Lohnt sich Facebook?

Bis zu zwölf Milliarden US-Dollar will Facebook an der Börse einnehmen. Experten und Unwissende streiten aufs Heftigste, ob das noch Social ist, was das Network da vor hat, oder ob man gar selbst Wertpapiere kaufen sollte. In diesem Zusammenhang: Kennen Sie einen Groupon-Aktionär? Aus Sicht der Internetwirtschaft war der Börsengang des Gutschein-Anbieters letzten November das ökonomische Großereignis des Jahres 2011. Zwar platzierte Groupon nur fünf Prozent seiner Aktien auf dem Parkett und sammelte damit nur 700 Millionen Dollar ein, aber die Nachfrage nach den Wertpapieren übertraf das Angebot um das Vielfache.

Von Frank Puscher

Obwohl … Wertpapier? Im zweiten Quartal 2011 machte Groupon 645 Millionen Dollar Umsatz und erwirtschaftete damit einen Verlust von 125 Millionen. Jedem Dollar Umsatz stehen rund 20 Cent Verlust gegenüber. Merke: Verschenken ist billiger als Gutscheine verteilen! Fragen Sie Ihren Bekannten also besser nicht nach seiner Groupon-Aktie. Er wird auf seine Langfriststrategie verweisen. Das sagen alle Börsenzocker, die sich morgens lieber die Haare ausreißen, als im Browser die Website mit ihrem Portfolio aufzurufen. Der Wert der Aktie hat seit November um rund 60 Prozent verloren.

Kennen Sie einen Linkedin-Aktionär? Vermutlich nicht, weil die Plattform hierzulande nicht so erfolgreich ist. Schade, denn der wäre sicher fröhlich. Bei ihm zeigt das Börsenbarometer stetig nach oben. Wer bei 60 Euro eingestiegen ist, hat heute, nach knapp einem Jahr, ein Drittel mehr im Portemonnaie. Somit ist also nicht jeder Börsengang eines gefeierten Social Media Stars zum Scheitern verdammt. Und überhaupt ist das mit dem Scheitern ja eine Sache der Perspektive. Auch Groupon feiert seinen Börsengang als Erfolg.

Und jetzt Facebook. Nur wenige Tage sind es noch bis zum größten Börsengang aller Zeiten. Der Hype ist gewaltig, die Skepsis allerdings auch. Mitunter verlieren sogar renommierte Pressekollegen den Überblick und versemmeln einen simplen Dreisatz. „Die Nutzer werden immer aktiver“, heißt es in einem Bericht der „Welt kompakt“ vom 25. April. Die federführenden Autoren Thomas Jüngling und Thomas Heuzeroth wissen genau, dass das ein echter Qualitätsbeweis für die Plattform wäre und vor allem bei Marketern Frohlocken auslöst.

Indes: Die Rechnung ist schlicht falsch. Im letzten Jahr ist der Dienst von 600 auf 900 Millionen Nutzer gewachsen. Das sind 33,3 Prozent mehr. Gleichzeitig ist die Anzahl der täglich hochgeladenen Fotos von 250 auf 300 Millionen gestiegen, das sind 20 Prozent mehr. Drittens gab es Ende 2010 noch 100 Milliarden Freundschaftsbeziehungen. Ende des letzten Jahres waren es 125 Milliarden. Macht ein Plus von 25 Prozent. Misst man die Aktivität des einzelnen Nutzers an der Menge seiner Freundschaftsbeziehungen und Foto-Uploads, ist die Aktivität pro Nutzer gesunken. Und um dem ganzen noch eine subjektive Note hinzuzufügen: In Freundeskreisen, die vornehmlich aus Onlinewerbern bestehen, ist ein Rückgang der durchschnittlichen Aktivität durchaus spürbar.

Und somit sind die beiden vorgenannten Autoren auch sofort wieder zu rehabilitieren. Ihr lesenswerter Artikel trägt nämlich die Überschrift: „Facebook schwächelt vor dem Börsengang“. Ja, Facebook schwächelt. Facebook funktioniert da, wo es immer funktioniert hat, in der direkten Kommunikation zwischen und mit Nutzern (vor allem Power-Usern), bei der Sammlung von User-generated-Content und in der schneeball-systematischen Verbreitung guter Nachrichten.

Facebook hat unterdessen nur wenige Erfolgsbeweise angetreten in Sachen Produktverkauf, vulgo F-Commerce. Ehrgeizige Projekte wie der voll ausgerüstete Facebook-Laden von Fahrrad.de sind mangels Umsatz inzwischen wieder verschwunden. Was bleibt, sind Feigenblatt-Interfaces, die Hyperlinks in den normalen Onlineshop auch auf Facebook anzeigen. Wow! Was zu funktionieren scheint, sind Flash-Sales, also kurzfristig initiierte Schnäppchen- oder Exklusivverkäufe. Einer der größten dieser Art war tatsächlich das so umstrittene Chefticket der Deutschen Bahn. Forrester Research kommt zum Fazit: Facebook will not drive E-Commerce. In einer Studie wurden 102 US-Händler befragt und das Stimmungsbarometer steht auf „Finger weg”.

Und Werbung? Ja, das zielgenaue Targeting funktioniert gut. Aber wer sehr genau Zielgruppen ausdefiniert, hat nur noch wenig Reichweite übrig. Nicht, weil die User nicht da wären, sondern weil einige davon eben nicht alles von sich preisgeben. Für diese wenigen Nutzer müssten individuelle Kampagnen gestaltet werden, um ein Maximum an Effizienz zu erreichen. Das bedeutet sehr viel Arbeit und bislang ist für die meisten Marketer der Hebel hier deutlich kleiner als der für Keyword- oder Location-Targeting bei Google. In der Praxis sehen sich die gleichen User wochenlang mit identischen Kampagnen konfrontiert. Das wirkt sich nicht gerade förderlich auf die Klickrate aus.

Aber ist die Frage nach dem unmittelbar zu errechnenden Nutzen überhaupt erlaubt? Darf man Facebook aus Sicht eines Marketers an schnöden Kosten-Ertrags-Relationen messen? Bekommen Telekom-Produkte tatsächlich auf Dauer ein besseres Image, weil die Telekom auf Twitter „hilft“? Fakt ist: In der Neukundengewinnung ist Google nach wie vor weit vorne. Und das, obwohl der renommierte „Standard“ aus Österreich schon im Oktober 2009 titelte, dass Facebook Google ersetzen könnte. In der Kundenbindung scheint E-Mail nach wie vor das Tool der Wahl. Es ist doch irgendwie auch direkter als Facebook.

Soll man also Facebook-Aktien kaufen? Ist der Aufbau weiterer Ressourcen zur Bespielung dieser Plattform ökonomisch gerechtfertigt. Die Marketing-Chefin von Xerox sieht das heute nüchterner als vor drei Jahren: „Investitionsentscheidungen in Milliarden-Höhe werden nicht auf Facebook vorbereitet“. E-Mail-Papst Torsten Schwartz meint: „Wenn Sie vom viralen Erfolg träumen, dann träumen Sie ruhig weiter.“

Fazit: Facebook kann sich lohnen (auch für den Aktionär), muss aber nicht. Auch nicht bei einer Milliarde Nutzern. Das meint übrigens auch Google. Eine Suchanfrage nach „Facebook lohnt sich nicht“ beantwortete der Suchgigant mit „Lidl lohnt sich! Nicht Facebook.“ Der Eintrag wurde inzwischen wieder entfernt, vermutlich von Facebook-Aktionären oder von Aldi-Hackern.

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