Von Vera Hermes, zuerst erschienen in absatzwirtschaft, 03/2016
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, hier schon mal vorab einige Studienergebnisse: Markenmanager aus der Medien- und Verlagsbranche sehen ihr Geschäftsmodell angesichts der Digitalisierung nicht in Gefahr. Auf die Fast-moving-Consumer-Goods-Branche (FMCG) und ihre Produkte wie beispielsweise Körperpflege-, Reinigungs- und Nahrungsmittel scheint die Digitalisierung keine Auswirkungen zu haben. Die Mehrheit der Unternehmen kennt die Customer-Journey ihrer Kunden nicht. Über die Hälfte der befragten Marketer nutzt keine Key-Performance-Indicators (KPIs) in der Markenführung.
Gefährlicher Irrtum: „Wir sind auf einem guten Weg“
Die Gemeinschaftsstudie „Digital Brand Leadership“ fördert Erstaunliches zutage. Zwar gibt es keinen Marketingkongress, keine Tagung, kein Entscheidertreffen mehr, auf denen nicht über die Digitalisierung diskutiert würde, in der Markenführung schlägt sie sich je nach Branche aber allenfalls rudimentär nieder. Dabei müsste allen längst klar sein, was Natalie Adler, als Senior Associate bei der Markenberatung Esch für die Studie maßgeblich verantwortlich, auf den Punkt bringt: „Die Digitalisierung geht an keiner Branche vorbei, auch wenn das Einzelne noch nicht glauben. Jede Branche hat ihre eigene Herausforderung.“ Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass Automobilhersteller Konkurrenz durch Google und Apple bekommen? Die Hotellerie durch Airbnb? Die Taxibranche durch Uber?
Viele Markenmanager sitzen einem gefährlichen Irrtum auf: Sie denken, sie sind auf einem guten Weg – und unterschätzen die Digitalisierung. Sie sind operativ getrieben und Gefangene des Trial and Error. „Viele glauben, die Digitalisierung sei bloß ein Zuwachs an Kanälen“, resümiert Adler. „Die meisten Markenmanager sind von Trends und Digitalisierung so getrieben, dass sie gar nicht mehr hinterfragen, ob sie zum Beispiel eine Präsenz auf Facebook tatsächlich brauchen und ob diese Präsenz zur Marke passt oder nicht.“
Einerseits beruhigen sich die Marketer selbst mit der Maßgabe, man müsse nicht jedem Trend hinterherlaufen, andererseits agieren sie gern nach dem Motto: „Man muss sich auch mal was trauen!“ Diese durchaus respektable Haltung mündet häufig in einer Beliebigkeit der Markenkommunikation. Da werden an allen möglichen Touchpoints Aktivitäten ausprobiert, die mitunter weder zueinander noch zur Marke passen. Das führt dazu, dass die Konsumenten die Marke an jedem Kontaktpunkt anders erleben. Es stellt sich die bange Frage, wie sich derlei erratische Kommunikation auf mittlere Sicht auf die Wahrnehmung der Marke beim Kunden auswirkt.
Die Customer Journey ist vielen unbekannt
Darüber hat das Gros der Markenmanager schon deshalb keine stichhaltigen Erkenntnisse, weil es die Wirkung seiner Markenführung nicht misst: Laut Studie nutzen rund 56 Prozent der befragten Manager keine KPIs. Diejenigen, die KPIs heranziehen, tun dies meist weder konsequent noch strategisch unterfüttert, sondern kanalgetrieben oder auf einzelne Maßnahmen fokussiert. Da geht es dann um Klickzahlen oder Markenbekanntheit statt um eine ganzheitliche Sicht. „Da geht mehr!“, sagt Adler trocken.
Deutlich mehr geht auch in puncto Kundenverständnis: Gerade mal 34 Prozent der befragten Unternehmen erfassen die Customer-Journey ganzheitlich über analoge und digitale Kanäle. 23,3 Prozent schauen sich nur analoge Kontaktpunkte an, 18,7 Prozent nur die digitalen Kontaktpunkte und 24 Prozent erfassen die Customer-Journey überhaupt nicht – sie wissen also nicht, wo ihre Kunden wann mit welchem Ziel mit ihrer Marke in Berührung kommen. Es ist wohl auch auf diese Unkenntnis zurückzuführen, dass die Markenmanager immer noch die Kontaktpunkte Online-Werbung, die eigene Website und E-Mails als wichtigste Treiber für Bekanntheitssteigerung, Image-Schärfung und Kundenbindung betrachten. Für Adler ist das eine logische Konsequenz daraus, dass die Manager die Customer-Journey nicht kennen: „Wer nicht trackt, weiß nicht, welches die wichtigen Kontaktpunkte sind.“
Sie bilanziert angesichts der Studienergebnisse generell: „Es fehlt die Weitsicht.“ Was dringend zu tun ist? Die Beraterin empfiehlt den Marketingentscheidern, sich um ein tiefes Kundenverständnis zu bemühen, nachzuvollziehen, an welchem Kanal der Kunde mit welchem Ziel auftaucht, daraus ein Verständnis der Customer-Journey aufzubauen und letztlich ein digitales Cockpit zu entwickeln, von dem aus alle markenrelevanten Aktivitäten sorgsam gesteuert werden.
Für die Gemeinschaftsstudie „Digital Brand Leadership – Markenführung in einer digital veränderten Welt“ von Esch – The Brand Consultants und absatzwirtschaft wurden in einer quantitativen Online-Befragung 150 Teilnehmer verschiedener Branchen – von B-to-B, Medien, IKT bis hin zu Handel oder FMCG – und Positionen befragt. Sie teilten ihre Einschätzung zum Stand der Digitalisierung und zu den Auswirkungen auf die Markenführung im Zeitraum von November 2015 bis Januar 2016 mit.
Lesen Sie außerdem ein Interview mit dem Gründer der Markenberatung Esch, Prof. Dr. Franz-Rudolf Esch: „Marketer leiden an Selbstüberschätzung“, in der absatzwirtschaft, Ausgabe 03/2016. Kein Abo? Hier entlang.