Times, 9.8.2015). Sie wollen einen alternativen wissenschaftlichen Rahmen für die öffentliche Diskussion schaffen: „The message is that obesity is not about the foods or beverages you`re consuming, it is that you`re not balancing those foods with exercise“ (Yoni Freedhoff, New York Times 9.8.2015).
Übrig bleibt im Erfolgsfall, dass der Konsum von Softdrinks wieder ohne schlechtes Gewissen möglich wäre. Man muss sich gleichzeitig nur mehr bewegen. Letzteres ahnte der gesunde Menschenverstand zumindest in seiner europäischen Ausprägung irgendwie schon immer. Und beide Aussagen zusammen bringen uns wohl zurück in die eingangs erwähnten guten alten Zeiten. Alle wissen bescheid. Und keinen kümmert es.
Das wäre dann sicher ein Erfolg für die Hersteller von Softdrinks und deren Marketingaktivitäten. Da mögen Kritiker nörgeln: „The beverage industry is using corporate philantrophy to undermine public health maesures“ (Kelly Brownell, New York Times 10.10.2016). Ihr Ziel – „have it both ways – appear as socially responsible corporate citizens and lobby against pubic health measures“ (Marion Nestle, New York Times 10.10.2016) – hätten die Hersteller erreicht. Auch wenn ihr Marketingerfolg Menschen krank machen würde.